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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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Erzählung von jenem Hochzeitsgelag in Cana und dem humoristischen Wun¬
der, das Jesus bei demselben verrichtet hatte.

''In den Provinzen Lüttich, Namur und Luxemburg wird der König durch
das Bohnenloos bestimmt. Die Bäcker schicke" ihren Kunden am Dreikönigs¬
tag ein großes rundes Brot, in welches eine schwarze Bohne eingebacken ist,
und weiches in Huy den Namen "Min eg.avg.u" führt. Dieses wird in Stücke
zerschnitten, die von dem jüngsten Kinde der Familie an die Anwesenden vertheilt
werden. Wem das Stück mit der Bohne zufällt, der ist König. Man wühlt
für ihn Hofbeamte, unterwirft sich für den Abend seinen Befehlen und erweist
ihm überhaupt die Ehrerbietung, die seiner souveränen Würde zukommt. Vor
Allem aber hat jedes Glied der Gesellschaft, sobald ertrinkt, laut auszurufen:
"1,0 lioi doit!" und wer diese Kundgebung der Ehrfurcht vor dem königlichen
Durst unterläßt, wird unnachsichtlich bestraft. Das Volk weiß, daß einer der
drei Könige, welche dem Jesuskind zu Bethlehem ihre Huldigung darbrachten,
ein Mohr war, und dies hat vermuthlich die Art der Strafe für jene Ver¬
letzung des Comments beim Fest des Bohnenkönigs angegeben. Man ergreift
den Sünder und färbt ihm das Gesicht mit Kohle schwarz, ein Gebrauch, der
begreiflicherweise nicht wenig dazu beiträgt, die Heiterkeit des Gelages zu er¬
höhen.

An den meisten Orten, z. B. in Dinant läßt man auch die Dienstleute
des Hauses am Loosen um die Königswürde theilnehmen. Allenthalben aber
hat der König die ihm zu Theil gewordene Ehre seinen Unterthanen mit einem
kleinen Feste zu bezahlen, welches in der Regel den Sonntag oder Montag
nach dem Dreikönigstag gegeben wird.

Im vlämisch redenden Theile Belgiens hält man es ähnlich; doch ist
hier der Bohnenkuchen nicht bekannt. Man bedient sich hier vielmehr wirk¬
licher Loose, um den König und dessen Hofchargen zu 'bestimmen. Auf Zettel,
die man "Koningsbrieven", d. h. Königsbriefe nennt, werden die zu ver-
theilenden Titel geschrieben und dann von jedem Anwesenden ein solches Loos
gezogen. Ist eine genügende Anzahl von Personen beisammen, so wird ein
ähnlicher Hofstaat geschaffen, wie er die Fürsten unsrer studentischen Bier-
herzogthümer umgibt. , Der eine wird durch sein Loos Minister (Raadsheer),
der andere Beichtvater (Biechtvader), ein dritter Mundschenk (Schenker), ein
vierter Truchseß (Voorproever). el" fünfter Harfner (Speelman). Wieder an¬
dere erhalten geringere Aemter: der eine das des Leibarztes (Geneeshcer),
der andere das des Hofnarren (Sol), ein dritter das des Mundkochs (Kot)
oder das des Schweizers (Zwitser) oder des Kammerdieners (Kamerling)
u. s. w. Jeder hat sich zu bestreben, den Abend hindurch den Charakter der
Rolle festzuhalten, die ihm sein Loos anweist, und wenn Se. Majestät der
König, der als Zeichen seiner Würde eine Krone von Goldpapier trägt, zu


Erzählung von jenem Hochzeitsgelag in Cana und dem humoristischen Wun¬
der, das Jesus bei demselben verrichtet hatte.

''In den Provinzen Lüttich, Namur und Luxemburg wird der König durch
das Bohnenloos bestimmt. Die Bäcker schicke» ihren Kunden am Dreikönigs¬
tag ein großes rundes Brot, in welches eine schwarze Bohne eingebacken ist,
und weiches in Huy den Namen „Min eg.avg.u" führt. Dieses wird in Stücke
zerschnitten, die von dem jüngsten Kinde der Familie an die Anwesenden vertheilt
werden. Wem das Stück mit der Bohne zufällt, der ist König. Man wühlt
für ihn Hofbeamte, unterwirft sich für den Abend seinen Befehlen und erweist
ihm überhaupt die Ehrerbietung, die seiner souveränen Würde zukommt. Vor
Allem aber hat jedes Glied der Gesellschaft, sobald ertrinkt, laut auszurufen:
„1,0 lioi doit!" und wer diese Kundgebung der Ehrfurcht vor dem königlichen
Durst unterläßt, wird unnachsichtlich bestraft. Das Volk weiß, daß einer der
drei Könige, welche dem Jesuskind zu Bethlehem ihre Huldigung darbrachten,
ein Mohr war, und dies hat vermuthlich die Art der Strafe für jene Ver¬
letzung des Comments beim Fest des Bohnenkönigs angegeben. Man ergreift
den Sünder und färbt ihm das Gesicht mit Kohle schwarz, ein Gebrauch, der
begreiflicherweise nicht wenig dazu beiträgt, die Heiterkeit des Gelages zu er¬
höhen.

An den meisten Orten, z. B. in Dinant läßt man auch die Dienstleute
des Hauses am Loosen um die Königswürde theilnehmen. Allenthalben aber
hat der König die ihm zu Theil gewordene Ehre seinen Unterthanen mit einem
kleinen Feste zu bezahlen, welches in der Regel den Sonntag oder Montag
nach dem Dreikönigstag gegeben wird.

Im vlämisch redenden Theile Belgiens hält man es ähnlich; doch ist
hier der Bohnenkuchen nicht bekannt. Man bedient sich hier vielmehr wirk¬
licher Loose, um den König und dessen Hofchargen zu 'bestimmen. Auf Zettel,
die man „Koningsbrieven", d. h. Königsbriefe nennt, werden die zu ver-
theilenden Titel geschrieben und dann von jedem Anwesenden ein solches Loos
gezogen. Ist eine genügende Anzahl von Personen beisammen, so wird ein
ähnlicher Hofstaat geschaffen, wie er die Fürsten unsrer studentischen Bier-
herzogthümer umgibt. , Der eine wird durch sein Loos Minister (Raadsheer),
der andere Beichtvater (Biechtvader), ein dritter Mundschenk (Schenker), ein
vierter Truchseß (Voorproever). el» fünfter Harfner (Speelman). Wieder an¬
dere erhalten geringere Aemter: der eine das des Leibarztes (Geneeshcer),
der andere das des Hofnarren (Sol), ein dritter das des Mundkochs (Kot)
oder das des Schweizers (Zwitser) oder des Kammerdieners (Kamerling)
u. s. w. Jeder hat sich zu bestreben, den Abend hindurch den Charakter der
Rolle festzuhalten, die ihm sein Loos anweist, und wenn Se. Majestät der
König, der als Zeichen seiner Würde eine Krone von Goldpapier trägt, zu


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[0520] Erzählung von jenem Hochzeitsgelag in Cana und dem humoristischen Wun¬ der, das Jesus bei demselben verrichtet hatte. ''In den Provinzen Lüttich, Namur und Luxemburg wird der König durch das Bohnenloos bestimmt. Die Bäcker schicke» ihren Kunden am Dreikönigs¬ tag ein großes rundes Brot, in welches eine schwarze Bohne eingebacken ist, und weiches in Huy den Namen „Min eg.avg.u" führt. Dieses wird in Stücke zerschnitten, die von dem jüngsten Kinde der Familie an die Anwesenden vertheilt werden. Wem das Stück mit der Bohne zufällt, der ist König. Man wühlt für ihn Hofbeamte, unterwirft sich für den Abend seinen Befehlen und erweist ihm überhaupt die Ehrerbietung, die seiner souveränen Würde zukommt. Vor Allem aber hat jedes Glied der Gesellschaft, sobald ertrinkt, laut auszurufen: „1,0 lioi doit!" und wer diese Kundgebung der Ehrfurcht vor dem königlichen Durst unterläßt, wird unnachsichtlich bestraft. Das Volk weiß, daß einer der drei Könige, welche dem Jesuskind zu Bethlehem ihre Huldigung darbrachten, ein Mohr war, und dies hat vermuthlich die Art der Strafe für jene Ver¬ letzung des Comments beim Fest des Bohnenkönigs angegeben. Man ergreift den Sünder und färbt ihm das Gesicht mit Kohle schwarz, ein Gebrauch, der begreiflicherweise nicht wenig dazu beiträgt, die Heiterkeit des Gelages zu er¬ höhen. An den meisten Orten, z. B. in Dinant läßt man auch die Dienstleute des Hauses am Loosen um die Königswürde theilnehmen. Allenthalben aber hat der König die ihm zu Theil gewordene Ehre seinen Unterthanen mit einem kleinen Feste zu bezahlen, welches in der Regel den Sonntag oder Montag nach dem Dreikönigstag gegeben wird. Im vlämisch redenden Theile Belgiens hält man es ähnlich; doch ist hier der Bohnenkuchen nicht bekannt. Man bedient sich hier vielmehr wirk¬ licher Loose, um den König und dessen Hofchargen zu 'bestimmen. Auf Zettel, die man „Koningsbrieven", d. h. Königsbriefe nennt, werden die zu ver- theilenden Titel geschrieben und dann von jedem Anwesenden ein solches Loos gezogen. Ist eine genügende Anzahl von Personen beisammen, so wird ein ähnlicher Hofstaat geschaffen, wie er die Fürsten unsrer studentischen Bier- herzogthümer umgibt. , Der eine wird durch sein Loos Minister (Raadsheer), der andere Beichtvater (Biechtvader), ein dritter Mundschenk (Schenker), ein vierter Truchseß (Voorproever). el» fünfter Harfner (Speelman). Wieder an¬ dere erhalten geringere Aemter: der eine das des Leibarztes (Geneeshcer), der andere das des Hofnarren (Sol), ein dritter das des Mundkochs (Kot) oder das des Schweizers (Zwitser) oder des Kammerdieners (Kamerling) u. s. w. Jeder hat sich zu bestreben, den Abend hindurch den Charakter der Rolle festzuhalten, die ihm sein Loos anweist, und wenn Se. Majestät der König, der als Zeichen seiner Würde eine Krone von Goldpapier trägt, zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/520>, abgerufen am 15.01.2025.