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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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Lombardei. Ein franco-italisches Heer in der letzteren kann mit Gemüthlich¬
keit einem schwächeren östreichischen Heer im Viereck sich gegenüber ausstellen;
in Venetien ist es, selbst wenn es die Ueberzahl sür sich hat, von Flanken¬
angriffen und Diversionen im Rücken bedroht, in unsichrer Lage.

Der Verfasser meint, daß mit dem Verlust der Minciolinic der Weg nach
Wien offen stehe. Allerdings -- wenn das Viereck mit seinen Vorrüthen ge¬
nommen, wenn Oestreich seine Hauptanstrengungen zur Erhaltung Mantnas
und Veronas daran gesetzt, wenn seine Heere sich vergebens dabei verblutet
haben -- dann wird Oestreich voraussichtlich keine hinreichenden Mittel mehr
haben, sich weiter energisch zu vertheidigen, wenn auch noch ein zweites Viereck
aus dem Wege nach Wien läge. Deshalb aber ist es ein Capitalfehler, die
Hauptdefensivstcllung so weit vorgeschoben zu haben.

Hat sich aber Oestreich in einem solchen Kampfe nicht erschöpft, so bietet
ihm nicht nur die erwähnte Linie eine treffliche Defensivstellung; sondern selbst
nach ihrer Forcinmg durch den Feind sind auf dem Wege nach Wien noch
zweimal die Alpen und zwei Flußlinicn, Dran und Mur zu Passiren. Auf diesen
Punkten ist der Widerstand unter günstigen Aspectcn aufzunehmen. Wien ist
gegen Italien durch die Natur stärker vertheidigt, auch ohne Etsch und Mincio
als etwa Berlin gegen Frankreich.

Nur wenn Oestreich nicht will, kann dieser Schutz seinen Werth verlieren.

Wir wollen noch die Bedeutung erörtern, welche eine einigermaßen zahl¬
reiche feindliche Flotte am Ende des adriatischen Meeres auf die Defensiv-
stellung Oestreichs üben muß.

Eine Landung in Venetien ist nach der Beschaffenheit der Ufer allerdings
schwierig, aber keineswegs unmöglich. Die Anwesenheit einer solchen Flotte
bindet bedeutende östreichische Kräfte um der Küste, vor Allem in der Stadt
Venedig; sie ist namentlich immer bereit, den Uebergang des Feindes über
den unteren Po zu unterstützen oder durch Streifereien vereinzelter Corps die
Arriöres der Mincioarmee zu beunruhigen.

Außerdem bedroht die Anwesenheit einer feindlichen Flotte mit Landungs¬
truppen das ganze östreichische Littorale und nöthigt Oestreich überall Küste"'
wachen und hier und da stärkere Corps zu detachiren. Es scheint sott^
fraglich, ob der lange dalmatinische Küstenstrich überall, mit Ausnahme einigt
fester Punkte, dagegen zu halten ist. Um Trieft und Fiume müßte aber jeden¬
falls ein bedeutender Truppenkörper zur Abwehr einer Landung bereit >e>n,
welcher der Operationsarmee am Mincio abginge.

Gelänge nun aber dem Feinde eine Landung, sei es, bei Venedig, sei ^
bei Trieft oder Finne, in größerem Maßstabe; setzte ersieh fest, und verstärkte
er sich von seiner nächsten Basis Ancona aus in raschen Folgen, so wäre det
Mincioarmee sehr wesentlich in ihrer Rückzugsiinie bedroht und vicllci)


Lombardei. Ein franco-italisches Heer in der letzteren kann mit Gemüthlich¬
keit einem schwächeren östreichischen Heer im Viereck sich gegenüber ausstellen;
in Venetien ist es, selbst wenn es die Ueberzahl sür sich hat, von Flanken¬
angriffen und Diversionen im Rücken bedroht, in unsichrer Lage.

Der Verfasser meint, daß mit dem Verlust der Minciolinic der Weg nach
Wien offen stehe. Allerdings — wenn das Viereck mit seinen Vorrüthen ge¬
nommen, wenn Oestreich seine Hauptanstrengungen zur Erhaltung Mantnas
und Veronas daran gesetzt, wenn seine Heere sich vergebens dabei verblutet
haben — dann wird Oestreich voraussichtlich keine hinreichenden Mittel mehr
haben, sich weiter energisch zu vertheidigen, wenn auch noch ein zweites Viereck
aus dem Wege nach Wien läge. Deshalb aber ist es ein Capitalfehler, die
Hauptdefensivstcllung so weit vorgeschoben zu haben.

Hat sich aber Oestreich in einem solchen Kampfe nicht erschöpft, so bietet
ihm nicht nur die erwähnte Linie eine treffliche Defensivstellung; sondern selbst
nach ihrer Forcinmg durch den Feind sind auf dem Wege nach Wien noch
zweimal die Alpen und zwei Flußlinicn, Dran und Mur zu Passiren. Auf diesen
Punkten ist der Widerstand unter günstigen Aspectcn aufzunehmen. Wien ist
gegen Italien durch die Natur stärker vertheidigt, auch ohne Etsch und Mincio
als etwa Berlin gegen Frankreich.

Nur wenn Oestreich nicht will, kann dieser Schutz seinen Werth verlieren.

Wir wollen noch die Bedeutung erörtern, welche eine einigermaßen zahl¬
reiche feindliche Flotte am Ende des adriatischen Meeres auf die Defensiv-
stellung Oestreichs üben muß.

Eine Landung in Venetien ist nach der Beschaffenheit der Ufer allerdings
schwierig, aber keineswegs unmöglich. Die Anwesenheit einer solchen Flotte
bindet bedeutende östreichische Kräfte um der Küste, vor Allem in der Stadt
Venedig; sie ist namentlich immer bereit, den Uebergang des Feindes über
den unteren Po zu unterstützen oder durch Streifereien vereinzelter Corps die
Arriöres der Mincioarmee zu beunruhigen.

Außerdem bedroht die Anwesenheit einer feindlichen Flotte mit Landungs¬
truppen das ganze östreichische Littorale und nöthigt Oestreich überall Küste»'
wachen und hier und da stärkere Corps zu detachiren. Es scheint sott^
fraglich, ob der lange dalmatinische Küstenstrich überall, mit Ausnahme einigt
fester Punkte, dagegen zu halten ist. Um Trieft und Fiume müßte aber jeden¬
falls ein bedeutender Truppenkörper zur Abwehr einer Landung bereit >e>n,
welcher der Operationsarmee am Mincio abginge.

Gelänge nun aber dem Feinde eine Landung, sei es, bei Venedig, sei ^
bei Trieft oder Finne, in größerem Maßstabe; setzte ersieh fest, und verstärkte
er sich von seiner nächsten Basis Ancona aus in raschen Folgen, so wäre det
Mincioarmee sehr wesentlich in ihrer Rückzugsiinie bedroht und vicllci)


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[0256] Lombardei. Ein franco-italisches Heer in der letzteren kann mit Gemüthlich¬ keit einem schwächeren östreichischen Heer im Viereck sich gegenüber ausstellen; in Venetien ist es, selbst wenn es die Ueberzahl sür sich hat, von Flanken¬ angriffen und Diversionen im Rücken bedroht, in unsichrer Lage. Der Verfasser meint, daß mit dem Verlust der Minciolinic der Weg nach Wien offen stehe. Allerdings — wenn das Viereck mit seinen Vorrüthen ge¬ nommen, wenn Oestreich seine Hauptanstrengungen zur Erhaltung Mantnas und Veronas daran gesetzt, wenn seine Heere sich vergebens dabei verblutet haben — dann wird Oestreich voraussichtlich keine hinreichenden Mittel mehr haben, sich weiter energisch zu vertheidigen, wenn auch noch ein zweites Viereck aus dem Wege nach Wien läge. Deshalb aber ist es ein Capitalfehler, die Hauptdefensivstcllung so weit vorgeschoben zu haben. Hat sich aber Oestreich in einem solchen Kampfe nicht erschöpft, so bietet ihm nicht nur die erwähnte Linie eine treffliche Defensivstellung; sondern selbst nach ihrer Forcinmg durch den Feind sind auf dem Wege nach Wien noch zweimal die Alpen und zwei Flußlinicn, Dran und Mur zu Passiren. Auf diesen Punkten ist der Widerstand unter günstigen Aspectcn aufzunehmen. Wien ist gegen Italien durch die Natur stärker vertheidigt, auch ohne Etsch und Mincio als etwa Berlin gegen Frankreich. Nur wenn Oestreich nicht will, kann dieser Schutz seinen Werth verlieren. Wir wollen noch die Bedeutung erörtern, welche eine einigermaßen zahl¬ reiche feindliche Flotte am Ende des adriatischen Meeres auf die Defensiv- stellung Oestreichs üben muß. Eine Landung in Venetien ist nach der Beschaffenheit der Ufer allerdings schwierig, aber keineswegs unmöglich. Die Anwesenheit einer solchen Flotte bindet bedeutende östreichische Kräfte um der Küste, vor Allem in der Stadt Venedig; sie ist namentlich immer bereit, den Uebergang des Feindes über den unteren Po zu unterstützen oder durch Streifereien vereinzelter Corps die Arriöres der Mincioarmee zu beunruhigen. Außerdem bedroht die Anwesenheit einer feindlichen Flotte mit Landungs¬ truppen das ganze östreichische Littorale und nöthigt Oestreich überall Küste»' wachen und hier und da stärkere Corps zu detachiren. Es scheint sott^ fraglich, ob der lange dalmatinische Küstenstrich überall, mit Ausnahme einigt fester Punkte, dagegen zu halten ist. Um Trieft und Fiume müßte aber jeden¬ falls ein bedeutender Truppenkörper zur Abwehr einer Landung bereit >e>n, welcher der Operationsarmee am Mincio abginge. Gelänge nun aber dem Feinde eine Landung, sei es, bei Venedig, sei ^ bei Trieft oder Finne, in größerem Maßstabe; setzte ersieh fest, und verstärkte er sich von seiner nächsten Basis Ancona aus in raschen Folgen, so wäre det Mincioarmee sehr wesentlich in ihrer Rückzugsiinie bedroht und vicllci)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/256>, abgerufen am 23.07.2024.