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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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weniger anheischig zu machen als man wirklich zu thun gesonnen sei." Diese
Regel scheint noch immer zu gelten, und namentlich im October 1860 zu Cod-
'lenz in Anwendung gekommen zu sein. Auch dort war von dem Vorschlage
an Oestreich. Venetien gegen Entschädigung aufzugeben, die Rede; daß aber
Preußen denselben in Wien nicht direct befürworten könne, wurde englischer
Seits eingesehen. Als gegen Ende Mai 1849 Pasini nach London kam,
wurden ihm über die Politik, welche die öffentliche Meinung und das Parla¬
ment der Negierung vorschrieben, vollends die Augen geöffnet. Lord Palmerston
behandelte ihn sehr höflich, verschaffte ihm eine Unterredung mit dem Grafen
Colloredo, gab ihm aber durchaus keine andere Hoffnung, als durch directe
Unterhandlung mit Oestreich. Die englische Politik, berichtete Pasini, will
keinen Krieg, sie hofft, ihn zu vermeiden oder auf unbestimmte Zeit zu ver¬
tagen, indem sie sich jeder ernstlichen Dazwischenkunft in die Angelegenheiten
andrer Lander enthält; und in der That, wenn man in England ist und mit
den Führern der liberalen Partei spricht, muß man bekennen, daß Lord Pal-
merston nicht mehr thun kann, als er thut.

Wie sich die Oestreicher benahmen, ist bekannt. So lange das Waffen¬
glück ihnen den Rücken wendete, gaben sie den empörten Provinzen die schönsten
Versprechungen, machten sich dadurch die Cabincte geneigt, und wiesen sogar
Gebietsabtretungen als Grundlagen eines Abkommens nicht von der Hand.
Nachdem sie im Felde gesiegt hatten, wollten sie weder von den Verheißungen
noch von der Vermittlung mehr hören. Sie konnten die diplomatische Ver¬
wendung der Cabincte von Paris und London um so rücksichtsloser ablehnen,
da sie aus den geschickt in die Länge gezogenen Unterhandlungen die Ueber¬
zeugung gewonnen hatten, daß keine von beiden Regierungen ihren Worten
Nachdruck geben werde. Aus Mcmins Papieren wählen wir noch einzelne
Mittheilungen, welche theils durch die auftretenden Personen, theils durch die
Streiflichter, welche sie auf die Zustünde und die Politik Oestreichs werfen,
einen gewissen Werth haben.

In einigen Briefen aus Verona aus der zweiten Hälfte März 1848 (welche
von den Italienern aufgefangen wurden) schildert der junge Erzherzog Neyncr,
Sohn des Vicekönigs, seinem Bruder Ernst die dort herrschende Aufregung
mit jugendlichem Uebermuth und unverholenem Verdruss" über die Concessionen,
welche in Wien und folgeweise in Italien gegeben werden sollten. Man
Alnube in einem Narrenhause zu sein; die Haare stünden zu Berge, wenn
wan an alles denke, was die Leute in Ungarn, Böhmen, Wien, Galizien ver¬
engen. "Wenn nicht ein Wunder geschieht, können wir Alle unser Bündel
schnüren." Besonders unangenehm ist dem jungen Erzherzog die Erlaubniß
M' Errichtung einer Bürgerwehr in den italienischen Städten, und den Mai¬
ländern wünschte er, daß bei dem ersten Anlasse ihrer fünfhundert aus dem


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weniger anheischig zu machen als man wirklich zu thun gesonnen sei." Diese
Regel scheint noch immer zu gelten, und namentlich im October 1860 zu Cod-
'lenz in Anwendung gekommen zu sein. Auch dort war von dem Vorschlage
an Oestreich. Venetien gegen Entschädigung aufzugeben, die Rede; daß aber
Preußen denselben in Wien nicht direct befürworten könne, wurde englischer
Seits eingesehen. Als gegen Ende Mai 1849 Pasini nach London kam,
wurden ihm über die Politik, welche die öffentliche Meinung und das Parla¬
ment der Negierung vorschrieben, vollends die Augen geöffnet. Lord Palmerston
behandelte ihn sehr höflich, verschaffte ihm eine Unterredung mit dem Grafen
Colloredo, gab ihm aber durchaus keine andere Hoffnung, als durch directe
Unterhandlung mit Oestreich. Die englische Politik, berichtete Pasini, will
keinen Krieg, sie hofft, ihn zu vermeiden oder auf unbestimmte Zeit zu ver¬
tagen, indem sie sich jeder ernstlichen Dazwischenkunft in die Angelegenheiten
andrer Lander enthält; und in der That, wenn man in England ist und mit
den Führern der liberalen Partei spricht, muß man bekennen, daß Lord Pal-
merston nicht mehr thun kann, als er thut.

Wie sich die Oestreicher benahmen, ist bekannt. So lange das Waffen¬
glück ihnen den Rücken wendete, gaben sie den empörten Provinzen die schönsten
Versprechungen, machten sich dadurch die Cabincte geneigt, und wiesen sogar
Gebietsabtretungen als Grundlagen eines Abkommens nicht von der Hand.
Nachdem sie im Felde gesiegt hatten, wollten sie weder von den Verheißungen
noch von der Vermittlung mehr hören. Sie konnten die diplomatische Ver¬
wendung der Cabincte von Paris und London um so rücksichtsloser ablehnen,
da sie aus den geschickt in die Länge gezogenen Unterhandlungen die Ueber¬
zeugung gewonnen hatten, daß keine von beiden Regierungen ihren Worten
Nachdruck geben werde. Aus Mcmins Papieren wählen wir noch einzelne
Mittheilungen, welche theils durch die auftretenden Personen, theils durch die
Streiflichter, welche sie auf die Zustünde und die Politik Oestreichs werfen,
einen gewissen Werth haben.

In einigen Briefen aus Verona aus der zweiten Hälfte März 1848 (welche
von den Italienern aufgefangen wurden) schildert der junge Erzherzog Neyncr,
Sohn des Vicekönigs, seinem Bruder Ernst die dort herrschende Aufregung
mit jugendlichem Uebermuth und unverholenem Verdruss« über die Concessionen,
welche in Wien und folgeweise in Italien gegeben werden sollten. Man
Alnube in einem Narrenhause zu sein; die Haare stünden zu Berge, wenn
wan an alles denke, was die Leute in Ungarn, Böhmen, Wien, Galizien ver¬
engen. „Wenn nicht ein Wunder geschieht, können wir Alle unser Bündel
schnüren." Besonders unangenehm ist dem jungen Erzherzog die Erlaubniß
M' Errichtung einer Bürgerwehr in den italienischen Städten, und den Mai¬
ländern wünschte er, daß bei dem ersten Anlasse ihrer fünfhundert aus dem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/21>, abgerufen am 23.07.2024.