Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

erfordern; der Einfall in das südliche Tirol von der Lombardei aus dagegen
wäre mit kleineren Corps auszuführen, während die Hauptmasse des Feindes
vor der Minciolinic sich aufstellen und die östreichische Macht innerhalb des
Vierecks binden könnte.

Seitdem Lombardei und Kirchenstaat piemontesisches Gebiet sind, laufen
die Verbindungslinien des Vierecks mit dem Schwerpunkt Oestreichs durch Tirol
und übev Vicenza, der feindlichen Grenze ziemlich nahe und parallel. Sie sind
in weit höherem Grade als je zuvor exponirt. Der Gegner kann schon im
Voraus Mittel anhäufen und vorbereiten, zu ihnen zu gelangen. Die nördliche,
tiroler Communication ist leichter, die andere über Vicenza anf Udine schwerer zu
benutzen, aber weil sie die Hauptcommunication ist. mit entscheidenden Erfolge.

Wie hätte sich z, B. der Krieg von 1859 gestaltet, wenn bei seinem Fort-
gange der Prinz Napoleon, statt oberhalb Mantun, den Po bei Ferrara über¬
schreiten und Garibaldi u. a. Parteigänger ans Trient herabsteigen gekonnt?

Die Minciolinic ist nicht blos zu tourniren, sie ist sogar verhältnißmäßig
leicht zu tourniren. Denn die Werke sind zu sehr gehäuft. erfordern also zu
viel Besatzung und lassen zu wenig Feldtruppen für die Vertheidigung anderer
Stellen übng. Angenommen, es stehen 200,000 Mann in der Lombardei,
und 160,000 in Venetien und Südtirol -- wir setzen absichtlich nur eine ge¬
ringe Differenz -- so wird der Feind mit 100,000 M. vor dem Mincio stehen
bleiben und sich feldmäßig verschanzen; dann sind auch etwa 80,000 in den
4 Festungen und in Venedig gefesselt, während 100.000 M. des Feindes auf
dem rechten oder linken Flügel eine Umgehung ausführen und, wo immer sie
die Oestreichs treffen, sie in der Minderzahl finden. Denn wollten die Oestreicher
die Festungen noch mehr entblößen, so würde der Feind in das Viereck eindringe"
und Peschiera und Mantua mit unzureichenden Besatzungen abschneiden und
einschließen.

Das östreichische Heer aber mühte links und rechts Corps gleichzeitig de-
tachiren, während der Gegner, durch die Aufstellung seines Corps vor dem
Mincio maskirt. beliebig an den Po oder in die Alpen eine compacte Mal>e
werfen kann.

Ein an Zahl noch stärkerer Feind würde noch freier und übermächtiger
auf die Communicationen fallen können.

Den Einwand. daß das Viereck seine Bedeutung darin habe, einer öst¬
reichischen schwächeren Armee Schutz zu geben, bis sie sich durch Zuzüge ver¬
stärkt habe und zur Aufnahme der Offensive fähig sei, können wir allerdings
bis zu einem gewissen Grade gelten lassen. Aber- wir müssen wiederholt ver¬
neinen, daß es dazu des furchtbaren Festungsapparats bedarf, und betonen, daß
die Minciolinie für Offensivbewegungen (wie auch die Schrift angibt) eine
ungeeignete Basis bietet. Vor Allem aber behaupten wir,, daß bei der Leicht>g°


erfordern; der Einfall in das südliche Tirol von der Lombardei aus dagegen
wäre mit kleineren Corps auszuführen, während die Hauptmasse des Feindes
vor der Minciolinic sich aufstellen und die östreichische Macht innerhalb des
Vierecks binden könnte.

Seitdem Lombardei und Kirchenstaat piemontesisches Gebiet sind, laufen
die Verbindungslinien des Vierecks mit dem Schwerpunkt Oestreichs durch Tirol
und übev Vicenza, der feindlichen Grenze ziemlich nahe und parallel. Sie sind
in weit höherem Grade als je zuvor exponirt. Der Gegner kann schon im
Voraus Mittel anhäufen und vorbereiten, zu ihnen zu gelangen. Die nördliche,
tiroler Communication ist leichter, die andere über Vicenza anf Udine schwerer zu
benutzen, aber weil sie die Hauptcommunication ist. mit entscheidenden Erfolge.

Wie hätte sich z, B. der Krieg von 1859 gestaltet, wenn bei seinem Fort-
gange der Prinz Napoleon, statt oberhalb Mantun, den Po bei Ferrara über¬
schreiten und Garibaldi u. a. Parteigänger ans Trient herabsteigen gekonnt?

Die Minciolinic ist nicht blos zu tourniren, sie ist sogar verhältnißmäßig
leicht zu tourniren. Denn die Werke sind zu sehr gehäuft. erfordern also zu
viel Besatzung und lassen zu wenig Feldtruppen für die Vertheidigung anderer
Stellen übng. Angenommen, es stehen 200,000 Mann in der Lombardei,
und 160,000 in Venetien und Südtirol — wir setzen absichtlich nur eine ge¬
ringe Differenz — so wird der Feind mit 100,000 M. vor dem Mincio stehen
bleiben und sich feldmäßig verschanzen; dann sind auch etwa 80,000 in den
4 Festungen und in Venedig gefesselt, während 100.000 M. des Feindes auf
dem rechten oder linken Flügel eine Umgehung ausführen und, wo immer sie
die Oestreichs treffen, sie in der Minderzahl finden. Denn wollten die Oestreicher
die Festungen noch mehr entblößen, so würde der Feind in das Viereck eindringe»
und Peschiera und Mantua mit unzureichenden Besatzungen abschneiden und
einschließen.

Das östreichische Heer aber mühte links und rechts Corps gleichzeitig de-
tachiren, während der Gegner, durch die Aufstellung seines Corps vor dem
Mincio maskirt. beliebig an den Po oder in die Alpen eine compacte Mal>e
werfen kann.

Ein an Zahl noch stärkerer Feind würde noch freier und übermächtiger
auf die Communicationen fallen können.

Den Einwand. daß das Viereck seine Bedeutung darin habe, einer öst¬
reichischen schwächeren Armee Schutz zu geben, bis sie sich durch Zuzüge ver¬
stärkt habe und zur Aufnahme der Offensive fähig sei, können wir allerdings
bis zu einem gewissen Grade gelten lassen. Aber- wir müssen wiederholt ver¬
neinen, daß es dazu des furchtbaren Festungsapparats bedarf, und betonen, daß
die Minciolinie für Offensivbewegungen (wie auch die Schrift angibt) eine
ungeeignete Basis bietet. Vor Allem aber behaupten wir,, daß bei der Leicht>g°


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0254" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/111148"/>
          <p xml:id="ID_864" prev="#ID_863"> erfordern; der Einfall in das südliche Tirol von der Lombardei aus dagegen<lb/>
wäre mit kleineren Corps auszuführen, während die Hauptmasse des Feindes<lb/>
vor der Minciolinic sich aufstellen und die östreichische Macht innerhalb des<lb/>
Vierecks binden könnte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_865"> Seitdem Lombardei und Kirchenstaat piemontesisches Gebiet sind, laufen<lb/>
die Verbindungslinien des Vierecks mit dem Schwerpunkt Oestreichs durch Tirol<lb/>
und übev Vicenza, der feindlichen Grenze ziemlich nahe und parallel. Sie sind<lb/>
in weit höherem Grade als je zuvor exponirt. Der Gegner kann schon im<lb/>
Voraus Mittel anhäufen und vorbereiten, zu ihnen zu gelangen. Die nördliche,<lb/>
tiroler Communication ist leichter, die andere über Vicenza anf Udine schwerer zu<lb/>
benutzen, aber weil sie die Hauptcommunication ist. mit entscheidenden Erfolge.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_866"> Wie hätte sich z, B. der Krieg von 1859 gestaltet, wenn bei seinem Fort-<lb/>
gange der Prinz Napoleon, statt oberhalb Mantun, den Po bei Ferrara über¬<lb/>
schreiten und Garibaldi u. a. Parteigänger ans Trient herabsteigen gekonnt?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_867"> Die Minciolinic ist nicht blos zu tourniren, sie ist sogar verhältnißmäßig<lb/>
leicht zu tourniren. Denn die Werke sind zu sehr gehäuft. erfordern also zu<lb/>
viel Besatzung und lassen zu wenig Feldtruppen für die Vertheidigung anderer<lb/>
Stellen übng. Angenommen, es stehen 200,000 Mann in der Lombardei,<lb/>
und 160,000 in Venetien und Südtirol &#x2014; wir setzen absichtlich nur eine ge¬<lb/>
ringe Differenz &#x2014; so wird der Feind mit 100,000 M. vor dem Mincio stehen<lb/>
bleiben und sich feldmäßig verschanzen; dann sind auch etwa 80,000 in den<lb/>
4 Festungen und in Venedig gefesselt, während 100.000 M. des Feindes auf<lb/>
dem rechten oder linken Flügel eine Umgehung ausführen und, wo immer sie<lb/>
die Oestreichs treffen, sie in der Minderzahl finden. Denn wollten die Oestreicher<lb/>
die Festungen noch mehr entblößen, so würde der Feind in das Viereck eindringe»<lb/>
und Peschiera und Mantua mit unzureichenden Besatzungen abschneiden und<lb/>
einschließen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_868"> Das östreichische Heer aber mühte links und rechts Corps gleichzeitig de-<lb/>
tachiren, während der Gegner, durch die Aufstellung seines Corps vor dem<lb/>
Mincio maskirt. beliebig an den Po oder in die Alpen eine compacte Mal&gt;e<lb/>
werfen kann.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_869"> Ein an Zahl noch stärkerer Feind würde noch freier und übermächtiger<lb/>
auf die Communicationen fallen können.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_870" next="#ID_871"> Den Einwand. daß das Viereck seine Bedeutung darin habe, einer öst¬<lb/>
reichischen schwächeren Armee Schutz zu geben, bis sie sich durch Zuzüge ver¬<lb/>
stärkt habe und zur Aufnahme der Offensive fähig sei, können wir allerdings<lb/>
bis zu einem gewissen Grade gelten lassen. Aber- wir müssen wiederholt ver¬<lb/>
neinen, daß es dazu des furchtbaren Festungsapparats bedarf, und betonen, daß<lb/>
die Minciolinie für Offensivbewegungen (wie auch die Schrift angibt) eine<lb/>
ungeeignete Basis bietet.  Vor Allem aber behaupten wir,, daß bei der Leicht&gt;</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0254] erfordern; der Einfall in das südliche Tirol von der Lombardei aus dagegen wäre mit kleineren Corps auszuführen, während die Hauptmasse des Feindes vor der Minciolinic sich aufstellen und die östreichische Macht innerhalb des Vierecks binden könnte. Seitdem Lombardei und Kirchenstaat piemontesisches Gebiet sind, laufen die Verbindungslinien des Vierecks mit dem Schwerpunkt Oestreichs durch Tirol und übev Vicenza, der feindlichen Grenze ziemlich nahe und parallel. Sie sind in weit höherem Grade als je zuvor exponirt. Der Gegner kann schon im Voraus Mittel anhäufen und vorbereiten, zu ihnen zu gelangen. Die nördliche, tiroler Communication ist leichter, die andere über Vicenza anf Udine schwerer zu benutzen, aber weil sie die Hauptcommunication ist. mit entscheidenden Erfolge. Wie hätte sich z, B. der Krieg von 1859 gestaltet, wenn bei seinem Fort- gange der Prinz Napoleon, statt oberhalb Mantun, den Po bei Ferrara über¬ schreiten und Garibaldi u. a. Parteigänger ans Trient herabsteigen gekonnt? Die Minciolinic ist nicht blos zu tourniren, sie ist sogar verhältnißmäßig leicht zu tourniren. Denn die Werke sind zu sehr gehäuft. erfordern also zu viel Besatzung und lassen zu wenig Feldtruppen für die Vertheidigung anderer Stellen übng. Angenommen, es stehen 200,000 Mann in der Lombardei, und 160,000 in Venetien und Südtirol — wir setzen absichtlich nur eine ge¬ ringe Differenz — so wird der Feind mit 100,000 M. vor dem Mincio stehen bleiben und sich feldmäßig verschanzen; dann sind auch etwa 80,000 in den 4 Festungen und in Venedig gefesselt, während 100.000 M. des Feindes auf dem rechten oder linken Flügel eine Umgehung ausführen und, wo immer sie die Oestreichs treffen, sie in der Minderzahl finden. Denn wollten die Oestreicher die Festungen noch mehr entblößen, so würde der Feind in das Viereck eindringe» und Peschiera und Mantua mit unzureichenden Besatzungen abschneiden und einschließen. Das östreichische Heer aber mühte links und rechts Corps gleichzeitig de- tachiren, während der Gegner, durch die Aufstellung seines Corps vor dem Mincio maskirt. beliebig an den Po oder in die Alpen eine compacte Mal>e werfen kann. Ein an Zahl noch stärkerer Feind würde noch freier und übermächtiger auf die Communicationen fallen können. Den Einwand. daß das Viereck seine Bedeutung darin habe, einer öst¬ reichischen schwächeren Armee Schutz zu geben, bis sie sich durch Zuzüge ver¬ stärkt habe und zur Aufnahme der Offensive fähig sei, können wir allerdings bis zu einem gewissen Grade gelten lassen. Aber- wir müssen wiederholt ver¬ neinen, daß es dazu des furchtbaren Festungsapparats bedarf, und betonen, daß die Minciolinie für Offensivbewegungen (wie auch die Schrift angibt) eine ungeeignete Basis bietet. Vor Allem aber behaupten wir,, daß bei der Leicht>g°

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/254
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/254>, abgerufen am 23.07.2024.