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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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aueh und Liebe beseelen; Sie sollen ihm einen Geschmack der Freundschaft
mittheilen, die macht, daß die ewigen Seelen von himmlischer Freund¬
schaft erzittern; Sie sollen seine Seele mit großen Gedanken anfüllen,
ein jedes Glück zu verachten, das pöbelhaft ist. weil es nur irdisch ist. und
eine jede Weisheit zu verwerfen, die kein Gefühl für die Liebe und Tugend
hat. Dieses Alles sollen Sie thun, damit sein Herz in den Vorstellungen
der liebenswürdigen himmlischen Personen nicht erschöpft werde! Das ist das
himmlische Vorrecht der Tugend, daß sie die Herzen der Jünglinge durch
Blicke, durch süße Reden, durch kleine Gunstbezeugungen zu erhabenen
Unternehmungen geschickter macht. Dadurch bekommen Sie an dem
Werk der Erlösung Antheil. Die Nachwelt wird den Messias nie lesen,
ohne mit dem zweiten Gedanken auf Sie zu fallen, und dieser Gedanke wird
allemal ein Segen sein! Wenn ich die Nachwelt sage, was für eine
Menge von Geschlechtern verstehe ich. die auf einander folgen werden!
Ganze Nationen, die ihre Lust am Messias finden, und neben der
Lust göttliche Gedanken und Empfindungen darin lernen werden,
welche sie mit dem Mittler vereinigen und zu dem versöhnten
Gott erheben; Nationen werden Ihnen dann nicht das Gedicht
auf den Messias allein, sondern die .Seligkeit anbauten, welche sie
durch das Gedicht gesunden haben. (Natürlich: die ewige Seligkeit!) Welche
Last von Glückseligkeit ist daran gelegen, daß der Poet das große Vornehmen
vollende! Wie kostbar ist sein Lebe" Weiten, die noch nicht geboren sind. Was
für eine Verantwortung liegt auf denen, die ihn durch unwitzige Geschäfte, durch
widrige Sorgen, durch stumme Wehmuth in seinem Umgang mit der himmlische"
Muse stören, die das göttliche Gedicht dadurch in seinem Wachsthum verzögern.
Wenn das Werk der Erlösung durch den Poeten nicht zu Ende gebracht würde, so
würde es bei mir einen Kummer verursachen, als wenn eben S.atan seine fin'
ödere Entschließung gelungen wäre, den Messias zu tödten und die Erlösung
des Menschengeschlechts zu hintertreiben."

So schrieb nicht ein unbärtiger Knabe, sondern ein Mum von fünfzig Jahre".
-- Aus diesen Zeilen lernenwir Bodmers Bedeutungfür dieLiteratur, nicht aus se>'
neu armseligen Zänkereien mit Gottsched, nicht aus seinen epischen Gedichten ^
die aussehn wie ein Lohensteinischer Roman in holperigte Hexameter, gebracht ^
selbst nicht aus seinen theoretischen Werken, in denen Wahres. Halbwahres und
offenbar Falsches sich unbeholfen durch einander drängt. Uns kommen jene Idee"
komisch vor; für jene Zeit waren sie die Ankündigung einerneuen Culturperiode.

Der Raum veranlaßt uns diesmal abzubrechen; wir behalten uns aber
vor, auf die andern Hauptcharaktere, die Mörikofer zeichnet, zurückzukommen-


Julian Schmidt.


aueh und Liebe beseelen; Sie sollen ihm einen Geschmack der Freundschaft
mittheilen, die macht, daß die ewigen Seelen von himmlischer Freund¬
schaft erzittern; Sie sollen seine Seele mit großen Gedanken anfüllen,
ein jedes Glück zu verachten, das pöbelhaft ist. weil es nur irdisch ist. und
eine jede Weisheit zu verwerfen, die kein Gefühl für die Liebe und Tugend
hat. Dieses Alles sollen Sie thun, damit sein Herz in den Vorstellungen
der liebenswürdigen himmlischen Personen nicht erschöpft werde! Das ist das
himmlische Vorrecht der Tugend, daß sie die Herzen der Jünglinge durch
Blicke, durch süße Reden, durch kleine Gunstbezeugungen zu erhabenen
Unternehmungen geschickter macht. Dadurch bekommen Sie an dem
Werk der Erlösung Antheil. Die Nachwelt wird den Messias nie lesen,
ohne mit dem zweiten Gedanken auf Sie zu fallen, und dieser Gedanke wird
allemal ein Segen sein! Wenn ich die Nachwelt sage, was für eine
Menge von Geschlechtern verstehe ich. die auf einander folgen werden!
Ganze Nationen, die ihre Lust am Messias finden, und neben der
Lust göttliche Gedanken und Empfindungen darin lernen werden,
welche sie mit dem Mittler vereinigen und zu dem versöhnten
Gott erheben; Nationen werden Ihnen dann nicht das Gedicht
auf den Messias allein, sondern die .Seligkeit anbauten, welche sie
durch das Gedicht gesunden haben. (Natürlich: die ewige Seligkeit!) Welche
Last von Glückseligkeit ist daran gelegen, daß der Poet das große Vornehmen
vollende! Wie kostbar ist sein Lebe» Weiten, die noch nicht geboren sind. Was
für eine Verantwortung liegt auf denen, die ihn durch unwitzige Geschäfte, durch
widrige Sorgen, durch stumme Wehmuth in seinem Umgang mit der himmlische»
Muse stören, die das göttliche Gedicht dadurch in seinem Wachsthum verzögern.
Wenn das Werk der Erlösung durch den Poeten nicht zu Ende gebracht würde, so
würde es bei mir einen Kummer verursachen, als wenn eben S.atan seine fin'
ödere Entschließung gelungen wäre, den Messias zu tödten und die Erlösung
des Menschengeschlechts zu hintertreiben."

So schrieb nicht ein unbärtiger Knabe, sondern ein Mum von fünfzig Jahre».
— Aus diesen Zeilen lernenwir Bodmers Bedeutungfür dieLiteratur, nicht aus se>'
neu armseligen Zänkereien mit Gottsched, nicht aus seinen epischen Gedichten ^
die aussehn wie ein Lohensteinischer Roman in holperigte Hexameter, gebracht ^
selbst nicht aus seinen theoretischen Werken, in denen Wahres. Halbwahres und
offenbar Falsches sich unbeholfen durch einander drängt. Uns kommen jene Idee»
komisch vor; für jene Zeit waren sie die Ankündigung einerneuen Culturperiode.

Der Raum veranlaßt uns diesmal abzubrechen; wir behalten uns aber
vor, auf die andern Hauptcharaktere, die Mörikofer zeichnet, zurückzukommen-


Julian Schmidt.


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[0218] aueh und Liebe beseelen; Sie sollen ihm einen Geschmack der Freundschaft mittheilen, die macht, daß die ewigen Seelen von himmlischer Freund¬ schaft erzittern; Sie sollen seine Seele mit großen Gedanken anfüllen, ein jedes Glück zu verachten, das pöbelhaft ist. weil es nur irdisch ist. und eine jede Weisheit zu verwerfen, die kein Gefühl für die Liebe und Tugend hat. Dieses Alles sollen Sie thun, damit sein Herz in den Vorstellungen der liebenswürdigen himmlischen Personen nicht erschöpft werde! Das ist das himmlische Vorrecht der Tugend, daß sie die Herzen der Jünglinge durch Blicke, durch süße Reden, durch kleine Gunstbezeugungen zu erhabenen Unternehmungen geschickter macht. Dadurch bekommen Sie an dem Werk der Erlösung Antheil. Die Nachwelt wird den Messias nie lesen, ohne mit dem zweiten Gedanken auf Sie zu fallen, und dieser Gedanke wird allemal ein Segen sein! Wenn ich die Nachwelt sage, was für eine Menge von Geschlechtern verstehe ich. die auf einander folgen werden! Ganze Nationen, die ihre Lust am Messias finden, und neben der Lust göttliche Gedanken und Empfindungen darin lernen werden, welche sie mit dem Mittler vereinigen und zu dem versöhnten Gott erheben; Nationen werden Ihnen dann nicht das Gedicht auf den Messias allein, sondern die .Seligkeit anbauten, welche sie durch das Gedicht gesunden haben. (Natürlich: die ewige Seligkeit!) Welche Last von Glückseligkeit ist daran gelegen, daß der Poet das große Vornehmen vollende! Wie kostbar ist sein Lebe» Weiten, die noch nicht geboren sind. Was für eine Verantwortung liegt auf denen, die ihn durch unwitzige Geschäfte, durch widrige Sorgen, durch stumme Wehmuth in seinem Umgang mit der himmlische» Muse stören, die das göttliche Gedicht dadurch in seinem Wachsthum verzögern. Wenn das Werk der Erlösung durch den Poeten nicht zu Ende gebracht würde, so würde es bei mir einen Kummer verursachen, als wenn eben S.atan seine fin' ödere Entschließung gelungen wäre, den Messias zu tödten und die Erlösung des Menschengeschlechts zu hintertreiben." So schrieb nicht ein unbärtiger Knabe, sondern ein Mum von fünfzig Jahre». — Aus diesen Zeilen lernenwir Bodmers Bedeutungfür dieLiteratur, nicht aus se>' neu armseligen Zänkereien mit Gottsched, nicht aus seinen epischen Gedichten ^ die aussehn wie ein Lohensteinischer Roman in holperigte Hexameter, gebracht ^ selbst nicht aus seinen theoretischen Werken, in denen Wahres. Halbwahres und offenbar Falsches sich unbeholfen durch einander drängt. Uns kommen jene Idee» komisch vor; für jene Zeit waren sie die Ankündigung einerneuen Culturperiode. Der Raum veranlaßt uns diesmal abzubrechen; wir behalten uns aber vor, auf die andern Hauptcharaktere, die Mörikofer zeichnet, zurückzukommen- Julian Schmidt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/218>, abgerufen am 27.08.2024.