Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

aufzustellen; denn in dieser Reicht haben böse Geister und Zauberer besondere
Gewalt über die Menschen, und die drei Mauer, die durch die Kerzen geehrt
werden, besitzen nach dem Volksglauben unbegrenzte Macht über alles, was
mit Gespenstern und Hexen zusammenhangt.
'

Sodann gehen in dieserNacht die Mädchen, ähnlich wie in verschiedenen
deutschen Gegenden, auf Hcirathsomen aus. indem sie sich im Dunkeln nach den
Schafställen begeben und dort unter den Thieren umhertasten. Greifen sie
zuerst einen Widder, so bekommen sie noch im Lauf des Jahres einen Mann.

Sehr häusig sieht man in manchen Strichen Belgiens in der zwölften
Nacht Trictrac spielen, vielleicht weil die Tafeln dieses Spiels, in zwölf Fel¬
der getheilt, ein Symbol der zwölf Monate des Jahres sind, die ihrerseits
wieder in Beziehung zu den zwölf Nächten stehen. Wer an diesem Abend im
Trictrac gewinnt, ist das ganze Jahr hindurch glücklich, meint die Spinn¬
stubenphilosophie.

Ganz wie in der Neujahrsnacht, feuert man auch in der vor dem Drei¬
königstage in Flandern Flinten- und Pistolenschüsse ab. Auch versammelt
man sich, um Fladen zu essen und Genever-Grog zu trinken -- ein Getränk,
das an die "Waissail-book" erinnert, die bei der Weihnachtsfeier des engli¬
schen Landvolks eine Rolle spielt. Indeß ist nicht bekannt, ob man in Flan¬
dern ebenso wie früher in England den Obstbäumen einen Antheil von dem
Grog gönnt.

Im limburger Land geben die Pächter und Gutsbesitzer allen ihren Ar¬
beitern, selbst denen, die nur einmal im verflossenen Jahre für sie beschäftigt
gewesen sind, ein reichliches Abendessen, und nach Beendigung des Mahles
wird einer der Gesellschaft zum König gewählt. Denn die wolbekannte Sitte,
einen Zecher-König aufzustellen und auszurufen, ist die Hauptceremonie dieses
Abends, wiewol sie an einigen Orten erst am Dreikönigstng selbst vorgenom¬
men wird. Der Kuchen mit der Bohne, welcher dabei in Frankreich eine
Rolle spielt, ist in Belgien nur in einigen Strichen Limburgs in Gebrauch.
Hier wird ein ungeheurer Kuchen, in den eine oder zwei Bohnen gebacken
sind, auf den Tisch gebracht und in Stücke zerschnitten. Die drei ersten Por¬
tionen sind "für die heilige Familie" bestimmt, sie werden an die Armen des
Orts vertheilt, während die übrigen unter den Anwesenden herumgereicht
werden. Derjenige, in dessen Antheil sich die Bohne findet, wird zum König
ausgerufen und wählt sich eine Königin, wenn man nicht zwei Bohnen in
den Kuchen gebacken hat, in welchem Fall auch die Königin durch den Zufall
ihre Würde erlangt. Beide zusammen haben die Pflicht, die Gesellschaft am
Dreikönigstag zu bewirthen. Trifft sich's, daß die Bohne nicht in den zur
Vertheilung unter die Gäste gekommenen Stücken des Kuchens ist, so muß die
Gesellschaft das Recht, darnach in dem Antheil der Armen -- pari ä Dien


Grenzboü'n IV. 18K0. 64

aufzustellen; denn in dieser Reicht haben böse Geister und Zauberer besondere
Gewalt über die Menschen, und die drei Mauer, die durch die Kerzen geehrt
werden, besitzen nach dem Volksglauben unbegrenzte Macht über alles, was
mit Gespenstern und Hexen zusammenhangt.
'

Sodann gehen in dieserNacht die Mädchen, ähnlich wie in verschiedenen
deutschen Gegenden, auf Hcirathsomen aus. indem sie sich im Dunkeln nach den
Schafställen begeben und dort unter den Thieren umhertasten. Greifen sie
zuerst einen Widder, so bekommen sie noch im Lauf des Jahres einen Mann.

Sehr häusig sieht man in manchen Strichen Belgiens in der zwölften
Nacht Trictrac spielen, vielleicht weil die Tafeln dieses Spiels, in zwölf Fel¬
der getheilt, ein Symbol der zwölf Monate des Jahres sind, die ihrerseits
wieder in Beziehung zu den zwölf Nächten stehen. Wer an diesem Abend im
Trictrac gewinnt, ist das ganze Jahr hindurch glücklich, meint die Spinn¬
stubenphilosophie.

Ganz wie in der Neujahrsnacht, feuert man auch in der vor dem Drei¬
königstage in Flandern Flinten- und Pistolenschüsse ab. Auch versammelt
man sich, um Fladen zu essen und Genever-Grog zu trinken — ein Getränk,
das an die „Waissail-book" erinnert, die bei der Weihnachtsfeier des engli¬
schen Landvolks eine Rolle spielt. Indeß ist nicht bekannt, ob man in Flan¬
dern ebenso wie früher in England den Obstbäumen einen Antheil von dem
Grog gönnt.

Im limburger Land geben die Pächter und Gutsbesitzer allen ihren Ar¬
beitern, selbst denen, die nur einmal im verflossenen Jahre für sie beschäftigt
gewesen sind, ein reichliches Abendessen, und nach Beendigung des Mahles
wird einer der Gesellschaft zum König gewählt. Denn die wolbekannte Sitte,
einen Zecher-König aufzustellen und auszurufen, ist die Hauptceremonie dieses
Abends, wiewol sie an einigen Orten erst am Dreikönigstng selbst vorgenom¬
men wird. Der Kuchen mit der Bohne, welcher dabei in Frankreich eine
Rolle spielt, ist in Belgien nur in einigen Strichen Limburgs in Gebrauch.
Hier wird ein ungeheurer Kuchen, in den eine oder zwei Bohnen gebacken
sind, auf den Tisch gebracht und in Stücke zerschnitten. Die drei ersten Por¬
tionen sind „für die heilige Familie" bestimmt, sie werden an die Armen des
Orts vertheilt, während die übrigen unter den Anwesenden herumgereicht
werden. Derjenige, in dessen Antheil sich die Bohne findet, wird zum König
ausgerufen und wählt sich eine Königin, wenn man nicht zwei Bohnen in
den Kuchen gebacken hat, in welchem Fall auch die Königin durch den Zufall
ihre Würde erlangt. Beide zusammen haben die Pflicht, die Gesellschaft am
Dreikönigstag zu bewirthen. Trifft sich's, daß die Bohne nicht in den zur
Vertheilung unter die Gäste gekommenen Stücken des Kuchens ist, so muß die
Gesellschaft das Recht, darnach in dem Antheil der Armen — pari ä Dien


Grenzboü'n IV. 18K0. 64
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0517" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/110865"/>
          <p xml:id="ID_1568" prev="#ID_1567"> aufzustellen; denn in dieser Reicht haben böse Geister und Zauberer besondere<lb/>
Gewalt über die Menschen, und die drei Mauer, die durch die Kerzen geehrt<lb/>
werden, besitzen nach dem Volksglauben unbegrenzte Macht über alles, was<lb/>
mit Gespenstern und Hexen zusammenhangt.<lb/>
'</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1569"> Sodann gehen in dieserNacht die Mädchen, ähnlich wie in verschiedenen<lb/>
deutschen Gegenden, auf Hcirathsomen aus. indem sie sich im Dunkeln nach den<lb/>
Schafställen begeben und dort unter den Thieren umhertasten. Greifen sie<lb/>
zuerst einen Widder, so bekommen sie noch im Lauf des Jahres einen Mann.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1570"> Sehr häusig sieht man in manchen Strichen Belgiens in der zwölften<lb/>
Nacht Trictrac spielen, vielleicht weil die Tafeln dieses Spiels, in zwölf Fel¬<lb/>
der getheilt, ein Symbol der zwölf Monate des Jahres sind, die ihrerseits<lb/>
wieder in Beziehung zu den zwölf Nächten stehen. Wer an diesem Abend im<lb/>
Trictrac gewinnt, ist das ganze Jahr hindurch glücklich, meint die Spinn¬<lb/>
stubenphilosophie.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1571"> Ganz wie in der Neujahrsnacht, feuert man auch in der vor dem Drei¬<lb/>
königstage in Flandern Flinten- und Pistolenschüsse ab. Auch versammelt<lb/>
man sich, um Fladen zu essen und Genever-Grog zu trinken &#x2014; ein Getränk,<lb/>
das an die &#x201E;Waissail-book" erinnert, die bei der Weihnachtsfeier des engli¬<lb/>
schen Landvolks eine Rolle spielt. Indeß ist nicht bekannt, ob man in Flan¬<lb/>
dern ebenso wie früher in England den Obstbäumen einen Antheil von dem<lb/>
Grog gönnt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1572" next="#ID_1573"> Im limburger Land geben die Pächter und Gutsbesitzer allen ihren Ar¬<lb/>
beitern, selbst denen, die nur einmal im verflossenen Jahre für sie beschäftigt<lb/>
gewesen sind, ein reichliches Abendessen, und nach Beendigung des Mahles<lb/>
wird einer der Gesellschaft zum König gewählt. Denn die wolbekannte Sitte,<lb/>
einen Zecher-König aufzustellen und auszurufen, ist die Hauptceremonie dieses<lb/>
Abends, wiewol sie an einigen Orten erst am Dreikönigstng selbst vorgenom¬<lb/>
men wird. Der Kuchen mit der Bohne, welcher dabei in Frankreich eine<lb/>
Rolle spielt, ist in Belgien nur in einigen Strichen Limburgs in Gebrauch.<lb/>
Hier wird ein ungeheurer Kuchen, in den eine oder zwei Bohnen gebacken<lb/>
sind, auf den Tisch gebracht und in Stücke zerschnitten. Die drei ersten Por¬<lb/>
tionen sind &#x201E;für die heilige Familie" bestimmt, sie werden an die Armen des<lb/>
Orts vertheilt, während die übrigen unter den Anwesenden herumgereicht<lb/>
werden. Derjenige, in dessen Antheil sich die Bohne findet, wird zum König<lb/>
ausgerufen und wählt sich eine Königin, wenn man nicht zwei Bohnen in<lb/>
den Kuchen gebacken hat, in welchem Fall auch die Königin durch den Zufall<lb/>
ihre Würde erlangt. Beide zusammen haben die Pflicht, die Gesellschaft am<lb/>
Dreikönigstag zu bewirthen. Trifft sich's, daß die Bohne nicht in den zur<lb/>
Vertheilung unter die Gäste gekommenen Stücken des Kuchens ist, so muß die<lb/>
Gesellschaft das Recht, darnach in dem Antheil der Armen &#x2014; pari ä Dien</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboü'n IV. 18K0. 64</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0517] aufzustellen; denn in dieser Reicht haben böse Geister und Zauberer besondere Gewalt über die Menschen, und die drei Mauer, die durch die Kerzen geehrt werden, besitzen nach dem Volksglauben unbegrenzte Macht über alles, was mit Gespenstern und Hexen zusammenhangt. ' Sodann gehen in dieserNacht die Mädchen, ähnlich wie in verschiedenen deutschen Gegenden, auf Hcirathsomen aus. indem sie sich im Dunkeln nach den Schafställen begeben und dort unter den Thieren umhertasten. Greifen sie zuerst einen Widder, so bekommen sie noch im Lauf des Jahres einen Mann. Sehr häusig sieht man in manchen Strichen Belgiens in der zwölften Nacht Trictrac spielen, vielleicht weil die Tafeln dieses Spiels, in zwölf Fel¬ der getheilt, ein Symbol der zwölf Monate des Jahres sind, die ihrerseits wieder in Beziehung zu den zwölf Nächten stehen. Wer an diesem Abend im Trictrac gewinnt, ist das ganze Jahr hindurch glücklich, meint die Spinn¬ stubenphilosophie. Ganz wie in der Neujahrsnacht, feuert man auch in der vor dem Drei¬ königstage in Flandern Flinten- und Pistolenschüsse ab. Auch versammelt man sich, um Fladen zu essen und Genever-Grog zu trinken — ein Getränk, das an die „Waissail-book" erinnert, die bei der Weihnachtsfeier des engli¬ schen Landvolks eine Rolle spielt. Indeß ist nicht bekannt, ob man in Flan¬ dern ebenso wie früher in England den Obstbäumen einen Antheil von dem Grog gönnt. Im limburger Land geben die Pächter und Gutsbesitzer allen ihren Ar¬ beitern, selbst denen, die nur einmal im verflossenen Jahre für sie beschäftigt gewesen sind, ein reichliches Abendessen, und nach Beendigung des Mahles wird einer der Gesellschaft zum König gewählt. Denn die wolbekannte Sitte, einen Zecher-König aufzustellen und auszurufen, ist die Hauptceremonie dieses Abends, wiewol sie an einigen Orten erst am Dreikönigstng selbst vorgenom¬ men wird. Der Kuchen mit der Bohne, welcher dabei in Frankreich eine Rolle spielt, ist in Belgien nur in einigen Strichen Limburgs in Gebrauch. Hier wird ein ungeheurer Kuchen, in den eine oder zwei Bohnen gebacken sind, auf den Tisch gebracht und in Stücke zerschnitten. Die drei ersten Por¬ tionen sind „für die heilige Familie" bestimmt, sie werden an die Armen des Orts vertheilt, während die übrigen unter den Anwesenden herumgereicht werden. Derjenige, in dessen Antheil sich die Bohne findet, wird zum König ausgerufen und wählt sich eine Königin, wenn man nicht zwei Bohnen in den Kuchen gebacken hat, in welchem Fall auch die Königin durch den Zufall ihre Würde erlangt. Beide zusammen haben die Pflicht, die Gesellschaft am Dreikönigstag zu bewirthen. Trifft sich's, daß die Bohne nicht in den zur Vertheilung unter die Gäste gekommenen Stücken des Kuchens ist, so muß die Gesellschaft das Recht, darnach in dem Antheil der Armen — pari ä Dien Grenzboü'n IV. 18K0. 64

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/517
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/517>, abgerufen am 15.01.2025.