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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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seit der Flankirung ein unternehmender Feind die Zeit, wo Zuzüge aus dem
Innern des Kaiserstaats eintreffen, nicht abwarten, sondern ohne Zögern seine
Ueberlegenheit benutzen wird.

Die Position bietet auf alle Fälle einem nur einigermaßen fähigen Geg¬
ner genug Schwächen, um die gepriesene Dreimeilenlinie illusorisch zu machen.

Man wird uns erwidern, daß man auch Fcrrcira gegenüber eine Festung
anlegen oder Botzen, Trient u. s. w. befestigen werde. Freilich, man kann
das ganze Land befestigen. Mit zu vielen Festungen aber ist auch nicht ge¬
dient -- sie zersplittern die Kräfte und fordern zu einem kühnen Durchbrüche
auf, weil nirgend eine compacte Macht, die der Feind zu fürchten hat. ver¬
eint bleibt.

Endlich haben wir noch ein Wort zu sagen gegen die Meinung, daß
Oestreich ohne Venedig wehrlos sei. Wir wollen zunächst Act nehmen, daß
der Verfasser, bald nachdem er den Weg nach Wien als offen erklärt hat.
das Kriegführen in den Alpen für eine heitlige Sache ansieht. Wir sind in
der That der Ansicht, daß die Linie Triest, Vliland. Botzen. Finstermünz, im
Vergleich mit vielen, ja den meisten Vertheidigungslinien anderer Staaten eine
sel'r günstige ist. und daß sie Vorzüge bietet, welche die Minciolinie nicht hat.
Sie ist einmal kaum länger als die venetianische Vcrtheidigungslinie. indem
sie 42. jene 45--50 Meilen Ausdehnung hat; dann ist sie zu einer Aufstellung
^eignet, von der aus kräftige Offensivbewegungen nach Süd und West möglich
sind. Fürer ist sie den Hilfsquellen des Landes näher und nicht in den Conr-
municationen. auf deuen Zuzüge und Zufuhren sich bewegen, bedroht. End-
kann ein auf ihr stehendes Heer sich rascher mit einer Donauarmee zur
Operation nach Baiern hin vereinigen. Die östreichische Kriegsgeschichte be¬
frist, daß der Kaiserstaat mehrmals unterlag, weil die nach Italien zu weit
vorgeschobenen und verzettelten Kräfte nicht rechtzeitig die Donau erreichen
konnten. Was die Offensivstärke dieser zweiten oder snbalpinischen Linie (wenn
sie so nennen dürfen, obgleich sie großentheils schon hinter einer Alpen-
^etc. aber doch vor dem Hauptstocke liegt) betrifft, so sei zunächst wiederholt,
daß die Minciolinie leine große Offensivkraft hat.

Es ist aber -- und dies sei l'csonders hier betont -- eine große Schwäche
einer Defensivstellung. wenn sie nicht auch kräftige Ossensivstöße und günstige
Diversionen erleichtert. Diese Schwäche der Minciolinic beruht darauf, daß
ihr derartige Gegenbewegungen nur in> einer Richtung, senkrecht an dem
Mincio uach West, zu bewerkstelligen sind. Das Beispiel des Jahres 1848
beweist hiergegen nichts, da Radetzt'i großentheils wenig geübte und schlecht
führte Truppen gegen sich hatte: gegen solche ist jede Stellung gut.

Die zweite L,nic dagegen bietet Debouches am Zsonzo. bei Tarvis. Feltre
durch Tirol, sowol gegen Verona als über die obgennnnten Pässe in die


seit der Flankirung ein unternehmender Feind die Zeit, wo Zuzüge aus dem
Innern des Kaiserstaats eintreffen, nicht abwarten, sondern ohne Zögern seine
Ueberlegenheit benutzen wird.

Die Position bietet auf alle Fälle einem nur einigermaßen fähigen Geg¬
ner genug Schwächen, um die gepriesene Dreimeilenlinie illusorisch zu machen.

Man wird uns erwidern, daß man auch Fcrrcira gegenüber eine Festung
anlegen oder Botzen, Trient u. s. w. befestigen werde. Freilich, man kann
das ganze Land befestigen. Mit zu vielen Festungen aber ist auch nicht ge¬
dient — sie zersplittern die Kräfte und fordern zu einem kühnen Durchbrüche
auf, weil nirgend eine compacte Macht, die der Feind zu fürchten hat. ver¬
eint bleibt.

Endlich haben wir noch ein Wort zu sagen gegen die Meinung, daß
Oestreich ohne Venedig wehrlos sei. Wir wollen zunächst Act nehmen, daß
der Verfasser, bald nachdem er den Weg nach Wien als offen erklärt hat.
das Kriegführen in den Alpen für eine heitlige Sache ansieht. Wir sind in
der That der Ansicht, daß die Linie Triest, Vliland. Botzen. Finstermünz, im
Vergleich mit vielen, ja den meisten Vertheidigungslinien anderer Staaten eine
sel'r günstige ist. und daß sie Vorzüge bietet, welche die Minciolinie nicht hat.
Sie ist einmal kaum länger als die venetianische Vcrtheidigungslinie. indem
sie 42. jene 45—50 Meilen Ausdehnung hat; dann ist sie zu einer Aufstellung
^eignet, von der aus kräftige Offensivbewegungen nach Süd und West möglich
sind. Fürer ist sie den Hilfsquellen des Landes näher und nicht in den Conr-
municationen. auf deuen Zuzüge und Zufuhren sich bewegen, bedroht. End-
kann ein auf ihr stehendes Heer sich rascher mit einer Donauarmee zur
Operation nach Baiern hin vereinigen. Die östreichische Kriegsgeschichte be¬
frist, daß der Kaiserstaat mehrmals unterlag, weil die nach Italien zu weit
vorgeschobenen und verzettelten Kräfte nicht rechtzeitig die Donau erreichen
konnten. Was die Offensivstärke dieser zweiten oder snbalpinischen Linie (wenn
sie so nennen dürfen, obgleich sie großentheils schon hinter einer Alpen-
^etc. aber doch vor dem Hauptstocke liegt) betrifft, so sei zunächst wiederholt,
daß die Minciolinie leine große Offensivkraft hat.

Es ist aber — und dies sei l'csonders hier betont — eine große Schwäche
einer Defensivstellung. wenn sie nicht auch kräftige Ossensivstöße und günstige
Diversionen erleichtert. Diese Schwäche der Minciolinic beruht darauf, daß
ihr derartige Gegenbewegungen nur in> einer Richtung, senkrecht an dem
Mincio uach West, zu bewerkstelligen sind. Das Beispiel des Jahres 1848
beweist hiergegen nichts, da Radetzt'i großentheils wenig geübte und schlecht
führte Truppen gegen sich hatte: gegen solche ist jede Stellung gut.

Die zweite L,nic dagegen bietet Debouches am Zsonzo. bei Tarvis. Feltre
durch Tirol, sowol gegen Verona als über die obgennnnten Pässe in die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/255>, abgerufen am 23.07.2024.