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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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der Gesellschaft das Recht des Widerspruchs und der Trennung von den sie
bedrohenden Handlungen der andern Theile oder Interessen.

Daß^ diese Grundsätze nur auf Sklavenstaaten passen, daß sie auf der
Ansicht ruhen, die Menschheit werde lediglich vom Egoismus regiert, und daß
die Konsequenz des Systems das freie Veto der polnischen Landboten oder
die absolute Anarchie ist, kümmerte Calhoun nicht. Mußten sie doch zum
Vortheil des Südens ausschlagen, auf den die ganze Sophistik zugespitzt
war. Diesen Vortheil verfolgte er mit einer nie rastenden fanatischen Conse-
quenz und mit einer Gewandtheit im Manövriren. die von Compromiß zu
Compromiß mit den Gegnern endlich bis zu einer fast unbedingten Supre¬
matie der Sklavenstaaten über die freien gelangte. Bis auf Calhoun galt
die Sklaverei selbst dem Süden als ein Uebel. Er sprach zuerst aus, daß sie
der normale Zustand für den Neger, göttlich in ihrem Ursprung und wohl¬
thätig in ihren Folgen, daß eine wirkliche Demokratie ein Unding und die
Sklaverei das conservative Princip der menschlichen Gesellschaft sei, und daß
die Regierung das System, dem sie ihre Stabilität verdanke, nicht zu beschrän¬
ken, sondern nach Möglichkeit zu fördern und auszudehnen habe. Danach
handelte er in allen Fragen, danach handeln seine Nachfolger noch bis diesen
Tag, und so gelangte die Partei, fortwährend die höchsten Forderungen stel¬
lend, um die Gegner wenigstens zu Abschlagszahlungen zu vermögen, endlich
dahin, wo der Norden, die Summe dieser Abschlagszahlungen überblickend,
inne wurde, daß auf diese Weise nicht mehr zu leben sei.

Es ist hier nicht der Ort, jene Kette von Kompromissen im Einzelnen zu
betrachten; nur an dasjenige sei erinnert, welches, durch Anwendung der Cal-
hounschen Theorie von dem Rechte der Einzelstaaten, unbequeme Beschlüsse des
Kongresses in ihrem Gebiet sür ungiltig zu erklären und sich von der Union
loszusagen, erzwungen wurde, und welches uns durch diese seine Entwicklung
einen Fingerzeig geben kann, worauf es mit den jetzt aus Südcarolina be¬
richteten secessionistischen Demonstrationen allein abgesehen zu sein scheint.

Wir meinen die Tarif-Agitation, die in den Jahren 1828 bis 1833 die
Union in derselben Weise aufregte, wie jetzt die Sklavenfrage. Der Verlauf
derselben war folgender: Auf Andringen der nördlichen Manufacturstaaten
wurde im April 1828 vom Congreß ein Gesetz angenommen, welches fast auf
alle mit den Erzeugnissen amerikanischer Industrie concurrirenden ausländischen
Waaren, auf Wollenstoffe, Eisen. Hanf. Blei und namentlich auch auf Baum¬
wollenwaaren höhere Eingangsstcuern legte. Die Pflanzer des Südens, unter
denen es keine Fabrikanten gab, und die nur das eine Interesse hatten, ihre
Baumwolle auf dem englischen Weltmarkt möglichst gut zu verkaufen und ihre
Bedürfnisse an Manufacturwaaren möglichst wohlfeil zu erlangen, bekämpften
als Freihändler-Partei jenen schutzzöllnerischen Tarif im Congreß mit aller


der Gesellschaft das Recht des Widerspruchs und der Trennung von den sie
bedrohenden Handlungen der andern Theile oder Interessen.

Daß^ diese Grundsätze nur auf Sklavenstaaten passen, daß sie auf der
Ansicht ruhen, die Menschheit werde lediglich vom Egoismus regiert, und daß
die Konsequenz des Systems das freie Veto der polnischen Landboten oder
die absolute Anarchie ist, kümmerte Calhoun nicht. Mußten sie doch zum
Vortheil des Südens ausschlagen, auf den die ganze Sophistik zugespitzt
war. Diesen Vortheil verfolgte er mit einer nie rastenden fanatischen Conse-
quenz und mit einer Gewandtheit im Manövriren. die von Compromiß zu
Compromiß mit den Gegnern endlich bis zu einer fast unbedingten Supre¬
matie der Sklavenstaaten über die freien gelangte. Bis auf Calhoun galt
die Sklaverei selbst dem Süden als ein Uebel. Er sprach zuerst aus, daß sie
der normale Zustand für den Neger, göttlich in ihrem Ursprung und wohl¬
thätig in ihren Folgen, daß eine wirkliche Demokratie ein Unding und die
Sklaverei das conservative Princip der menschlichen Gesellschaft sei, und daß
die Regierung das System, dem sie ihre Stabilität verdanke, nicht zu beschrän¬
ken, sondern nach Möglichkeit zu fördern und auszudehnen habe. Danach
handelte er in allen Fragen, danach handeln seine Nachfolger noch bis diesen
Tag, und so gelangte die Partei, fortwährend die höchsten Forderungen stel¬
lend, um die Gegner wenigstens zu Abschlagszahlungen zu vermögen, endlich
dahin, wo der Norden, die Summe dieser Abschlagszahlungen überblickend,
inne wurde, daß auf diese Weise nicht mehr zu leben sei.

Es ist hier nicht der Ort, jene Kette von Kompromissen im Einzelnen zu
betrachten; nur an dasjenige sei erinnert, welches, durch Anwendung der Cal-
hounschen Theorie von dem Rechte der Einzelstaaten, unbequeme Beschlüsse des
Kongresses in ihrem Gebiet sür ungiltig zu erklären und sich von der Union
loszusagen, erzwungen wurde, und welches uns durch diese seine Entwicklung
einen Fingerzeig geben kann, worauf es mit den jetzt aus Südcarolina be¬
richteten secessionistischen Demonstrationen allein abgesehen zu sein scheint.

Wir meinen die Tarif-Agitation, die in den Jahren 1828 bis 1833 die
Union in derselben Weise aufregte, wie jetzt die Sklavenfrage. Der Verlauf
derselben war folgender: Auf Andringen der nördlichen Manufacturstaaten
wurde im April 1828 vom Congreß ein Gesetz angenommen, welches fast auf
alle mit den Erzeugnissen amerikanischer Industrie concurrirenden ausländischen
Waaren, auf Wollenstoffe, Eisen. Hanf. Blei und namentlich auch auf Baum¬
wollenwaaren höhere Eingangsstcuern legte. Die Pflanzer des Südens, unter
denen es keine Fabrikanten gab, und die nur das eine Interesse hatten, ihre
Baumwolle auf dem englischen Weltmarkt möglichst gut zu verkaufen und ihre
Bedürfnisse an Manufacturwaaren möglichst wohlfeil zu erlangen, bekämpften
als Freihändler-Partei jenen schutzzöllnerischen Tarif im Congreß mit aller


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/508>, abgerufen am 15.01.2025.