Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.heute häufig lächerlich, weil er vieles gesagt hat. was uns trivial vorkommt; Der nächste große Einfluß seiner Lehre findet auf die Religion statt. Wolf Nun lag aber ein zweiter Schritt nahe. Die eigentlichen Wissenschaften Denselben Standpunkt hielten der Hauptsache nach die tieferen Denker heute häufig lächerlich, weil er vieles gesagt hat. was uns trivial vorkommt; Der nächste große Einfluß seiner Lehre findet auf die Religion statt. Wolf Nun lag aber ein zweiter Schritt nahe. Die eigentlichen Wissenschaften Denselben Standpunkt hielten der Hauptsache nach die tieferen Denker <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0215" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/111109"/> <p xml:id="ID_691" prev="#ID_690"> heute häufig lächerlich, weil er vieles gesagt hat. was uns trivial vorkommt;<lb/> es ist «her wol der Mühe werth einmal seine ersten Schriften anzusehen —<lb/> nicht die aus der Marburger Zeit, in der er sich bereits überlebt hatte —und<lb/> ein beliebiges theologisches Buch, oder eine beliebige Poesie der unmittelbar<lb/> vorhergehenden Jahre zu vergleichen. Man athmet eine ganz andere gesunde<lb/> Atmosphäre, man empfindet nicht blos abstracte Gedanken, sondern mit der<lb/> deutschen Sprache auch deutsches Leben.</p><lb/> <p xml:id="ID_692"> Der nächste große Einfluß seiner Lehre findet auf die Religion statt. Wolf<lb/> 'se der eigentliche Vater des Nationalismus. In unserer überstudirten Zeit<lb/> spottet man häufig über dies „Christenthum innerhalb der Grenze der bloßen<lb/> Vernunft". Freilich hat die Religion noch anderes zu thun als zu denken,<lb/> «ber denken muß sie auch, und denken kann man nur mit der Vernunft; wer<lb/> ohne Vernunft zu denken versucht, der denkt gar nicht, sondern er faselt. Wolf<lb/> sucht das Inventarium dessen zu ziehn. was im Christenthum denkbar und<lb/> begriffsfähig ist; er erläutert.« er scheidet aus. Das Inventarium ist unvoll¬<lb/> ständig, aber der Versuch mußte gemacht werden, wenn man nicht in das<lb/> leere Gerede des vorigen Jahrhunderts zurücksinken wollte. Das „höchste Wesen",<lb/> das aus dieser Philosophie hervorging, ist an sich nicht sehr inhaltsreich, aber<lb/> ein sehr gesundes und nothwendiges Correctiv gegen den Aberglauben und<lb/> Götzendienst der vorigen Jahrhunderte.</p><lb/> <p xml:id="ID_693"> Nun lag aber ein zweiter Schritt nahe. Die eigentlichen Wissenschaften<lb/> hatten die Forderung des Denkens im Princip nie bestritten, wol aber hatte es<lb/> die Poesie gethan. Kann man dichten ohne zu denken? Das mußte unter¬<lb/> sucht werden. Leibnitz und Wolf selbst hatten nur einen geringen Sinn für<lb/> Poesie ; die Gesetze des Weltgebäudes zu entdecken schien ihnen wichtiger, als<lb/> ein gutes Madrigal zu machen; sie verwiesen die poetischen Empfindungen<lb/> in das Gebiet der dunkeln unklaren Gedanken. Desto eifriger warfen sich die<lb/> Schüler auf dieses Fach der Erkenntniß. Die Dichtkunst war schon bei den<lb/> Alten sehr hoch angesehn. sie brachte auch jetzt Nutzen und Ehre; es mußte<lb/> untersucht werden, worin ihr Vorzug eigentlich bestände. Bei der ganzen<lb/> Richtung der Schule konnte das Resultat kein anderes sein als: die Dicht¬<lb/> kunst ist eine erhöhte Redekunst; mit denselben Mitteln wie die Rede wirkt.<lb/> °ber concentrirt. sucht sie durch den Verstand auf das Gemüth zu wirken.<lb/> E'"e oberflächliche Natur wie Gottsched blieb dabei stehn. Zwar lehnte er<lb/> sah mit seinen sogenannten Regeln auf die Alten, oder das was er sich unter den<lb/> Alten dachte, aber im Grund waren diese Regeln aus seinem Princip her¬<lb/> geleitet: die Dichtkunst ist eine erhöhte Redekunst.</p><lb/> <p xml:id="ID_694" next="#ID_695"> Denselben Standpunkt hielten der Hauptsache nach die tieferen Denker<lb/> d°r Schule, z.B. Bilfinger und Baumgarten fest; doch gingen sie weiter<lb/> und fragten, wie die Natur der Einbildungskraft beschaffen sein müsse, um<lb/> durch die Vermittlung des Verstandes eine Einwirkung zu empfangen. Ein</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0215]
heute häufig lächerlich, weil er vieles gesagt hat. was uns trivial vorkommt;
es ist «her wol der Mühe werth einmal seine ersten Schriften anzusehen —
nicht die aus der Marburger Zeit, in der er sich bereits überlebt hatte —und
ein beliebiges theologisches Buch, oder eine beliebige Poesie der unmittelbar
vorhergehenden Jahre zu vergleichen. Man athmet eine ganz andere gesunde
Atmosphäre, man empfindet nicht blos abstracte Gedanken, sondern mit der
deutschen Sprache auch deutsches Leben.
Der nächste große Einfluß seiner Lehre findet auf die Religion statt. Wolf
'se der eigentliche Vater des Nationalismus. In unserer überstudirten Zeit
spottet man häufig über dies „Christenthum innerhalb der Grenze der bloßen
Vernunft". Freilich hat die Religion noch anderes zu thun als zu denken,
«ber denken muß sie auch, und denken kann man nur mit der Vernunft; wer
ohne Vernunft zu denken versucht, der denkt gar nicht, sondern er faselt. Wolf
sucht das Inventarium dessen zu ziehn. was im Christenthum denkbar und
begriffsfähig ist; er erläutert.« er scheidet aus. Das Inventarium ist unvoll¬
ständig, aber der Versuch mußte gemacht werden, wenn man nicht in das
leere Gerede des vorigen Jahrhunderts zurücksinken wollte. Das „höchste Wesen",
das aus dieser Philosophie hervorging, ist an sich nicht sehr inhaltsreich, aber
ein sehr gesundes und nothwendiges Correctiv gegen den Aberglauben und
Götzendienst der vorigen Jahrhunderte.
Nun lag aber ein zweiter Schritt nahe. Die eigentlichen Wissenschaften
hatten die Forderung des Denkens im Princip nie bestritten, wol aber hatte es
die Poesie gethan. Kann man dichten ohne zu denken? Das mußte unter¬
sucht werden. Leibnitz und Wolf selbst hatten nur einen geringen Sinn für
Poesie ; die Gesetze des Weltgebäudes zu entdecken schien ihnen wichtiger, als
ein gutes Madrigal zu machen; sie verwiesen die poetischen Empfindungen
in das Gebiet der dunkeln unklaren Gedanken. Desto eifriger warfen sich die
Schüler auf dieses Fach der Erkenntniß. Die Dichtkunst war schon bei den
Alten sehr hoch angesehn. sie brachte auch jetzt Nutzen und Ehre; es mußte
untersucht werden, worin ihr Vorzug eigentlich bestände. Bei der ganzen
Richtung der Schule konnte das Resultat kein anderes sein als: die Dicht¬
kunst ist eine erhöhte Redekunst; mit denselben Mitteln wie die Rede wirkt.
°ber concentrirt. sucht sie durch den Verstand auf das Gemüth zu wirken.
E'"e oberflächliche Natur wie Gottsched blieb dabei stehn. Zwar lehnte er
sah mit seinen sogenannten Regeln auf die Alten, oder das was er sich unter den
Alten dachte, aber im Grund waren diese Regeln aus seinem Princip her¬
geleitet: die Dichtkunst ist eine erhöhte Redekunst.
Denselben Standpunkt hielten der Hauptsache nach die tieferen Denker
d°r Schule, z.B. Bilfinger und Baumgarten fest; doch gingen sie weiter
und fragten, wie die Natur der Einbildungskraft beschaffen sein müsse, um
durch die Vermittlung des Verstandes eine Einwirkung zu empfangen. Ein
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