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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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Phara'nden-Kapitel dieser Stadt einen Theil ihrer Gebeine der ihr zu Ehren
in Stennockerzeel erbauten Kapelle. Der Erzbischof von Mecheln approbirte
im Jahre darauf diese Reliquien und gewährte denen, welche dorthin pilger¬
ten , einen vierzigtägigen Ablaß. Zu Anfang dieses Jahrhunderts endlich
kamen die heiligen Gebeine, da die Kapelle von der französischen Regierung
verkauft wurde, nach der Nicolaikirche des benachbarten Gent, wo sie sammt
einigen durch die Heilige in Stein verwandelten Broden noch heute fromme
Baucrngemüther erbauen.

Die Geschichte von den steinernen Broden, die jeden vierten Januar aus¬
gestellt werden und dann stets zahlreiche Gläubige herbeilocken, ist die be¬
kannte, die sich in verschiedenen andern niederländischen Orten, z. B. in
Leiden, und ebenso in vielen deutschen Städten zugetragen haben soll. Eine
arme Frau kommt zu ihrer reichen Schwester, um für ihr Kind um Brot zu
bitten. Diese verweigert die Bitte, da sie selbst keins im Hause habe, und
setzt, um ihre Worte zu bekräftigen, den Fluch hinzu: "daß mir alles Brot,
welches ich hätte, zu Stein würde!" Die Arme ging und würde ihr Kind
haben Hungers sterben sehen, wenn ihr nicht eine andere mitlcid.igere Frau
begegnet wäre, die sie mit dem Erforderlichen versah. An der reichen Schwe¬
ster dagegen erfüllte sich ihr Fluch: all ihr Brot wurde zu Stein, und so mußte
sie verhungern. Die Helferin in der Noth aber und die Rächerin des Fre¬
vels war niemand anders als die "finde Veerle" gewesen. Dieselbe gilt dem
Landvolk noch jetzt als Hülfreiches Wesen, und namentlich am vierten Januar
ruft man sie für kränkliche Kinder, gegen Leibschmerz und Zahnweh, gegen
Fieber und Viehkrankheiten an. Ferner hat sie Einfluß auf das Gerathen
der Butter und auf den Verlauf von Reisen. Endlich vermag sie das Ster¬
ben zu erleichtern, was wol aus die Walküre zurückweist, die sich in der Hei¬
ligen verborgen hat.

Der fünfte Januar ist als Vorgänger des Drcikönigstags in der Kirche
wie im Volksglauben ein ganz besonders angesehener und bedeutsamer. Die
Kirche hat ihm nicht weniger als sechs Heilige, drei männlichen und drei
weiblichen Geschlechts: Eduard, Simon Stylites und Telesphorus, Amada
Emilia und Januaria zu Taufpathen gegeben. Das Volk aber knüpft an ihn
allerlei Weissagung und Zauber und begeht ihn mit verschiedenen alterthüm¬
lichen Bräuchen als die zwölfte der heiligen Nächte. Ist der Tag kalt, der
Himmel klar, der Wind still, so erwartet man ein glückliches Jahr, regnet es,
ist die Temperatur mild und weht ein starker Wind, so befürchtet man ein
unglückliches. Sehr ungern sieht der Altgläubige an diesem Tage nach star¬
kem Regen hellen Sonnenschein; denn das bedeutet Krieg und Blutvergießen.

Ferner herrscht in vielen Dörfern, in vlämischen wie in wallonischen,
noch die Sitte, am Abend vor Dreikönigstag vor dem Hause drei Kerzen


Phara'nden-Kapitel dieser Stadt einen Theil ihrer Gebeine der ihr zu Ehren
in Stennockerzeel erbauten Kapelle. Der Erzbischof von Mecheln approbirte
im Jahre darauf diese Reliquien und gewährte denen, welche dorthin pilger¬
ten , einen vierzigtägigen Ablaß. Zu Anfang dieses Jahrhunderts endlich
kamen die heiligen Gebeine, da die Kapelle von der französischen Regierung
verkauft wurde, nach der Nicolaikirche des benachbarten Gent, wo sie sammt
einigen durch die Heilige in Stein verwandelten Broden noch heute fromme
Baucrngemüther erbauen.

Die Geschichte von den steinernen Broden, die jeden vierten Januar aus¬
gestellt werden und dann stets zahlreiche Gläubige herbeilocken, ist die be¬
kannte, die sich in verschiedenen andern niederländischen Orten, z. B. in
Leiden, und ebenso in vielen deutschen Städten zugetragen haben soll. Eine
arme Frau kommt zu ihrer reichen Schwester, um für ihr Kind um Brot zu
bitten. Diese verweigert die Bitte, da sie selbst keins im Hause habe, und
setzt, um ihre Worte zu bekräftigen, den Fluch hinzu: „daß mir alles Brot,
welches ich hätte, zu Stein würde!" Die Arme ging und würde ihr Kind
haben Hungers sterben sehen, wenn ihr nicht eine andere mitlcid.igere Frau
begegnet wäre, die sie mit dem Erforderlichen versah. An der reichen Schwe¬
ster dagegen erfüllte sich ihr Fluch: all ihr Brot wurde zu Stein, und so mußte
sie verhungern. Die Helferin in der Noth aber und die Rächerin des Fre¬
vels war niemand anders als die „finde Veerle" gewesen. Dieselbe gilt dem
Landvolk noch jetzt als Hülfreiches Wesen, und namentlich am vierten Januar
ruft man sie für kränkliche Kinder, gegen Leibschmerz und Zahnweh, gegen
Fieber und Viehkrankheiten an. Ferner hat sie Einfluß auf das Gerathen
der Butter und auf den Verlauf von Reisen. Endlich vermag sie das Ster¬
ben zu erleichtern, was wol aus die Walküre zurückweist, die sich in der Hei¬
ligen verborgen hat.

Der fünfte Januar ist als Vorgänger des Drcikönigstags in der Kirche
wie im Volksglauben ein ganz besonders angesehener und bedeutsamer. Die
Kirche hat ihm nicht weniger als sechs Heilige, drei männlichen und drei
weiblichen Geschlechts: Eduard, Simon Stylites und Telesphorus, Amada
Emilia und Januaria zu Taufpathen gegeben. Das Volk aber knüpft an ihn
allerlei Weissagung und Zauber und begeht ihn mit verschiedenen alterthüm¬
lichen Bräuchen als die zwölfte der heiligen Nächte. Ist der Tag kalt, der
Himmel klar, der Wind still, so erwartet man ein glückliches Jahr, regnet es,
ist die Temperatur mild und weht ein starker Wind, so befürchtet man ein
unglückliches. Sehr ungern sieht der Altgläubige an diesem Tage nach star¬
kem Regen hellen Sonnenschein; denn das bedeutet Krieg und Blutvergießen.

Ferner herrscht in vielen Dörfern, in vlämischen wie in wallonischen,
noch die Sitte, am Abend vor Dreikönigstag vor dem Hause drei Kerzen


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[0516] Phara'nden-Kapitel dieser Stadt einen Theil ihrer Gebeine der ihr zu Ehren in Stennockerzeel erbauten Kapelle. Der Erzbischof von Mecheln approbirte im Jahre darauf diese Reliquien und gewährte denen, welche dorthin pilger¬ ten , einen vierzigtägigen Ablaß. Zu Anfang dieses Jahrhunderts endlich kamen die heiligen Gebeine, da die Kapelle von der französischen Regierung verkauft wurde, nach der Nicolaikirche des benachbarten Gent, wo sie sammt einigen durch die Heilige in Stein verwandelten Broden noch heute fromme Baucrngemüther erbauen. Die Geschichte von den steinernen Broden, die jeden vierten Januar aus¬ gestellt werden und dann stets zahlreiche Gläubige herbeilocken, ist die be¬ kannte, die sich in verschiedenen andern niederländischen Orten, z. B. in Leiden, und ebenso in vielen deutschen Städten zugetragen haben soll. Eine arme Frau kommt zu ihrer reichen Schwester, um für ihr Kind um Brot zu bitten. Diese verweigert die Bitte, da sie selbst keins im Hause habe, und setzt, um ihre Worte zu bekräftigen, den Fluch hinzu: „daß mir alles Brot, welches ich hätte, zu Stein würde!" Die Arme ging und würde ihr Kind haben Hungers sterben sehen, wenn ihr nicht eine andere mitlcid.igere Frau begegnet wäre, die sie mit dem Erforderlichen versah. An der reichen Schwe¬ ster dagegen erfüllte sich ihr Fluch: all ihr Brot wurde zu Stein, und so mußte sie verhungern. Die Helferin in der Noth aber und die Rächerin des Fre¬ vels war niemand anders als die „finde Veerle" gewesen. Dieselbe gilt dem Landvolk noch jetzt als Hülfreiches Wesen, und namentlich am vierten Januar ruft man sie für kränkliche Kinder, gegen Leibschmerz und Zahnweh, gegen Fieber und Viehkrankheiten an. Ferner hat sie Einfluß auf das Gerathen der Butter und auf den Verlauf von Reisen. Endlich vermag sie das Ster¬ ben zu erleichtern, was wol aus die Walküre zurückweist, die sich in der Hei¬ ligen verborgen hat. Der fünfte Januar ist als Vorgänger des Drcikönigstags in der Kirche wie im Volksglauben ein ganz besonders angesehener und bedeutsamer. Die Kirche hat ihm nicht weniger als sechs Heilige, drei männlichen und drei weiblichen Geschlechts: Eduard, Simon Stylites und Telesphorus, Amada Emilia und Januaria zu Taufpathen gegeben. Das Volk aber knüpft an ihn allerlei Weissagung und Zauber und begeht ihn mit verschiedenen alterthüm¬ lichen Bräuchen als die zwölfte der heiligen Nächte. Ist der Tag kalt, der Himmel klar, der Wind still, so erwartet man ein glückliches Jahr, regnet es, ist die Temperatur mild und weht ein starker Wind, so befürchtet man ein unglückliches. Sehr ungern sieht der Altgläubige an diesem Tage nach star¬ kem Regen hellen Sonnenschein; denn das bedeutet Krieg und Blutvergießen. Ferner herrscht in vielen Dörfern, in vlämischen wie in wallonischen, noch die Sitte, am Abend vor Dreikönigstag vor dem Hause drei Kerzen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/516>, abgerufen am 15.01.2025.