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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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sich im Gegensatz mit den tölpelhaften Wortführern der Menge, über deren
Recensionen sie sich sehr unnütz ärgerten; sie wußten sich im Gegensatz zu
Kotzebue u. s. w.; aber wenn man ihnen die griechische Maske abnimmt, so
findet man das ehrliche deutsche Gesicht, d. h. der wahre Lebensinhalt ihrer
Dichtungen ist der wahre Lebensinhalt ihres Zeitalters. Als Deklamatoren
und Nhetoriker stemmten sie sich ihm entgegen; als Dichter waren sie seine
Führer. Und der wahre Lebensinhalt jenes Zeitalters ist in der Hauptsache,
einige Mißverständnisse abgerechnet, auch noch der unsrige.

Die Romantiker dagegen waren in wirklichem Gegensatz gegen das Zeit¬
alter; sie hatten, um im Ton der Goethe-Schiller-Fichteschen Declamation zu
bleiben und den Effect noch zu steigern, so lauge an ihren eignen Gedanken
und Empfindungen hernmgenrbcitet, daß sie zuletzt wirklich anders dachten und
empfanden, nicht blos als ihr? Zeitgenossen, sondern als je zu irgend einer
Zeit ein Mensch, der bei gesunden Sinnen war, gedacht und empfunden
hat. In ihrer Blüthezeit haben sie im Publicum gar keinen Anklang gefun¬
den, doch stellten sich eine Reihe von Jüngern ein. die unfähig, etwas zu
schaffen, von ihnen die leichte Kunst lernten, sich den Schein der Genialität
zu geben. Leicht war die Kunst, denn man durfte nur das Gegentheil von
dem sagen, was die öffentliche Meinung empfand und dachte, so war man
ein vollkommener Künstler. Wer das übertrieben findet, lese einmal die Poe¬
sien von Zacharias Werner: und dieser schmutzige Hanswurst galt damals
nicht blos bei Hans und Kunz für einen großen Dichter, sondern Goethe
selbst war in schwachen Stunden geneigt, ihn dafür zu halten. Goethe, der
Dichter der Schönheit, der Liebe, der Freiheit, des Lichts, diesen zotenhaften
Kapuziner, der seinen Unflat in einen Heiligenschrcin zu legen sich erfrechte!

Die Masse der Jünger wurde am Ende so groß, daß sie ein nicht uner¬
hebliches Publicum bildete. Die nüchternsten Spießbürger, wie Müllner.
Kotzebue, Houwald dichteten zuletzt romantisch. Warum nicht? Effect ist
Effect! und die neue Geisterlarve war noch viel bequemer zu tragen als die alte
des "polternden Alten" u. s. w.; die Form des Schaffens war dieselbe geblie¬
ben: statt ganzer Gestalten Moscnkarbcit aus einzelnen Effecten.

Abgesehen von vielen andern Paradoxien der Romantiker, die kamen und
gingen wie die Luft, z. B. Gespenster sind die Hauptsache, die beste Regierungs-
form ist der Despotismus, die katholische Kirche ist sehr tiefsinnig, die Rosen
singen die gescheiteste Philosophie u. s. w., gab es ein Stichwort, auf das
sie immer zurückkamen: das wirkliche Leben mit seinem ganzen Inhalt, mit
seinem Glauben. Hoffen und Lieben ist ekel, schaal und unersprießlich. Wo
sie das Ideal suchten, ob in Indien, oder im Mittelalter, oder in der spani¬
schen Jnquisitionszeit, oder wo sonst, war daneben gleichgiltig.

Die positiven Wirkungen der Schule konnten nicht beträchtlich sein, wohl


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sich im Gegensatz mit den tölpelhaften Wortführern der Menge, über deren
Recensionen sie sich sehr unnütz ärgerten; sie wußten sich im Gegensatz zu
Kotzebue u. s. w.; aber wenn man ihnen die griechische Maske abnimmt, so
findet man das ehrliche deutsche Gesicht, d. h. der wahre Lebensinhalt ihrer
Dichtungen ist der wahre Lebensinhalt ihres Zeitalters. Als Deklamatoren
und Nhetoriker stemmten sie sich ihm entgegen; als Dichter waren sie seine
Führer. Und der wahre Lebensinhalt jenes Zeitalters ist in der Hauptsache,
einige Mißverständnisse abgerechnet, auch noch der unsrige.

Die Romantiker dagegen waren in wirklichem Gegensatz gegen das Zeit¬
alter; sie hatten, um im Ton der Goethe-Schiller-Fichteschen Declamation zu
bleiben und den Effect noch zu steigern, so lauge an ihren eignen Gedanken
und Empfindungen hernmgenrbcitet, daß sie zuletzt wirklich anders dachten und
empfanden, nicht blos als ihr? Zeitgenossen, sondern als je zu irgend einer
Zeit ein Mensch, der bei gesunden Sinnen war, gedacht und empfunden
hat. In ihrer Blüthezeit haben sie im Publicum gar keinen Anklang gefun¬
den, doch stellten sich eine Reihe von Jüngern ein. die unfähig, etwas zu
schaffen, von ihnen die leichte Kunst lernten, sich den Schein der Genialität
zu geben. Leicht war die Kunst, denn man durfte nur das Gegentheil von
dem sagen, was die öffentliche Meinung empfand und dachte, so war man
ein vollkommener Künstler. Wer das übertrieben findet, lese einmal die Poe¬
sien von Zacharias Werner: und dieser schmutzige Hanswurst galt damals
nicht blos bei Hans und Kunz für einen großen Dichter, sondern Goethe
selbst war in schwachen Stunden geneigt, ihn dafür zu halten. Goethe, der
Dichter der Schönheit, der Liebe, der Freiheit, des Lichts, diesen zotenhaften
Kapuziner, der seinen Unflat in einen Heiligenschrcin zu legen sich erfrechte!

Die Masse der Jünger wurde am Ende so groß, daß sie ein nicht uner¬
hebliches Publicum bildete. Die nüchternsten Spießbürger, wie Müllner.
Kotzebue, Houwald dichteten zuletzt romantisch. Warum nicht? Effect ist
Effect! und die neue Geisterlarve war noch viel bequemer zu tragen als die alte
des „polternden Alten" u. s. w.; die Form des Schaffens war dieselbe geblie¬
ben: statt ganzer Gestalten Moscnkarbcit aus einzelnen Effecten.

Abgesehen von vielen andern Paradoxien der Romantiker, die kamen und
gingen wie die Luft, z. B. Gespenster sind die Hauptsache, die beste Regierungs-
form ist der Despotismus, die katholische Kirche ist sehr tiefsinnig, die Rosen
singen die gescheiteste Philosophie u. s. w., gab es ein Stichwort, auf das
sie immer zurückkamen: das wirkliche Leben mit seinem ganzen Inhalt, mit
seinem Glauben. Hoffen und Lieben ist ekel, schaal und unersprießlich. Wo
sie das Ideal suchten, ob in Indien, oder im Mittelalter, oder in der spani¬
schen Jnquisitionszeit, oder wo sonst, war daneben gleichgiltig.

Die positiven Wirkungen der Schule konnten nicht beträchtlich sein, wohl


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/495>, abgerufen am 15.01.2025.