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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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Wiens ist null, da letzteres gar nicht bedroht ist; oder aber die deutsche Grenze
wird vom Feinde nicht respectirt. Der letzte Fall ist der in Betracht kom¬
mende.

Hier ist nun die zu vertheidigende Linie (die Neutralität der Schweiz,
also den günstigen Fall angenommen) nicht 3'/,, nicht 7, sondern von der
Pomündung bis zum Stilfser Joch ziemlich genau 42 deutsche Meilen lang.
Wir gestehen, daß einige Meilen dieser Grcnzentwicklung durch die Natur voll¬
kommen gesichert sind -- etwa so wie die Strecke zwischen Bingen und Cob-
lenz gegen einen feindlichen Rheinübergang und wie noch viel längere Stre¬
cken der Alpenvertheidigungslinie Oestreichs,

Der Uebergang über den unteren Po ist allerdings an sich nicht so leicht,
als der über den Mincio -- aber auch nicht schwerer, als der über den un¬
tern Rhein oder die untere Eibe und Weichsel -- welche Uebergänge keines¬
wegs zu den größten Kunststücken der Taktik und Strategie gezählt werden.

Der Uebergang auf der Bergstrecke vom Bormio bis zum Gardasee da¬
gegen bietet mehrere gute Straßen, das Stilfser Joch, den Tonale und die
Straße, welche am Jdreo See in die Giudicaria. auf Trient und Roveredo
fuhrt. Jedenfalls mußte der Verfasser nach seiner Behauptung, daß der Weg
vom Jsonzo bis Wien, der mehrmals über die Alpen führt, gar nicht zu
vertheidigen ist, zugeben, daß das Eindringen in Tirol von jener Seite her
keine unüberwindlichen Schwierigkeiten hat. Wir halten es nun freilich noch
Mit mancherlei Bedenklichkeiten verknüpft, falls Oestreich sich mannhaft wider¬
setzt: wir halten es aber zugleich im ABC der Kriegskunst begründet, daß ein
feindlicher Feldherr eher über den Po und diese Alpenpässe vordringen, als mit
dem Kopfe gegen die Festungen rennen wird.

Es ist wol nicht nöthig, zu bemerken, daß bei jedem Defensiv-, geschweige
Festungskrieg der Feind als übermächtig, durch vorhergehenden Sieg oder
Z"si, vorausgesetzt wird und daß die von Westen kommende Heeresmacht also
einigermaßen frei sich bewegen kann. Der Werth der Festungen liegt darin,
daß eine geringe Macht einer großen die Wage hallen kann. Hat Oestreich
'n dem Viereck 200000 Mann und der Feind 200000 davor; so ist die Stärke
der Festungen und Positionen nur eine untergeordnete Frage: dann sucht
wan sich im offenen Felde auf. und Schutzlinien zweiten und dritten Grades
bieten dieselben Vortheile, wie der ganze Apparat des Viereckes.

Man hat sich daran gewöhnt, Tirol und den Kirchenstaat als neutrales
Gebiet zu denken, so daß man bat auf keinen feindlichen Hauptstoß rechnet.
In der italienischen Festrmg Bologna oder Bresccllo wird in Zukunft ein
Vrlickentrain stehen, und die Gefahr eines Einbruches des Feindes von Süden
h^'. im Rücken der Festungen, wie die eines directen feindlichen Marsches auf
^olM oder Trient zu gewärtigen sein. Jener Angriff würde größere Massen


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Wiens ist null, da letzteres gar nicht bedroht ist; oder aber die deutsche Grenze
wird vom Feinde nicht respectirt. Der letzte Fall ist der in Betracht kom¬
mende.

Hier ist nun die zu vertheidigende Linie (die Neutralität der Schweiz,
also den günstigen Fall angenommen) nicht 3'/,, nicht 7, sondern von der
Pomündung bis zum Stilfser Joch ziemlich genau 42 deutsche Meilen lang.
Wir gestehen, daß einige Meilen dieser Grcnzentwicklung durch die Natur voll¬
kommen gesichert sind — etwa so wie die Strecke zwischen Bingen und Cob-
lenz gegen einen feindlichen Rheinübergang und wie noch viel längere Stre¬
cken der Alpenvertheidigungslinie Oestreichs,

Der Uebergang über den unteren Po ist allerdings an sich nicht so leicht,
als der über den Mincio — aber auch nicht schwerer, als der über den un¬
tern Rhein oder die untere Eibe und Weichsel — welche Uebergänge keines¬
wegs zu den größten Kunststücken der Taktik und Strategie gezählt werden.

Der Uebergang auf der Bergstrecke vom Bormio bis zum Gardasee da¬
gegen bietet mehrere gute Straßen, das Stilfser Joch, den Tonale und die
Straße, welche am Jdreo See in die Giudicaria. auf Trient und Roveredo
fuhrt. Jedenfalls mußte der Verfasser nach seiner Behauptung, daß der Weg
vom Jsonzo bis Wien, der mehrmals über die Alpen führt, gar nicht zu
vertheidigen ist, zugeben, daß das Eindringen in Tirol von jener Seite her
keine unüberwindlichen Schwierigkeiten hat. Wir halten es nun freilich noch
Mit mancherlei Bedenklichkeiten verknüpft, falls Oestreich sich mannhaft wider¬
setzt: wir halten es aber zugleich im ABC der Kriegskunst begründet, daß ein
feindlicher Feldherr eher über den Po und diese Alpenpässe vordringen, als mit
dem Kopfe gegen die Festungen rennen wird.

Es ist wol nicht nöthig, zu bemerken, daß bei jedem Defensiv-, geschweige
Festungskrieg der Feind als übermächtig, durch vorhergehenden Sieg oder
Z"si, vorausgesetzt wird und daß die von Westen kommende Heeresmacht also
einigermaßen frei sich bewegen kann. Der Werth der Festungen liegt darin,
daß eine geringe Macht einer großen die Wage hallen kann. Hat Oestreich
'n dem Viereck 200000 Mann und der Feind 200000 davor; so ist die Stärke
der Festungen und Positionen nur eine untergeordnete Frage: dann sucht
wan sich im offenen Felde auf. und Schutzlinien zweiten und dritten Grades
bieten dieselben Vortheile, wie der ganze Apparat des Viereckes.

Man hat sich daran gewöhnt, Tirol und den Kirchenstaat als neutrales
Gebiet zu denken, so daß man bat auf keinen feindlichen Hauptstoß rechnet.
In der italienischen Festrmg Bologna oder Bresccllo wird in Zukunft ein
Vrlickentrain stehen, und die Gefahr eines Einbruches des Feindes von Süden
h^'. im Rücken der Festungen, wie die eines directen feindlichen Marsches auf
^olM oder Trient zu gewärtigen sein. Jener Angriff würde größere Massen


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[0253] Wiens ist null, da letzteres gar nicht bedroht ist; oder aber die deutsche Grenze wird vom Feinde nicht respectirt. Der letzte Fall ist der in Betracht kom¬ mende. Hier ist nun die zu vertheidigende Linie (die Neutralität der Schweiz, also den günstigen Fall angenommen) nicht 3'/,, nicht 7, sondern von der Pomündung bis zum Stilfser Joch ziemlich genau 42 deutsche Meilen lang. Wir gestehen, daß einige Meilen dieser Grcnzentwicklung durch die Natur voll¬ kommen gesichert sind — etwa so wie die Strecke zwischen Bingen und Cob- lenz gegen einen feindlichen Rheinübergang und wie noch viel längere Stre¬ cken der Alpenvertheidigungslinie Oestreichs, Der Uebergang über den unteren Po ist allerdings an sich nicht so leicht, als der über den Mincio — aber auch nicht schwerer, als der über den un¬ tern Rhein oder die untere Eibe und Weichsel — welche Uebergänge keines¬ wegs zu den größten Kunststücken der Taktik und Strategie gezählt werden. Der Uebergang auf der Bergstrecke vom Bormio bis zum Gardasee da¬ gegen bietet mehrere gute Straßen, das Stilfser Joch, den Tonale und die Straße, welche am Jdreo See in die Giudicaria. auf Trient und Roveredo fuhrt. Jedenfalls mußte der Verfasser nach seiner Behauptung, daß der Weg vom Jsonzo bis Wien, der mehrmals über die Alpen führt, gar nicht zu vertheidigen ist, zugeben, daß das Eindringen in Tirol von jener Seite her keine unüberwindlichen Schwierigkeiten hat. Wir halten es nun freilich noch Mit mancherlei Bedenklichkeiten verknüpft, falls Oestreich sich mannhaft wider¬ setzt: wir halten es aber zugleich im ABC der Kriegskunst begründet, daß ein feindlicher Feldherr eher über den Po und diese Alpenpässe vordringen, als mit dem Kopfe gegen die Festungen rennen wird. Es ist wol nicht nöthig, zu bemerken, daß bei jedem Defensiv-, geschweige Festungskrieg der Feind als übermächtig, durch vorhergehenden Sieg oder Z"si, vorausgesetzt wird und daß die von Westen kommende Heeresmacht also einigermaßen frei sich bewegen kann. Der Werth der Festungen liegt darin, daß eine geringe Macht einer großen die Wage hallen kann. Hat Oestreich 'n dem Viereck 200000 Mann und der Feind 200000 davor; so ist die Stärke der Festungen und Positionen nur eine untergeordnete Frage: dann sucht wan sich im offenen Felde auf. und Schutzlinien zweiten und dritten Grades bieten dieselben Vortheile, wie der ganze Apparat des Viereckes. Man hat sich daran gewöhnt, Tirol und den Kirchenstaat als neutrales Gebiet zu denken, so daß man bat auf keinen feindlichen Hauptstoß rechnet. In der italienischen Festrmg Bologna oder Bresccllo wird in Zukunft ein Vrlickentrain stehen, und die Gefahr eines Einbruches des Feindes von Süden h^'. im Rücken der Festungen, wie die eines directen feindlichen Marsches auf ^olM oder Trient zu gewärtigen sein. Jener Angriff würde größere Massen 31*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/253>, abgerufen am 22.07.2024.