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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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ihres Lebens Tag und Nacht zubringen. Man heißt diese Häuser Einsiedeleien.
Doch befinden sich oft mehre derselben beisammen, und dann wählen die Be¬
wohner dieses Einsiedlerdorses einen von sich zum Schech. Die berühmteste
dieser Einsiedleien (Chalwe, xlur. Chalawat) ist die auf einem Berge bei
Chasbaya gelegene Bajjada, die einst über 60 Einsiedlerwohnungen hatte,
aber 1838 von dem Heere Ibrahim Paschas zerstört wurde. Die Chalawat
stehen in hoher Verehrung unter den Drusen, und jeder von ihnen ausgehende
Befehl wird von dem Volke gehorsam befolgt. Gehen die Frommen auf
Reisen, so machen sie den Weg. um sich zu casicien, meist zu Fuß; nur wenn ihr
Ziel sehr entfernt ist, reiten sie, aber um ihre Demuth zu zeigen, blos auf einer
Eselin und zwar meist auf einer solchen von weißer Farbe, wie Hakim sie liebte.

Die Drusen haben oft Ueberfälle der neben ihnen wohnenden Anders¬
gläubigen ausgeführt und dabei vielfach fremdes Gut geraubt. Eigentlich aber ist
ihnen der Gebrauch fremden Eigenthums verboten. Auch essen sie. wenn sie
zu den Frommen gehören, nicht in den Häusern von Richtern, Wucherern und
Zöllnern oder bei christlichen Geistlichen, "weil diese das Vermögen der Todten
an sich reißen." ja sie lassen nicht einmal ihre Thiere bei den Genannten füt¬
tern. Ferner ist ihnen nicht gestattet, nothwendige Dinge, wie Speise und
Kleider, für Geld zu kaufen, das sie von jenen bekommen haben. Sie ver¬
wenden daher solches Geld in der Regel für Dinge, die nicht unbedingt Be¬
dürfniß sind, als Seife, Färberlohn u. s. w.. oder zur Bezahlung der Steuern
und Strafgelder. Am liebsten aber vertauschen sie es bei einem Kaufmann
gegen gleiches Geld und verwenden dann die erlaubte Münze auf den Ein¬
kauf ihrer Bedürfnisse.

Hat einer von den Drusen ein Verbrechen begangen, so ist die größte
Strafe, daß sie ihn mit dem Bann belegen, wo keiner der Okkals (Wissenden
oder Eingeweihten) mit ihm essen darf. Die Vornehmen, welche Fremde bei
sich aufnehmen, führen in ihren Häusern doppelte Casse, für erlaubte Ausgaben
d. h. für das. was sie den Okkals vorsetzen, und für unerlaubte, d. h. für
das. was sie Andern reichen. Die Rede der Drusen ist stets voll Würde und
Anstand, nie geht aus ihrem Munde ein thörichtes, grobes oder unfläthiges
Wort, nie ein Fluch oder Schwur. Stets zeigen sie Achtung gegen den, mit
dem sie sprechen, selbst wenn er ihr Feind ist, auch beweisen sie Trauer und
Mitleid über das Unglück Anderer. Doch ist dies nur Ausfluß ihrer guten
Natur. Ihre Neligionsbücher wollen eine andere Denkart. Unter den 72 Hand¬
lungen, welche von der Einheitsreligion ausschließen, wird da auch die auf¬
führt, daß ein Gläubiger das Unglück eines "Schwarzen" d. i. Andersgläu¬
bigen als unverdient bedauert, ferner die, daß man zugibt, ein solcher könne
^''" guter Mensch sein, daß man ihn vor einer drohenden Gefahr warnt, daß
'"an ihm Liebe und Hochachtung bezeugt u. f. w.


ihres Lebens Tag und Nacht zubringen. Man heißt diese Häuser Einsiedeleien.
Doch befinden sich oft mehre derselben beisammen, und dann wählen die Be¬
wohner dieses Einsiedlerdorses einen von sich zum Schech. Die berühmteste
dieser Einsiedleien (Chalwe, xlur. Chalawat) ist die auf einem Berge bei
Chasbaya gelegene Bajjada, die einst über 60 Einsiedlerwohnungen hatte,
aber 1838 von dem Heere Ibrahim Paschas zerstört wurde. Die Chalawat
stehen in hoher Verehrung unter den Drusen, und jeder von ihnen ausgehende
Befehl wird von dem Volke gehorsam befolgt. Gehen die Frommen auf
Reisen, so machen sie den Weg. um sich zu casicien, meist zu Fuß; nur wenn ihr
Ziel sehr entfernt ist, reiten sie, aber um ihre Demuth zu zeigen, blos auf einer
Eselin und zwar meist auf einer solchen von weißer Farbe, wie Hakim sie liebte.

Die Drusen haben oft Ueberfälle der neben ihnen wohnenden Anders¬
gläubigen ausgeführt und dabei vielfach fremdes Gut geraubt. Eigentlich aber ist
ihnen der Gebrauch fremden Eigenthums verboten. Auch essen sie. wenn sie
zu den Frommen gehören, nicht in den Häusern von Richtern, Wucherern und
Zöllnern oder bei christlichen Geistlichen, „weil diese das Vermögen der Todten
an sich reißen." ja sie lassen nicht einmal ihre Thiere bei den Genannten füt¬
tern. Ferner ist ihnen nicht gestattet, nothwendige Dinge, wie Speise und
Kleider, für Geld zu kaufen, das sie von jenen bekommen haben. Sie ver¬
wenden daher solches Geld in der Regel für Dinge, die nicht unbedingt Be¬
dürfniß sind, als Seife, Färberlohn u. s. w.. oder zur Bezahlung der Steuern
und Strafgelder. Am liebsten aber vertauschen sie es bei einem Kaufmann
gegen gleiches Geld und verwenden dann die erlaubte Münze auf den Ein¬
kauf ihrer Bedürfnisse.

Hat einer von den Drusen ein Verbrechen begangen, so ist die größte
Strafe, daß sie ihn mit dem Bann belegen, wo keiner der Okkals (Wissenden
oder Eingeweihten) mit ihm essen darf. Die Vornehmen, welche Fremde bei
sich aufnehmen, führen in ihren Häusern doppelte Casse, für erlaubte Ausgaben
d. h. für das. was sie den Okkals vorsetzen, und für unerlaubte, d. h. für
das. was sie Andern reichen. Die Rede der Drusen ist stets voll Würde und
Anstand, nie geht aus ihrem Munde ein thörichtes, grobes oder unfläthiges
Wort, nie ein Fluch oder Schwur. Stets zeigen sie Achtung gegen den, mit
dem sie sprechen, selbst wenn er ihr Feind ist, auch beweisen sie Trauer und
Mitleid über das Unglück Anderer. Doch ist dies nur Ausfluß ihrer guten
Natur. Ihre Neligionsbücher wollen eine andere Denkart. Unter den 72 Hand¬
lungen, welche von der Einheitsreligion ausschließen, wird da auch die auf¬
führt, daß ein Gläubiger das Unglück eines „Schwarzen" d. i. Andersgläu¬
bigen als unverdient bedauert, ferner die, daß man zugibt, ein solcher könne
^''» guter Mensch sein, daß man ihn vor einer drohenden Gefahr warnt, daß
'"an ihm Liebe und Hochachtung bezeugt u. f. w.


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[0161] ihres Lebens Tag und Nacht zubringen. Man heißt diese Häuser Einsiedeleien. Doch befinden sich oft mehre derselben beisammen, und dann wählen die Be¬ wohner dieses Einsiedlerdorses einen von sich zum Schech. Die berühmteste dieser Einsiedleien (Chalwe, xlur. Chalawat) ist die auf einem Berge bei Chasbaya gelegene Bajjada, die einst über 60 Einsiedlerwohnungen hatte, aber 1838 von dem Heere Ibrahim Paschas zerstört wurde. Die Chalawat stehen in hoher Verehrung unter den Drusen, und jeder von ihnen ausgehende Befehl wird von dem Volke gehorsam befolgt. Gehen die Frommen auf Reisen, so machen sie den Weg. um sich zu casicien, meist zu Fuß; nur wenn ihr Ziel sehr entfernt ist, reiten sie, aber um ihre Demuth zu zeigen, blos auf einer Eselin und zwar meist auf einer solchen von weißer Farbe, wie Hakim sie liebte. Die Drusen haben oft Ueberfälle der neben ihnen wohnenden Anders¬ gläubigen ausgeführt und dabei vielfach fremdes Gut geraubt. Eigentlich aber ist ihnen der Gebrauch fremden Eigenthums verboten. Auch essen sie. wenn sie zu den Frommen gehören, nicht in den Häusern von Richtern, Wucherern und Zöllnern oder bei christlichen Geistlichen, „weil diese das Vermögen der Todten an sich reißen." ja sie lassen nicht einmal ihre Thiere bei den Genannten füt¬ tern. Ferner ist ihnen nicht gestattet, nothwendige Dinge, wie Speise und Kleider, für Geld zu kaufen, das sie von jenen bekommen haben. Sie ver¬ wenden daher solches Geld in der Regel für Dinge, die nicht unbedingt Be¬ dürfniß sind, als Seife, Färberlohn u. s. w.. oder zur Bezahlung der Steuern und Strafgelder. Am liebsten aber vertauschen sie es bei einem Kaufmann gegen gleiches Geld und verwenden dann die erlaubte Münze auf den Ein¬ kauf ihrer Bedürfnisse. Hat einer von den Drusen ein Verbrechen begangen, so ist die größte Strafe, daß sie ihn mit dem Bann belegen, wo keiner der Okkals (Wissenden oder Eingeweihten) mit ihm essen darf. Die Vornehmen, welche Fremde bei sich aufnehmen, führen in ihren Häusern doppelte Casse, für erlaubte Ausgaben d. h. für das. was sie den Okkals vorsetzen, und für unerlaubte, d. h. für das. was sie Andern reichen. Die Rede der Drusen ist stets voll Würde und Anstand, nie geht aus ihrem Munde ein thörichtes, grobes oder unfläthiges Wort, nie ein Fluch oder Schwur. Stets zeigen sie Achtung gegen den, mit dem sie sprechen, selbst wenn er ihr Feind ist, auch beweisen sie Trauer und Mitleid über das Unglück Anderer. Doch ist dies nur Ausfluß ihrer guten Natur. Ihre Neligionsbücher wollen eine andere Denkart. Unter den 72 Hand¬ lungen, welche von der Einheitsreligion ausschließen, wird da auch die auf¬ führt, daß ein Gläubiger das Unglück eines „Schwarzen" d. i. Andersgläu¬ bigen als unverdient bedauert, ferner die, daß man zugibt, ein solcher könne ^''» guter Mensch sein, daß man ihn vor einer drohenden Gefahr warnt, daß '"an ihm Liebe und Hochachtung bezeugt u. f. w.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/161>, abgerufen am 27.08.2024.