Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Aufgehn des Menschen in die Poesie gestatteten sie nicht, und namentlich Bil-
finger warnt sehr ernstlich vor einer zu großen Ausdehnung dieser Nebenstun-
den. (Zui orrmem aetirtem, sagt er 1725, eouäenäis e^rminidus true legen-
clis veterum Zeelg.matiouibus transigunt, nu keroultiitsin clistincte res von-
eipieuäi successive imminuunt.

Genau so dachte die dritte Classe der Neuerer, die wir als Vertreter des
gesunden Menschenverstandes bezeichnet haben. Christian Weise war seiner
Zeit einer der geacvtetstcn Dichter, so wie einer der fruchtbarsten. Er spricht
sich über seine Kunst 1675 und 1691 folgendermaßen aus. "Sofern ein jünger
Mensch zu etwas Rechtschaffenen will angewiesen werden, daß er hernach mit
Ehren sich in der Welt kann sehen lassen, der muß etliche Nebenstunden mit
Versschreiben zubringen. Ist Geschicklichkeit im Reden nothwendig, so folgt
auch, daß man der Poeterei allerdings nicht entbehren könne. Der Nutzen der
Poesie besteht darin, daß man eoMm verdvrum, die Kunst zu variiren und
den numerum org-toi-inen lerne." "Die süße Poesie soll euch nur munter
machen, damit ihr allerseits die Reden und die Sachen geschickt verbinden
könnt, sie soll der Zucker sein, den müßt ihr auf den Saft der andern Künste
streun. Drum lacht die andern aus, die blos in bloßen Reimen den armen
Kopf bemühn und alles sonst versäumen was gut und nützlich ist."

.Indem wir diese Meinung, welche in jener Periode die allgemeine war,
erwägen, und die ganz entgegengesetzte Ausfassung vom Dichter damit in Ver¬
gleich stellen, die seit dem Messias die herrschende wird, geht uns Bodmers
ganze Bedeutung für die Geschichte unserer Literatur aus. Sie liegt nicht im
Gegensatz seiner Regeln zu den Regeln Gottscheds, in denen bald der eine,
bald der andere Recht hat (so wird man z. B. im Urtheil über die allego¬
rischen Figuren bei Milton eher Gottsched als Bodmer beipflichten); sie liegt
nicht in dem verschiedenen Geschmack, nicht in dem Unterschied der poetischen
Uebungen (die Noachide ist jedenfalls noch schlechter als der sterbende Cato);
sie liegt auch nicht einmal in dem bessern Verständniß dessen, woraus es eigenl-
ich ankam. Auch ein feiner Kenner des Schönen ohne Productivität wird schlechte
Gedichte machen, aber nimmermehr solche Dramen und Epopöen, wie sie
Bodmer zu Stande gebracht hat. Die wahre Bedeutung Bodmers liegt da¬
rin, daß er, aus der Wolfschen Schule hervorgegangen, den Begriff eines
Dichters, wie ihn Klopstock aus seiner eignen Seele gebildet hatte, nicht blos
anerkannte, sondern steigerte und für ihn in Deutschland Propaganda machte-
Dies war Bodmers Thatnicht seine Bekämpfung Gottscheds, der auch ohne
ihn gefallen wäre, wie jeder Schulmeister, der seine erwachsenen Zöglinge noch
beim ABC festhalten will.



-) In den Nebensachen ist Mönkofer oft ungenau ; so bezieht er z. B. LessingsEpigram
gegen den halltschcn Meier (er habe Klopstock auf den Platz gestellt, wo er schon stand)
Bodmer:

Aufgehn des Menschen in die Poesie gestatteten sie nicht, und namentlich Bil-
finger warnt sehr ernstlich vor einer zu großen Ausdehnung dieser Nebenstun-
den. (Zui orrmem aetirtem, sagt er 1725, eouäenäis e^rminidus true legen-
clis veterum Zeelg.matiouibus transigunt, nu keroultiitsin clistincte res von-
eipieuäi successive imminuunt.

Genau so dachte die dritte Classe der Neuerer, die wir als Vertreter des
gesunden Menschenverstandes bezeichnet haben. Christian Weise war seiner
Zeit einer der geacvtetstcn Dichter, so wie einer der fruchtbarsten. Er spricht
sich über seine Kunst 1675 und 1691 folgendermaßen aus. „Sofern ein jünger
Mensch zu etwas Rechtschaffenen will angewiesen werden, daß er hernach mit
Ehren sich in der Welt kann sehen lassen, der muß etliche Nebenstunden mit
Versschreiben zubringen. Ist Geschicklichkeit im Reden nothwendig, so folgt
auch, daß man der Poeterei allerdings nicht entbehren könne. Der Nutzen der
Poesie besteht darin, daß man eoMm verdvrum, die Kunst zu variiren und
den numerum org-toi-inen lerne." „Die süße Poesie soll euch nur munter
machen, damit ihr allerseits die Reden und die Sachen geschickt verbinden
könnt, sie soll der Zucker sein, den müßt ihr auf den Saft der andern Künste
streun. Drum lacht die andern aus, die blos in bloßen Reimen den armen
Kopf bemühn und alles sonst versäumen was gut und nützlich ist."

.Indem wir diese Meinung, welche in jener Periode die allgemeine war,
erwägen, und die ganz entgegengesetzte Ausfassung vom Dichter damit in Ver¬
gleich stellen, die seit dem Messias die herrschende wird, geht uns Bodmers
ganze Bedeutung für die Geschichte unserer Literatur aus. Sie liegt nicht im
Gegensatz seiner Regeln zu den Regeln Gottscheds, in denen bald der eine,
bald der andere Recht hat (so wird man z. B. im Urtheil über die allego¬
rischen Figuren bei Milton eher Gottsched als Bodmer beipflichten); sie liegt
nicht in dem verschiedenen Geschmack, nicht in dem Unterschied der poetischen
Uebungen (die Noachide ist jedenfalls noch schlechter als der sterbende Cato);
sie liegt auch nicht einmal in dem bessern Verständniß dessen, woraus es eigenl-
ich ankam. Auch ein feiner Kenner des Schönen ohne Productivität wird schlechte
Gedichte machen, aber nimmermehr solche Dramen und Epopöen, wie sie
Bodmer zu Stande gebracht hat. Die wahre Bedeutung Bodmers liegt da¬
rin, daß er, aus der Wolfschen Schule hervorgegangen, den Begriff eines
Dichters, wie ihn Klopstock aus seiner eignen Seele gebildet hatte, nicht blos
anerkannte, sondern steigerte und für ihn in Deutschland Propaganda machte-
Dies war Bodmers Thatnicht seine Bekämpfung Gottscheds, der auch ohne
ihn gefallen wäre, wie jeder Schulmeister, der seine erwachsenen Zöglinge noch
beim ABC festhalten will.



-) In den Nebensachen ist Mönkofer oft ungenau ; so bezieht er z. B. LessingsEpigram
gegen den halltschcn Meier (er habe Klopstock auf den Platz gestellt, wo er schon stand)
Bodmer:
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0216" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/111110"/>
          <p xml:id="ID_695" prev="#ID_694"> Aufgehn des Menschen in die Poesie gestatteten sie nicht, und namentlich Bil-<lb/>
finger warnt sehr ernstlich vor einer zu großen Ausdehnung dieser Nebenstun-<lb/>
den. (Zui orrmem aetirtem, sagt er 1725, eouäenäis e^rminidus true legen-<lb/>
clis veterum Zeelg.matiouibus transigunt, nu keroultiitsin clistincte res von-<lb/>
eipieuäi successive imminuunt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_696"> Genau so dachte die dritte Classe der Neuerer, die wir als Vertreter des<lb/>
gesunden Menschenverstandes bezeichnet haben. Christian Weise war seiner<lb/>
Zeit einer der geacvtetstcn Dichter, so wie einer der fruchtbarsten. Er spricht<lb/>
sich über seine Kunst 1675 und 1691 folgendermaßen aus. &#x201E;Sofern ein jünger<lb/>
Mensch zu etwas Rechtschaffenen will angewiesen werden, daß er hernach mit<lb/>
Ehren sich in der Welt kann sehen lassen, der muß etliche Nebenstunden mit<lb/>
Versschreiben zubringen. Ist Geschicklichkeit im Reden nothwendig, so folgt<lb/>
auch, daß man der Poeterei allerdings nicht entbehren könne. Der Nutzen der<lb/>
Poesie besteht darin, daß man eoMm verdvrum, die Kunst zu variiren und<lb/>
den numerum org-toi-inen lerne." &#x201E;Die süße Poesie soll euch nur munter<lb/>
machen, damit ihr allerseits die Reden und die Sachen geschickt verbinden<lb/>
könnt, sie soll der Zucker sein, den müßt ihr auf den Saft der andern Künste<lb/>
streun. Drum lacht die andern aus, die blos in bloßen Reimen den armen<lb/>
Kopf bemühn und alles sonst versäumen was gut und nützlich ist."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_697"> .Indem wir diese Meinung, welche in jener Periode die allgemeine war,<lb/>
erwägen, und die ganz entgegengesetzte Ausfassung vom Dichter damit in Ver¬<lb/>
gleich stellen, die seit dem Messias die herrschende wird, geht uns Bodmers<lb/>
ganze Bedeutung für die Geschichte unserer Literatur aus. Sie liegt nicht im<lb/>
Gegensatz seiner Regeln zu den Regeln Gottscheds, in denen bald der eine,<lb/>
bald der andere Recht hat (so wird man z. B. im Urtheil über die allego¬<lb/>
rischen Figuren bei Milton eher Gottsched als Bodmer beipflichten); sie liegt<lb/>
nicht in dem verschiedenen Geschmack, nicht in dem Unterschied der poetischen<lb/>
Uebungen (die Noachide ist jedenfalls noch schlechter als der sterbende Cato);<lb/>
sie liegt auch nicht einmal in dem bessern Verständniß dessen, woraus es eigenl-<lb/>
ich ankam. Auch ein feiner Kenner des Schönen ohne Productivität wird schlechte<lb/>
Gedichte machen, aber nimmermehr solche Dramen und Epopöen, wie sie<lb/>
Bodmer zu Stande gebracht hat. Die wahre Bedeutung Bodmers liegt da¬<lb/>
rin, daß er, aus der Wolfschen Schule hervorgegangen, den Begriff eines<lb/>
Dichters, wie ihn Klopstock aus seiner eignen Seele gebildet hatte, nicht blos<lb/>
anerkannte, sondern steigerte und für ihn in Deutschland Propaganda machte-<lb/>
Dies war Bodmers Thatnicht seine Bekämpfung Gottscheds, der auch ohne<lb/>
ihn gefallen wäre, wie jeder Schulmeister, der seine erwachsenen Zöglinge noch<lb/>
beim ABC festhalten will.</p><lb/>
          <note xml:id="FID_13" place="foot"> -) In den Nebensachen ist Mönkofer oft ungenau ; so bezieht er z. B. LessingsEpigram<lb/>
gegen den halltschcn Meier (er habe Klopstock auf den Platz gestellt, wo er schon stand)<lb/>
Bodmer:</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0216] Aufgehn des Menschen in die Poesie gestatteten sie nicht, und namentlich Bil- finger warnt sehr ernstlich vor einer zu großen Ausdehnung dieser Nebenstun- den. (Zui orrmem aetirtem, sagt er 1725, eouäenäis e^rminidus true legen- clis veterum Zeelg.matiouibus transigunt, nu keroultiitsin clistincte res von- eipieuäi successive imminuunt. Genau so dachte die dritte Classe der Neuerer, die wir als Vertreter des gesunden Menschenverstandes bezeichnet haben. Christian Weise war seiner Zeit einer der geacvtetstcn Dichter, so wie einer der fruchtbarsten. Er spricht sich über seine Kunst 1675 und 1691 folgendermaßen aus. „Sofern ein jünger Mensch zu etwas Rechtschaffenen will angewiesen werden, daß er hernach mit Ehren sich in der Welt kann sehen lassen, der muß etliche Nebenstunden mit Versschreiben zubringen. Ist Geschicklichkeit im Reden nothwendig, so folgt auch, daß man der Poeterei allerdings nicht entbehren könne. Der Nutzen der Poesie besteht darin, daß man eoMm verdvrum, die Kunst zu variiren und den numerum org-toi-inen lerne." „Die süße Poesie soll euch nur munter machen, damit ihr allerseits die Reden und die Sachen geschickt verbinden könnt, sie soll der Zucker sein, den müßt ihr auf den Saft der andern Künste streun. Drum lacht die andern aus, die blos in bloßen Reimen den armen Kopf bemühn und alles sonst versäumen was gut und nützlich ist." .Indem wir diese Meinung, welche in jener Periode die allgemeine war, erwägen, und die ganz entgegengesetzte Ausfassung vom Dichter damit in Ver¬ gleich stellen, die seit dem Messias die herrschende wird, geht uns Bodmers ganze Bedeutung für die Geschichte unserer Literatur aus. Sie liegt nicht im Gegensatz seiner Regeln zu den Regeln Gottscheds, in denen bald der eine, bald der andere Recht hat (so wird man z. B. im Urtheil über die allego¬ rischen Figuren bei Milton eher Gottsched als Bodmer beipflichten); sie liegt nicht in dem verschiedenen Geschmack, nicht in dem Unterschied der poetischen Uebungen (die Noachide ist jedenfalls noch schlechter als der sterbende Cato); sie liegt auch nicht einmal in dem bessern Verständniß dessen, woraus es eigenl- ich ankam. Auch ein feiner Kenner des Schönen ohne Productivität wird schlechte Gedichte machen, aber nimmermehr solche Dramen und Epopöen, wie sie Bodmer zu Stande gebracht hat. Die wahre Bedeutung Bodmers liegt da¬ rin, daß er, aus der Wolfschen Schule hervorgegangen, den Begriff eines Dichters, wie ihn Klopstock aus seiner eignen Seele gebildet hatte, nicht blos anerkannte, sondern steigerte und für ihn in Deutschland Propaganda machte- Dies war Bodmers Thatnicht seine Bekämpfung Gottscheds, der auch ohne ihn gefallen wäre, wie jeder Schulmeister, der seine erwachsenen Zöglinge noch beim ABC festhalten will. -) In den Nebensachen ist Mönkofer oft ungenau ; so bezieht er z. B. LessingsEpigram gegen den halltschcn Meier (er habe Klopstock auf den Platz gestellt, wo er schon stand) Bodmer:

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/216
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/216>, abgerufen am 27.08.2024.