Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

-- zu suchen, mit einem Almosen für die Nothleidenden und Kranken des
Dorfs erkaufen.

Der Ursprung der Sitte ist bekanntlich in den römischen Saturnalien zu
suchen. Während dieser festlichen Zeit waren die Schulen geschlossen, der
Senat und die Gerichte hatten Ferien und jeder Rangunterschied war auf¬
gehoben. Der Sklave speiste an der Tafel seines Herrn, und das Loos der
Bohne konnte ihn so gut treffen wie jenen, der vielleicht römischer Consul
war. Denn in Nachahmung der alten Griechen, die bei ihren Gelagen durch
das Loos einen "Basileus" bestimmten, dessen Function in Aufrechthaltung
der Ordnung bestand, wählten die Römer einen "Rex" oder "Magister Con-
vivii", dessen Amt es war, zu wachen, daß der Comment nicht verletzt und
nach Regel und Gesetz gezecht wurde. Die Wahl fand fast ganz so wie noch
jetzt im Limburgischen statt. Man vertheilte bei Beginn des Gelages einen
Kuchen, in dem eine Bohne versteckt war, und zwar setzte man, damit die Ver-
theilung ohne Ansehen der Person vor sich gehe, ein Kind auf den Tisch,
dem jeder der Gäste mit den Worten "?noth<z äomiuö!" sein Stück abfor¬
derte. Der Gebrauch ist, wie bemerkt, auch in mehren Provinzen Frankreichs
noch in der Uebung, ja in mehr als einer Gegend hat sich sogar der Ruf
"?uosb<z äomiusl" erhalten, obwol der Bauer keine Ahnung hat, was der
Sinn der Worte ist.

Daß die Sitte, einen Zecherkönig zu wählen, auch im Belgischen sehr alt
ist. ergibt sich aus der Chronik des Mönchs Egidius ki Muisis, Abtes des
Sanct Martinsklosters zu Tournai, in welcher wir lesen, daß schon 1231 "nach
altem Herkommen die wohlhabenden Bürger und deren Söhne sich Brüdern
gleich um eine große runde Tafel versammelten und einen König wählten."

Der Gebrauch kommt aber noch häufiger am sechsten Januar, dem Epi¬
phanias- oder Dreikönigstag vor, zu dem wir nun übergehn.

Der Epiphaniastag ist, wie bekannt, zum Andenken an die Huldigung
der Heidenwelt vor dem neugebornen Welterlöser eingesetzt. Die Bibel, das
heißt das Matthäus-Evangelium, erzählt, daß Weise aus dem Morgenland ge¬
kommen seien, um das Kind der Maria, dessen Geburt ihnen durch einen
Stern verkündigt worden, anzubeten und es mit Gold, Weihrauch und Myrrhen
zu beschenken. Die Legende weiß mehr zu berichten. Sie weiß, daß es drei
Weise waren, daß sie die Würde von Königen bekleideten, und daß sie die
Namen Kaspar, Melchior und Balthasar führten. Sie weiß sogar, daß Kas¬
par es war, der das Jesuskind mit Myrrhen, Melchior, der es mit Weihrauch,
Balthasar (hebräisch: Herr des Schatzes), der es mit Gold beschenkte. Das
Volk scheint die frommen freigebigen Herren frühzeitig liebgewonnen zu haben,
theils weil sie überhaupt prächtig und seltsam 'auftraten, theils weil ihre weite
Reise aus geheimnißvollen Lande und deren Nachahmung bei dem von der


— zu suchen, mit einem Almosen für die Nothleidenden und Kranken des
Dorfs erkaufen.

Der Ursprung der Sitte ist bekanntlich in den römischen Saturnalien zu
suchen. Während dieser festlichen Zeit waren die Schulen geschlossen, der
Senat und die Gerichte hatten Ferien und jeder Rangunterschied war auf¬
gehoben. Der Sklave speiste an der Tafel seines Herrn, und das Loos der
Bohne konnte ihn so gut treffen wie jenen, der vielleicht römischer Consul
war. Denn in Nachahmung der alten Griechen, die bei ihren Gelagen durch
das Loos einen „Basileus" bestimmten, dessen Function in Aufrechthaltung
der Ordnung bestand, wählten die Römer einen „Rex" oder „Magister Con-
vivii", dessen Amt es war, zu wachen, daß der Comment nicht verletzt und
nach Regel und Gesetz gezecht wurde. Die Wahl fand fast ganz so wie noch
jetzt im Limburgischen statt. Man vertheilte bei Beginn des Gelages einen
Kuchen, in dem eine Bohne versteckt war, und zwar setzte man, damit die Ver-
theilung ohne Ansehen der Person vor sich gehe, ein Kind auf den Tisch,
dem jeder der Gäste mit den Worten „?noth<z äomiuö!" sein Stück abfor¬
derte. Der Gebrauch ist, wie bemerkt, auch in mehren Provinzen Frankreichs
noch in der Uebung, ja in mehr als einer Gegend hat sich sogar der Ruf
„?uosb<z äomiusl" erhalten, obwol der Bauer keine Ahnung hat, was der
Sinn der Worte ist.

Daß die Sitte, einen Zecherkönig zu wählen, auch im Belgischen sehr alt
ist. ergibt sich aus der Chronik des Mönchs Egidius ki Muisis, Abtes des
Sanct Martinsklosters zu Tournai, in welcher wir lesen, daß schon 1231 „nach
altem Herkommen die wohlhabenden Bürger und deren Söhne sich Brüdern
gleich um eine große runde Tafel versammelten und einen König wählten."

Der Gebrauch kommt aber noch häufiger am sechsten Januar, dem Epi¬
phanias- oder Dreikönigstag vor, zu dem wir nun übergehn.

Der Epiphaniastag ist, wie bekannt, zum Andenken an die Huldigung
der Heidenwelt vor dem neugebornen Welterlöser eingesetzt. Die Bibel, das
heißt das Matthäus-Evangelium, erzählt, daß Weise aus dem Morgenland ge¬
kommen seien, um das Kind der Maria, dessen Geburt ihnen durch einen
Stern verkündigt worden, anzubeten und es mit Gold, Weihrauch und Myrrhen
zu beschenken. Die Legende weiß mehr zu berichten. Sie weiß, daß es drei
Weise waren, daß sie die Würde von Königen bekleideten, und daß sie die
Namen Kaspar, Melchior und Balthasar führten. Sie weiß sogar, daß Kas¬
par es war, der das Jesuskind mit Myrrhen, Melchior, der es mit Weihrauch,
Balthasar (hebräisch: Herr des Schatzes), der es mit Gold beschenkte. Das
Volk scheint die frommen freigebigen Herren frühzeitig liebgewonnen zu haben,
theils weil sie überhaupt prächtig und seltsam 'auftraten, theils weil ihre weite
Reise aus geheimnißvollen Lande und deren Nachahmung bei dem von der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0518" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/110866"/>
          <p xml:id="ID_1573" prev="#ID_1572"> &#x2014; zu suchen, mit einem Almosen für die Nothleidenden und Kranken des<lb/>
Dorfs erkaufen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1574"> Der Ursprung der Sitte ist bekanntlich in den römischen Saturnalien zu<lb/>
suchen. Während dieser festlichen Zeit waren die Schulen geschlossen, der<lb/>
Senat und die Gerichte hatten Ferien und jeder Rangunterschied war auf¬<lb/>
gehoben. Der Sklave speiste an der Tafel seines Herrn, und das Loos der<lb/>
Bohne konnte ihn so gut treffen wie jenen, der vielleicht römischer Consul<lb/>
war. Denn in Nachahmung der alten Griechen, die bei ihren Gelagen durch<lb/>
das Loos einen &#x201E;Basileus" bestimmten, dessen Function in Aufrechthaltung<lb/>
der Ordnung bestand, wählten die Römer einen &#x201E;Rex" oder &#x201E;Magister Con-<lb/>
vivii", dessen Amt es war, zu wachen, daß der Comment nicht verletzt und<lb/>
nach Regel und Gesetz gezecht wurde. Die Wahl fand fast ganz so wie noch<lb/>
jetzt im Limburgischen statt. Man vertheilte bei Beginn des Gelages einen<lb/>
Kuchen, in dem eine Bohne versteckt war, und zwar setzte man, damit die Ver-<lb/>
theilung ohne Ansehen der Person vor sich gehe, ein Kind auf den Tisch,<lb/>
dem jeder der Gäste mit den Worten &#x201E;?noth&lt;z äomiuö!" sein Stück abfor¬<lb/>
derte. Der Gebrauch ist, wie bemerkt, auch in mehren Provinzen Frankreichs<lb/>
noch in der Uebung, ja in mehr als einer Gegend hat sich sogar der Ruf<lb/>
&#x201E;?uosb&lt;z äomiusl" erhalten, obwol der Bauer keine Ahnung hat, was der<lb/>
Sinn der Worte ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1575"> Daß die Sitte, einen Zecherkönig zu wählen, auch im Belgischen sehr alt<lb/>
ist. ergibt sich aus der Chronik des Mönchs Egidius ki Muisis, Abtes des<lb/>
Sanct Martinsklosters zu Tournai, in welcher wir lesen, daß schon 1231 &#x201E;nach<lb/>
altem Herkommen die wohlhabenden Bürger und deren Söhne sich Brüdern<lb/>
gleich um eine große runde Tafel versammelten und einen König wählten."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1576"> Der Gebrauch kommt aber noch häufiger am sechsten Januar, dem Epi¬<lb/>
phanias- oder Dreikönigstag vor, zu dem wir nun übergehn.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1577" next="#ID_1578"> Der Epiphaniastag ist, wie bekannt, zum Andenken an die Huldigung<lb/>
der Heidenwelt vor dem neugebornen Welterlöser eingesetzt. Die Bibel, das<lb/>
heißt das Matthäus-Evangelium, erzählt, daß Weise aus dem Morgenland ge¬<lb/>
kommen seien, um das Kind der Maria, dessen Geburt ihnen durch einen<lb/>
Stern verkündigt worden, anzubeten und es mit Gold, Weihrauch und Myrrhen<lb/>
zu beschenken. Die Legende weiß mehr zu berichten. Sie weiß, daß es drei<lb/>
Weise waren, daß sie die Würde von Königen bekleideten, und daß sie die<lb/>
Namen Kaspar, Melchior und Balthasar führten. Sie weiß sogar, daß Kas¬<lb/>
par es war, der das Jesuskind mit Myrrhen, Melchior, der es mit Weihrauch,<lb/>
Balthasar (hebräisch: Herr des Schatzes), der es mit Gold beschenkte. Das<lb/>
Volk scheint die frommen freigebigen Herren frühzeitig liebgewonnen zu haben,<lb/>
theils weil sie überhaupt prächtig und seltsam 'auftraten, theils weil ihre weite<lb/>
Reise aus geheimnißvollen Lande und deren Nachahmung bei dem von der</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0518] — zu suchen, mit einem Almosen für die Nothleidenden und Kranken des Dorfs erkaufen. Der Ursprung der Sitte ist bekanntlich in den römischen Saturnalien zu suchen. Während dieser festlichen Zeit waren die Schulen geschlossen, der Senat und die Gerichte hatten Ferien und jeder Rangunterschied war auf¬ gehoben. Der Sklave speiste an der Tafel seines Herrn, und das Loos der Bohne konnte ihn so gut treffen wie jenen, der vielleicht römischer Consul war. Denn in Nachahmung der alten Griechen, die bei ihren Gelagen durch das Loos einen „Basileus" bestimmten, dessen Function in Aufrechthaltung der Ordnung bestand, wählten die Römer einen „Rex" oder „Magister Con- vivii", dessen Amt es war, zu wachen, daß der Comment nicht verletzt und nach Regel und Gesetz gezecht wurde. Die Wahl fand fast ganz so wie noch jetzt im Limburgischen statt. Man vertheilte bei Beginn des Gelages einen Kuchen, in dem eine Bohne versteckt war, und zwar setzte man, damit die Ver- theilung ohne Ansehen der Person vor sich gehe, ein Kind auf den Tisch, dem jeder der Gäste mit den Worten „?noth<z äomiuö!" sein Stück abfor¬ derte. Der Gebrauch ist, wie bemerkt, auch in mehren Provinzen Frankreichs noch in der Uebung, ja in mehr als einer Gegend hat sich sogar der Ruf „?uosb<z äomiusl" erhalten, obwol der Bauer keine Ahnung hat, was der Sinn der Worte ist. Daß die Sitte, einen Zecherkönig zu wählen, auch im Belgischen sehr alt ist. ergibt sich aus der Chronik des Mönchs Egidius ki Muisis, Abtes des Sanct Martinsklosters zu Tournai, in welcher wir lesen, daß schon 1231 „nach altem Herkommen die wohlhabenden Bürger und deren Söhne sich Brüdern gleich um eine große runde Tafel versammelten und einen König wählten." Der Gebrauch kommt aber noch häufiger am sechsten Januar, dem Epi¬ phanias- oder Dreikönigstag vor, zu dem wir nun übergehn. Der Epiphaniastag ist, wie bekannt, zum Andenken an die Huldigung der Heidenwelt vor dem neugebornen Welterlöser eingesetzt. Die Bibel, das heißt das Matthäus-Evangelium, erzählt, daß Weise aus dem Morgenland ge¬ kommen seien, um das Kind der Maria, dessen Geburt ihnen durch einen Stern verkündigt worden, anzubeten und es mit Gold, Weihrauch und Myrrhen zu beschenken. Die Legende weiß mehr zu berichten. Sie weiß, daß es drei Weise waren, daß sie die Würde von Königen bekleideten, und daß sie die Namen Kaspar, Melchior und Balthasar führten. Sie weiß sogar, daß Kas¬ par es war, der das Jesuskind mit Myrrhen, Melchior, der es mit Weihrauch, Balthasar (hebräisch: Herr des Schatzes), der es mit Gold beschenkte. Das Volk scheint die frommen freigebigen Herren frühzeitig liebgewonnen zu haben, theils weil sie überhaupt prächtig und seltsam 'auftraten, theils weil ihre weite Reise aus geheimnißvollen Lande und deren Nachahmung bei dem von der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/518
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/518>, abgerufen am 15.01.2025.