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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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Die Bonner Engländer.

Am 24. December 18K0 ist in öffentlicher Sitzung des Landgerichts zu
Bonn das Urtheil in einem Processe gesprochen worden, dessen Anlässe längere
Zeit die gesammte Presse Deutschlands und Englands beschäftigt habe".
Es hat damit ein Nationalstreit wenigstens formell sein Ende erreicht, welcher
von beiden Seiten die Geister heftig hat aufeinander platzen lassen.

Es ist eine bekannte Thatsache, daß der Verkehr anreihenden Engländern
in Deutschland durchschnittlich nichts weniger als beliebt ist. Sie nehmen
gern mehr Platz ein als ihnen gebührt, machen von ihren Ellbogen einen
sehr ausgedehnten Gebrauch, lassen es an der natürlichsten Aufmerksamkeit
gegen Mitreisende fehlen, sprechen jeden in ihnen keimenden Verdacht einer
Uebervorthcilung gegen Verkäufer und Kassenbeamte ohne Weiteres auf das
schonungsloseste aus. Lassen sie einmal die Ansicht durchfühlen, daß wegen
der großen Summen, die sie alljährlich auf den Kontinent führen, sich ihnen
doch Alles beugen müsse, so erbittert das natürlich noch mehr. Kaum anders
ist in Städten, wo Engländer sich stehend aufhalten, das Verhältniß der Ein¬
wohner zu diesen, wozu besonders noch die häufige Vorstellung mitwirkt, daß
meistentheils nicht grade die in England angesehensten Familien nach dem
Continent ziehen. Selbst die gewerbtreibenden und arbeitenden Classen,
welche von ihnen Vortheil haben, erdulden nur ungern ,hre Ansprüche und
ihr herrisches Wesen. In Bonn, wo seit lange eine zahlreiche Kolonie von
Engländern besteht, tritt noch der Umstand hinzu, daß daselbst auch mehrere
Erziehungs instituee für junge Engländer sind und das Benehmen heranwach¬
sender englischer Knaben für Deutsche leicht unerträglich wird. So bildete
sich seit geraumer Zeit in der Bevölkerung dieser reizvollen Universitätsstadt
eine, von einzelnen Ausnahmen abgesehen, wenig freundliche Stimmung ge¬
gen die fremden Gäste aus, welche im letzten Herbste durch einen unerwarte¬
ten Anlaß plötzlich die reichste Nahrung fand.

Das Jahr, 1860 rief in leicht erklärlicher 'Reaction gegen das voran¬
gehende Kriegsjahr eine ungewöhnliche Reiselust hervor. Besonders auf der
noch nicht lange eröffneten Eisenbahnstrccke Mainz-Cöln nahm der Personen¬
verkehr während der zweiten Hälfte des Sommers eine Ausdehnung an, daß
es den Beamten derselben schwer wurde, die nöthige Ordnung und Pünkt-
keit aufrecht zu halten. Namentlich wurde bei einem Zuge, der Nachmittags
um vier Uhr die Station Bonn passirt, immer ein sehr reges Treiben be¬
merkt. Dies war unter anderm in hohem Grade am Nachmittage des 12.
September der Fall, was zu einem Vorgänge führte, der eine europäische


Die Bonner Engländer.

Am 24. December 18K0 ist in öffentlicher Sitzung des Landgerichts zu
Bonn das Urtheil in einem Processe gesprochen worden, dessen Anlässe längere
Zeit die gesammte Presse Deutschlands und Englands beschäftigt habe».
Es hat damit ein Nationalstreit wenigstens formell sein Ende erreicht, welcher
von beiden Seiten die Geister heftig hat aufeinander platzen lassen.

Es ist eine bekannte Thatsache, daß der Verkehr anreihenden Engländern
in Deutschland durchschnittlich nichts weniger als beliebt ist. Sie nehmen
gern mehr Platz ein als ihnen gebührt, machen von ihren Ellbogen einen
sehr ausgedehnten Gebrauch, lassen es an der natürlichsten Aufmerksamkeit
gegen Mitreisende fehlen, sprechen jeden in ihnen keimenden Verdacht einer
Uebervorthcilung gegen Verkäufer und Kassenbeamte ohne Weiteres auf das
schonungsloseste aus. Lassen sie einmal die Ansicht durchfühlen, daß wegen
der großen Summen, die sie alljährlich auf den Kontinent führen, sich ihnen
doch Alles beugen müsse, so erbittert das natürlich noch mehr. Kaum anders
ist in Städten, wo Engländer sich stehend aufhalten, das Verhältniß der Ein¬
wohner zu diesen, wozu besonders noch die häufige Vorstellung mitwirkt, daß
meistentheils nicht grade die in England angesehensten Familien nach dem
Continent ziehen. Selbst die gewerbtreibenden und arbeitenden Classen,
welche von ihnen Vortheil haben, erdulden nur ungern ,hre Ansprüche und
ihr herrisches Wesen. In Bonn, wo seit lange eine zahlreiche Kolonie von
Engländern besteht, tritt noch der Umstand hinzu, daß daselbst auch mehrere
Erziehungs instituee für junge Engländer sind und das Benehmen heranwach¬
sender englischer Knaben für Deutsche leicht unerträglich wird. So bildete
sich seit geraumer Zeit in der Bevölkerung dieser reizvollen Universitätsstadt
eine, von einzelnen Ausnahmen abgesehen, wenig freundliche Stimmung ge¬
gen die fremden Gäste aus, welche im letzten Herbste durch einen unerwarte¬
ten Anlaß plötzlich die reichste Nahrung fand.

Das Jahr, 1860 rief in leicht erklärlicher 'Reaction gegen das voran¬
gehende Kriegsjahr eine ungewöhnliche Reiselust hervor. Besonders auf der
noch nicht lange eröffneten Eisenbahnstrccke Mainz-Cöln nahm der Personen¬
verkehr während der zweiten Hälfte des Sommers eine Ausdehnung an, daß
es den Beamten derselben schwer wurde, die nöthige Ordnung und Pünkt-
keit aufrecht zu halten. Namentlich wurde bei einem Zuge, der Nachmittags
um vier Uhr die Station Bonn passirt, immer ein sehr reges Treiben be¬
merkt. Dies war unter anderm in hohem Grade am Nachmittage des 12.
September der Fall, was zu einem Vorgänge führte, der eine europäische


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/110>, abgerufen am 25.08.2024.