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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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geht, ist nichts anderes als der in eine possenhafte Kinderscheuche verwandelte
Wuotan. In Deutschland außerhalb des Christenthums geblieben, wurde der
alte Gott erst ein Gespenst, dann ein Popanz für die Kinder. In Belgien
flüchtete er sich in die Kirche und rettete damit nicht blos seine Existenz, son¬
dern auch seine Verehrung. Daß er sich die neunte der heiligen Nächte
wählte, verräth ebenfalls deutlich das Heidenthum des frommen Abtes, Die
Neun ist die am höchsten geehrte Zahl in den Resten des germanischen Ur-
glaubens. Der Grund weshalb, wird vielleicht in der fernen Heimath der
Arier zu suchen sein, vielleicht auch liegt er in einem einfachen Rechenexempel.
Die Neun ist eine unzerstörbare Zahl, die sich, mögen wir sie addiren, mul-
tipliciren otzer dividiren, immer wieder herstellt. Multipliciren wir 9 mit 9
oder irgend welcher einfachen Ziffer, so werden die beiden Zahlen des Pro¬
ducts addirt stets 9 geben, z. B. 9 mal 9 ist 81 und 8 und 1-^9:4 mal
9 ist 36 und 3 und 6 -- 9 u. s. w. Sei dem aber wie ihm wolle, jeden¬
falls ist der heilige Berthold des belgischen Bauernkalenders ein verkappter
Hcidengott und der Gebrauch, an seinem Tage die Hühner bessern Gedeihens
halber mit neunerlei Sorten Getreide zu füttern, eine Sitte, die mit vor¬
christlichen Borstellungen in Verbindung steht.
'

Auch inden belgischen Heiligen, welche dem dritten Januar, und ebenso
in denen, welche dem vierten vorstehen, wird man Erinnerungen an die
Namen und Gestalten der deutschen Mythologie vermuthen dürfen.

Dem dritten Januar oder, um heidnisch zu reden, der zehnten von den
zwölf Nächten, stehen die heilige Genovefa und die heilige Berthilde vor.
Der ersteren sind in Belgien eine große Anzahl von Kirchen geweiht, man
verehrt sie als Beschützerin der Aecker und Wiesen, ruft sie gegen Glieder¬
reißen und Flechten an und feiert ihr zu Ehren in Drehance bei Dinant all¬
jährlich um 3. Januar ein Fest, zu dem sich zahlreiche Pilger einstellen.
Berthilde ist Patronin der Feldarbeiten, und ihr Fest hat Einfluß auf das
Wetter. Namentlich die Winzer betrachten ihren Tag als bedeutungsvoll für
den Weinstock, den sie früher an diesem Tage zu beschneiden pflegten. Die
heilige Pharailde endlich, welche in Gemeinschaft mit Samt Rigobert den
vierten Januar zu ihrem Ehrentag hat. steht, wie bekannt, mit gewissen
Sagen vom wilden Heer in zu enger Verbindung, als daß wir in ihr nicht
die christliche Wiedergeburt einer heidnischen Walkyre oder Göttin erkennen
dürften.

Die Kirche weiß davon natürlich nichts. Nach der Legende war die heilige
Pharaildis (vlämisch: sinke Veerle) die Schwester des Heiligen-Emebert. Bischofs
von Cambray. und der heiligen Rainilde und Gudula. Nachdem sie neunzig
Jahre der Uebung jeglicher Tugend gelebt, starb sie in Lothringen, von wo
man ihren Leichnam 745 nach Genf brachte. 1685 schenkte das Sanct-


geht, ist nichts anderes als der in eine possenhafte Kinderscheuche verwandelte
Wuotan. In Deutschland außerhalb des Christenthums geblieben, wurde der
alte Gott erst ein Gespenst, dann ein Popanz für die Kinder. In Belgien
flüchtete er sich in die Kirche und rettete damit nicht blos seine Existenz, son¬
dern auch seine Verehrung. Daß er sich die neunte der heiligen Nächte
wählte, verräth ebenfalls deutlich das Heidenthum des frommen Abtes, Die
Neun ist die am höchsten geehrte Zahl in den Resten des germanischen Ur-
glaubens. Der Grund weshalb, wird vielleicht in der fernen Heimath der
Arier zu suchen sein, vielleicht auch liegt er in einem einfachen Rechenexempel.
Die Neun ist eine unzerstörbare Zahl, die sich, mögen wir sie addiren, mul-
tipliciren otzer dividiren, immer wieder herstellt. Multipliciren wir 9 mit 9
oder irgend welcher einfachen Ziffer, so werden die beiden Zahlen des Pro¬
ducts addirt stets 9 geben, z. B. 9 mal 9 ist 81 und 8 und 1-^9:4 mal
9 ist 36 und 3 und 6 — 9 u. s. w. Sei dem aber wie ihm wolle, jeden¬
falls ist der heilige Berthold des belgischen Bauernkalenders ein verkappter
Hcidengott und der Gebrauch, an seinem Tage die Hühner bessern Gedeihens
halber mit neunerlei Sorten Getreide zu füttern, eine Sitte, die mit vor¬
christlichen Borstellungen in Verbindung steht.
'

Auch inden belgischen Heiligen, welche dem dritten Januar, und ebenso
in denen, welche dem vierten vorstehen, wird man Erinnerungen an die
Namen und Gestalten der deutschen Mythologie vermuthen dürfen.

Dem dritten Januar oder, um heidnisch zu reden, der zehnten von den
zwölf Nächten, stehen die heilige Genovefa und die heilige Berthilde vor.
Der ersteren sind in Belgien eine große Anzahl von Kirchen geweiht, man
verehrt sie als Beschützerin der Aecker und Wiesen, ruft sie gegen Glieder¬
reißen und Flechten an und feiert ihr zu Ehren in Drehance bei Dinant all¬
jährlich um 3. Januar ein Fest, zu dem sich zahlreiche Pilger einstellen.
Berthilde ist Patronin der Feldarbeiten, und ihr Fest hat Einfluß auf das
Wetter. Namentlich die Winzer betrachten ihren Tag als bedeutungsvoll für
den Weinstock, den sie früher an diesem Tage zu beschneiden pflegten. Die
heilige Pharailde endlich, welche in Gemeinschaft mit Samt Rigobert den
vierten Januar zu ihrem Ehrentag hat. steht, wie bekannt, mit gewissen
Sagen vom wilden Heer in zu enger Verbindung, als daß wir in ihr nicht
die christliche Wiedergeburt einer heidnischen Walkyre oder Göttin erkennen
dürften.

Die Kirche weiß davon natürlich nichts. Nach der Legende war die heilige
Pharaildis (vlämisch: sinke Veerle) die Schwester des Heiligen-Emebert. Bischofs
von Cambray. und der heiligen Rainilde und Gudula. Nachdem sie neunzig
Jahre der Uebung jeglicher Tugend gelebt, starb sie in Lothringen, von wo
man ihren Leichnam 745 nach Genf brachte. 1685 schenkte das Sanct-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/515>, abgerufen am 15.01.2025.