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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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sehen von jenem Census, den nördlichen gegenüber darin zu suchen, daß man
unter der Sklavenhalter-Aristokratie im Süden bisher mehr Zeit und Neigung
hatte, sich mit Politik zu beschäftigen, und daß die Interessen hier nicht so
sehr auseinander gehen als im Norden. Den größern Südstaaten gegenüber
erklärt sich die Führerschaft Südcorolinas ans der Anzahl von bedeutenden
Politikern, die es in den Congreß gesandt hat. und aus dem Umstand, daß
hier sich eine Schule bildete, welche die Grundsätze jener Politiker fortpflanzte
und bei allen Gelegenheiten mit traditioneller Kunst und Kühnheit zu ver¬
wirklichen bestrebt war. Als Gründer dieser Schule haben wir John E. Cal-
houn anzusehen, der zuerst (vgl. Kapp, Gesch. d. Sklav.) die Sklaverei der
Freiheit als gleichberechtigte Macht gegenüberstellte und zuerst mit Entschieden¬
heit und Konsequenz den Grundsatz verfocht, daß jeder Einzelstaat Richter
über die Grenzen der Bundesgewalt sei.

Calhouns Theorie in Betreff der Stellung der Einzelstaaten zur Central-
gewalt unterscheidet sich von der seines Meisters Jefferson wesentlich dadurch,
daß sie bewaffnet auftritt. Jefferson stellte die Gleichberechtigung Aller als
Princip auf, sicherte die Freiheit der Einzelstaaten dadurch, daß er die Bun¬
desregierung angewiesen sehen wollte , sich aller Einmischung in die innern
Angelegenheiten dieser Staaten zu enthalten, gab aber die Entscheidung in
öffentlichen Fragen den Majoritäten anheim. Calhoun verwechselte das
schrankenlose Belieben des Einzelnen mit der Freiheit Aller, wollte gleiches
Recht nur für die Herren und stellte als Schutzmittel gegen unbequeme Ma¬
joritätsbeschlüsse den Satz auf, daß jeder einzelne Staat die Befugniß habe,
bei Verletzung oder Beschränkung seiner Interessen durch den Congreß jeden
dahin zielenden Beschluß für nichtig zu erklären.

Calhoun ist der Meister, auf dessen Worte alle südlichen Demokraten wie
auf ein Evangelium schwören, sein Werk über den Staat noch heute die
Waffenkammer, aus der sie ihr Rüstzeug gegen den Norden holen. Die
Grundsätze jenes Buches sind folgende: die Regierung ist da, um die Gesell¬
schaft vor egoistischen Uebergriffen des Stärkeren zu schützen. Da deren Macht
in der Regel Individuen anvertraut ist. die ihre Interessen dem allgemeinen
Besten vorziehen, so muß sie durch eine Verfassung beschränkt werden. Fra¬
gen wir, wie soll diese das Publicum vor Beeinträchtigung schützen, so sehen
wir, daß das allgemeine Stimmrecht nur eine herrschende Majorität wählt,
welche an die Stelle der Regierung tritt und ganz dieselben egoistischen Nei-
gungen hat. Die freie Presse kann daran nichts ändern, da sie sich stets auf
die Seite lehnt, auf welcher die stärksten Interessen herrschen. Die einzige
Möglichkeit, ans dieser Schwierigkeit herauszukommen, findet sich daher in den
"concurrirenden Mehrheiten". Diese bilde" de" Gegensatz zu den numerischen
Mehrheiten und geben den von letzteren bedrohten Theilen oder Interessen


sehen von jenem Census, den nördlichen gegenüber darin zu suchen, daß man
unter der Sklavenhalter-Aristokratie im Süden bisher mehr Zeit und Neigung
hatte, sich mit Politik zu beschäftigen, und daß die Interessen hier nicht so
sehr auseinander gehen als im Norden. Den größern Südstaaten gegenüber
erklärt sich die Führerschaft Südcorolinas ans der Anzahl von bedeutenden
Politikern, die es in den Congreß gesandt hat. und aus dem Umstand, daß
hier sich eine Schule bildete, welche die Grundsätze jener Politiker fortpflanzte
und bei allen Gelegenheiten mit traditioneller Kunst und Kühnheit zu ver¬
wirklichen bestrebt war. Als Gründer dieser Schule haben wir John E. Cal-
houn anzusehen, der zuerst (vgl. Kapp, Gesch. d. Sklav.) die Sklaverei der
Freiheit als gleichberechtigte Macht gegenüberstellte und zuerst mit Entschieden¬
heit und Konsequenz den Grundsatz verfocht, daß jeder Einzelstaat Richter
über die Grenzen der Bundesgewalt sei.

Calhouns Theorie in Betreff der Stellung der Einzelstaaten zur Central-
gewalt unterscheidet sich von der seines Meisters Jefferson wesentlich dadurch,
daß sie bewaffnet auftritt. Jefferson stellte die Gleichberechtigung Aller als
Princip auf, sicherte die Freiheit der Einzelstaaten dadurch, daß er die Bun¬
desregierung angewiesen sehen wollte , sich aller Einmischung in die innern
Angelegenheiten dieser Staaten zu enthalten, gab aber die Entscheidung in
öffentlichen Fragen den Majoritäten anheim. Calhoun verwechselte das
schrankenlose Belieben des Einzelnen mit der Freiheit Aller, wollte gleiches
Recht nur für die Herren und stellte als Schutzmittel gegen unbequeme Ma¬
joritätsbeschlüsse den Satz auf, daß jeder einzelne Staat die Befugniß habe,
bei Verletzung oder Beschränkung seiner Interessen durch den Congreß jeden
dahin zielenden Beschluß für nichtig zu erklären.

Calhoun ist der Meister, auf dessen Worte alle südlichen Demokraten wie
auf ein Evangelium schwören, sein Werk über den Staat noch heute die
Waffenkammer, aus der sie ihr Rüstzeug gegen den Norden holen. Die
Grundsätze jenes Buches sind folgende: die Regierung ist da, um die Gesell¬
schaft vor egoistischen Uebergriffen des Stärkeren zu schützen. Da deren Macht
in der Regel Individuen anvertraut ist. die ihre Interessen dem allgemeinen
Besten vorziehen, so muß sie durch eine Verfassung beschränkt werden. Fra¬
gen wir, wie soll diese das Publicum vor Beeinträchtigung schützen, so sehen
wir, daß das allgemeine Stimmrecht nur eine herrschende Majorität wählt,
welche an die Stelle der Regierung tritt und ganz dieselben egoistischen Nei-
gungen hat. Die freie Presse kann daran nichts ändern, da sie sich stets auf
die Seite lehnt, auf welcher die stärksten Interessen herrschen. Die einzige
Möglichkeit, ans dieser Schwierigkeit herauszukommen, findet sich daher in den
„concurrirenden Mehrheiten". Diese bilde» de» Gegensatz zu den numerischen
Mehrheiten und geben den von letzteren bedrohten Theilen oder Interessen


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[0507] sehen von jenem Census, den nördlichen gegenüber darin zu suchen, daß man unter der Sklavenhalter-Aristokratie im Süden bisher mehr Zeit und Neigung hatte, sich mit Politik zu beschäftigen, und daß die Interessen hier nicht so sehr auseinander gehen als im Norden. Den größern Südstaaten gegenüber erklärt sich die Führerschaft Südcorolinas ans der Anzahl von bedeutenden Politikern, die es in den Congreß gesandt hat. und aus dem Umstand, daß hier sich eine Schule bildete, welche die Grundsätze jener Politiker fortpflanzte und bei allen Gelegenheiten mit traditioneller Kunst und Kühnheit zu ver¬ wirklichen bestrebt war. Als Gründer dieser Schule haben wir John E. Cal- houn anzusehen, der zuerst (vgl. Kapp, Gesch. d. Sklav.) die Sklaverei der Freiheit als gleichberechtigte Macht gegenüberstellte und zuerst mit Entschieden¬ heit und Konsequenz den Grundsatz verfocht, daß jeder Einzelstaat Richter über die Grenzen der Bundesgewalt sei. Calhouns Theorie in Betreff der Stellung der Einzelstaaten zur Central- gewalt unterscheidet sich von der seines Meisters Jefferson wesentlich dadurch, daß sie bewaffnet auftritt. Jefferson stellte die Gleichberechtigung Aller als Princip auf, sicherte die Freiheit der Einzelstaaten dadurch, daß er die Bun¬ desregierung angewiesen sehen wollte , sich aller Einmischung in die innern Angelegenheiten dieser Staaten zu enthalten, gab aber die Entscheidung in öffentlichen Fragen den Majoritäten anheim. Calhoun verwechselte das schrankenlose Belieben des Einzelnen mit der Freiheit Aller, wollte gleiches Recht nur für die Herren und stellte als Schutzmittel gegen unbequeme Ma¬ joritätsbeschlüsse den Satz auf, daß jeder einzelne Staat die Befugniß habe, bei Verletzung oder Beschränkung seiner Interessen durch den Congreß jeden dahin zielenden Beschluß für nichtig zu erklären. Calhoun ist der Meister, auf dessen Worte alle südlichen Demokraten wie auf ein Evangelium schwören, sein Werk über den Staat noch heute die Waffenkammer, aus der sie ihr Rüstzeug gegen den Norden holen. Die Grundsätze jenes Buches sind folgende: die Regierung ist da, um die Gesell¬ schaft vor egoistischen Uebergriffen des Stärkeren zu schützen. Da deren Macht in der Regel Individuen anvertraut ist. die ihre Interessen dem allgemeinen Besten vorziehen, so muß sie durch eine Verfassung beschränkt werden. Fra¬ gen wir, wie soll diese das Publicum vor Beeinträchtigung schützen, so sehen wir, daß das allgemeine Stimmrecht nur eine herrschende Majorität wählt, welche an die Stelle der Regierung tritt und ganz dieselben egoistischen Nei- gungen hat. Die freie Presse kann daran nichts ändern, da sie sich stets auf die Seite lehnt, auf welcher die stärksten Interessen herrschen. Die einzige Möglichkeit, ans dieser Schwierigkeit herauszukommen, findet sich daher in den „concurrirenden Mehrheiten". Diese bilde» de» Gegensatz zu den numerischen Mehrheiten und geben den von letzteren bedrohten Theilen oder Interessen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/507>, abgerufen am 15.01.2025.