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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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Wo jener Begriff des Dichters, des Sehers bei Klopstock herkam, haben
wir gezeigt. Er stand im Anfang sehr allein damit; die Freunde, die den
Anfang der Messiade in die "Bremer Beitrage" aufnahmen, waren über
dessen Werth sehr zweifelhaft; erst durch Bodmers unermüdliche Propaganda
wurde er durchgesetzt Unmittelbar daraus beginnt dann die Fluth der in-
spirirter Poesie, die schließlich zu einer Doctrin und zuletzt, wunderbar genug!
ju einer dem Philister geläufigen Redensart wurde.

Was aber Bodmer bestimmte, war im Grunde der Rest jener alten pic-
Mischen Neigungen, die seine rationalistische Bildung nicht ganz unterdrückt
hatte. Dem kirchlichen Leben stand er nicht nah, für Betstuben hatte er
keinen Sinn, aber die Idee eines heiligen gottgeweihten Lebens war ihm
geblieben; an der Vorstellung vom blinden Milton hatte, er sie genährt, im
Messias trat sie ihm nun lebendig entgegen. Er schuf sich in seiner Einbil¬
dung einen Klopstock, der in der Wirklichkeit nicht existirte; sein Brief an Fanny
ist ebenso komisch als rührend, und wenn er es Klopstock als Bescheidenheit
auslegte, daß er diesen Brief nicht abgab, während Klopstock es doch nur
unterließ, um sich nicht lächerlich zu machen, so erklärt das zugleich das Ent¬
setzen, das Bodmer ergreift, als der wirkliche Klopstock lustige Gesellschaften
^suchte, als der schwärmerische Liebhaber der seraphischen Fanny ein junges
Mädchen nach dem andern küßte, und als er sogar -- schrecklich zu sagen!
^!n' viel Wein trank! Freilich waren es nur ^alia-xuora, aber so wenig wie
Tpener bei dem wahren Christen, konnte der Apostel der neuen Poesie sie bei
dem wahren Sänger Gottes gelten lassen. -- Das Alles ist bei Mörilofer sehr
""lchaulich und liebenswürdig erzählt.

Um sich den ungeheuern Umschwung in dem Begriff der poetischen Aus¬
übe zu vergegenwärtige", der in Bodmer gegen Weise und Gottsched hervor-
">et (beide hatten von der "brodlosen Kunst", die nicht entwürdigt wurde,
^'Nu man "für eine kleine Erkenntlichkeit" hoher Gönner häusliche Ereignisse
^!arg, ungefähr die nämliche Vorstellung), vergleiche man mit den obigen
Fütterungen Welses den schon erwähnten Brief Bodmers an Fanny, unmittel-
bar nach der ersten Lectüre des Anfangs vom Messias geschrieben. -- "Ich
eure Sie nicht mehr, als daß ich weiß, daß der Poet des Messias Sie zur
"trauten und Richterin seines Werks gemacht hat. Dieses ist genug, mir
^um untrüglichen Begriff von Ihren Tugenden zu machen und mich in meiner
"ose wegen des Messias auszurichten. Die geringste Sache kann mir nicht
Üwchgültig sein, welche den Messias angeht; wie sollte mir gleichartig sein
"neu, was für eine Person der Dichter zu seiner Bertrauten, zu seiner irdi-
Muse bei dem Werk der Erlösung gewählt hat. Ein ehrsnrchts-
a ter Schauer überfällt mich, wenn ich gedenke, was für eine herrliche
"ik das Schicksal, Mademoiselle, Ihnen zugedacht hat. Sie sollen den
""en Me den zärtlichsten Empfindungen von himmlischer Unschuld, Sanft-


Wo jener Begriff des Dichters, des Sehers bei Klopstock herkam, haben
wir gezeigt. Er stand im Anfang sehr allein damit; die Freunde, die den
Anfang der Messiade in die „Bremer Beitrage" aufnahmen, waren über
dessen Werth sehr zweifelhaft; erst durch Bodmers unermüdliche Propaganda
wurde er durchgesetzt Unmittelbar daraus beginnt dann die Fluth der in-
spirirter Poesie, die schließlich zu einer Doctrin und zuletzt, wunderbar genug!
ju einer dem Philister geläufigen Redensart wurde.

Was aber Bodmer bestimmte, war im Grunde der Rest jener alten pic-
Mischen Neigungen, die seine rationalistische Bildung nicht ganz unterdrückt
hatte. Dem kirchlichen Leben stand er nicht nah, für Betstuben hatte er
keinen Sinn, aber die Idee eines heiligen gottgeweihten Lebens war ihm
geblieben; an der Vorstellung vom blinden Milton hatte, er sie genährt, im
Messias trat sie ihm nun lebendig entgegen. Er schuf sich in seiner Einbil¬
dung einen Klopstock, der in der Wirklichkeit nicht existirte; sein Brief an Fanny
ist ebenso komisch als rührend, und wenn er es Klopstock als Bescheidenheit
auslegte, daß er diesen Brief nicht abgab, während Klopstock es doch nur
unterließ, um sich nicht lächerlich zu machen, so erklärt das zugleich das Ent¬
setzen, das Bodmer ergreift, als der wirkliche Klopstock lustige Gesellschaften
^suchte, als der schwärmerische Liebhaber der seraphischen Fanny ein junges
Mädchen nach dem andern küßte, und als er sogar — schrecklich zu sagen!
^!n' viel Wein trank! Freilich waren es nur ^alia-xuora, aber so wenig wie
Tpener bei dem wahren Christen, konnte der Apostel der neuen Poesie sie bei
dem wahren Sänger Gottes gelten lassen. — Das Alles ist bei Mörilofer sehr
"»lchaulich und liebenswürdig erzählt.

Um sich den ungeheuern Umschwung in dem Begriff der poetischen Aus¬
übe zu vergegenwärtige», der in Bodmer gegen Weise und Gottsched hervor-
">et (beide hatten von der „brodlosen Kunst", die nicht entwürdigt wurde,
^'Nu man „für eine kleine Erkenntlichkeit" hoher Gönner häusliche Ereignisse
^!arg, ungefähr die nämliche Vorstellung), vergleiche man mit den obigen
Fütterungen Welses den schon erwähnten Brief Bodmers an Fanny, unmittel-
bar nach der ersten Lectüre des Anfangs vom Messias geschrieben. — „Ich
eure Sie nicht mehr, als daß ich weiß, daß der Poet des Messias Sie zur
«trauten und Richterin seines Werks gemacht hat. Dieses ist genug, mir
^um untrüglichen Begriff von Ihren Tugenden zu machen und mich in meiner
"ose wegen des Messias auszurichten. Die geringste Sache kann mir nicht
Üwchgültig sein, welche den Messias angeht; wie sollte mir gleichartig sein
"neu, was für eine Person der Dichter zu seiner Bertrauten, zu seiner irdi-
Muse bei dem Werk der Erlösung gewählt hat. Ein ehrsnrchts-
a ter Schauer überfällt mich, wenn ich gedenke, was für eine herrliche
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[0217] Wo jener Begriff des Dichters, des Sehers bei Klopstock herkam, haben wir gezeigt. Er stand im Anfang sehr allein damit; die Freunde, die den Anfang der Messiade in die „Bremer Beitrage" aufnahmen, waren über dessen Werth sehr zweifelhaft; erst durch Bodmers unermüdliche Propaganda wurde er durchgesetzt Unmittelbar daraus beginnt dann die Fluth der in- spirirter Poesie, die schließlich zu einer Doctrin und zuletzt, wunderbar genug! ju einer dem Philister geläufigen Redensart wurde. Was aber Bodmer bestimmte, war im Grunde der Rest jener alten pic- Mischen Neigungen, die seine rationalistische Bildung nicht ganz unterdrückt hatte. Dem kirchlichen Leben stand er nicht nah, für Betstuben hatte er keinen Sinn, aber die Idee eines heiligen gottgeweihten Lebens war ihm geblieben; an der Vorstellung vom blinden Milton hatte, er sie genährt, im Messias trat sie ihm nun lebendig entgegen. Er schuf sich in seiner Einbil¬ dung einen Klopstock, der in der Wirklichkeit nicht existirte; sein Brief an Fanny ist ebenso komisch als rührend, und wenn er es Klopstock als Bescheidenheit auslegte, daß er diesen Brief nicht abgab, während Klopstock es doch nur unterließ, um sich nicht lächerlich zu machen, so erklärt das zugleich das Ent¬ setzen, das Bodmer ergreift, als der wirkliche Klopstock lustige Gesellschaften ^suchte, als der schwärmerische Liebhaber der seraphischen Fanny ein junges Mädchen nach dem andern küßte, und als er sogar — schrecklich zu sagen! ^!n' viel Wein trank! Freilich waren es nur ^alia-xuora, aber so wenig wie Tpener bei dem wahren Christen, konnte der Apostel der neuen Poesie sie bei dem wahren Sänger Gottes gelten lassen. — Das Alles ist bei Mörilofer sehr "»lchaulich und liebenswürdig erzählt. Um sich den ungeheuern Umschwung in dem Begriff der poetischen Aus¬ übe zu vergegenwärtige», der in Bodmer gegen Weise und Gottsched hervor- ">et (beide hatten von der „brodlosen Kunst", die nicht entwürdigt wurde, ^'Nu man „für eine kleine Erkenntlichkeit" hoher Gönner häusliche Ereignisse ^!arg, ungefähr die nämliche Vorstellung), vergleiche man mit den obigen Fütterungen Welses den schon erwähnten Brief Bodmers an Fanny, unmittel- bar nach der ersten Lectüre des Anfangs vom Messias geschrieben. — „Ich eure Sie nicht mehr, als daß ich weiß, daß der Poet des Messias Sie zur «trauten und Richterin seines Werks gemacht hat. Dieses ist genug, mir ^um untrüglichen Begriff von Ihren Tugenden zu machen und mich in meiner "ose wegen des Messias auszurichten. Die geringste Sache kann mir nicht Üwchgültig sein, welche den Messias angeht; wie sollte mir gleichartig sein "neu, was für eine Person der Dichter zu seiner Bertrauten, zu seiner irdi- Muse bei dem Werk der Erlösung gewählt hat. Ein ehrsnrchts- a ter Schauer überfällt mich, wenn ich gedenke, was für eine herrliche "ik das Schicksal, Mademoiselle, Ihnen zugedacht hat. Sie sollen den "«en Me den zärtlichsten Empfindungen von himmlischer Unschuld, Sanft-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/217>, abgerufen am 27.08.2024.