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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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hausiaden vorkamen. Auch kamen jetzt wieder die Bürger zum Vorschein, wie
jedesmal, wenn momentan Ruhe eintrat. Auch unter ihnen waren schon
einige das Opfer der feindlichen Kugeln geworden. Alle machten ängstliche
Gesichter, namentlich die Frauen. Die letztern sammt ihren Kindern wurden
indeß wenig sichtbar; denn sie saßen meistens in den Kellern, und ich selbst
habe zufällig einen großen Keller zu Gesicht bekommen, wo 200 menschliche
Kreaturen volle acht Tage mit Brod und Wasser ihre Existenz gefristet hatten.
Dazu gesellte sich der Anblick der meist menschenleren Straßen, die Theuerung,
das dumpfe Brüllen der Geschütze, das Platzen und Sausen der Bomben,
das Rasseln der Ziegel und des Mauerwerks, um jedem ein gewisses Gefühl
moralischer Gedrücktheit einzuflößen, gegen welches die Soldaten allerdings
durch den ihnen gelieferten Wein mehr oder minder unempfindlich gemacht
wurden.

Mittags kam ein Parlamentärschiff mit weißer Flagge an den Hafen und
schiffte eine Deputation an den General Lcunoriciöre aus; sie bestand ans einem
Fregatten-Capitän und einem Leutenant. Sie begaben sich unter Begleitung
ins Hauptquartier, wo ihre Anwesenheit nur einige Minuten dauerte. In
was ihre Aufträge bestanden, weiß ich nicht, aber daran, daß sich von 2 Uhr
Nachmittags bis um eV2 Uhr Abends das Gefecht erneuerte, konnte ich sehen,
daß sie zu keinerlei Unterhandlungen geführt hatten.

Am 18. 19. und 20. wiederholten sich die gleichen Scenen ohne merklichen
Unterschied; im Hauptquartier war das regste Leben, Dispositionen wurden
unaufhörlich getroffen. Befehle ausgegeben.

Der General, den ich bald heftig werden, bald wieder heiter lachen hörte,
schien etwas launisch zu sein, was jedenfalls eine Folge des Podagras war.
Kr ließ heute eine Proclamation an sämmtliche Straßenecken anschlagen, wo¬
rin er der Bürgerschaft und den Soldaten bekannt macht, daß am 17. General
Goyon in Rom mit 25,000 Mann und 48 Geschützen angekommen sei und
daß ebenfalls das französische Geschwader aus den sicilianischen Gewässern
Befehl erhalten habe, ins adriatische Meer zu segeln. -- Auf jeden Fall hatte
er Hoffnung auf bewaffnete Intervention Frankreichs, und die später sich als
inig herausstellende vielfach besprochene Depesche de Merodes an den franzö¬
sischen Konsul in Ancona mußte ihn darin noch bestärken.

Am 21. Morgens Kampf mit den Schiffen wie gewöhnlich. Mittags
verlegte der General sein Hauptquartier aufs Castell hinauf; ich mußte natür¬
lich folgen. Von hier aus übersahen wir den ganzen Festungsrayon und
kannten deutlich wahrnehmen, daß der Cernirungskreis um die Stadt enger
geschlossen worden war.

Durch die Bäume hindurch gewahrten wir manchen piemontesischen Doppel-


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hausiaden vorkamen. Auch kamen jetzt wieder die Bürger zum Vorschein, wie
jedesmal, wenn momentan Ruhe eintrat. Auch unter ihnen waren schon
einige das Opfer der feindlichen Kugeln geworden. Alle machten ängstliche
Gesichter, namentlich die Frauen. Die letztern sammt ihren Kindern wurden
indeß wenig sichtbar; denn sie saßen meistens in den Kellern, und ich selbst
habe zufällig einen großen Keller zu Gesicht bekommen, wo 200 menschliche
Kreaturen volle acht Tage mit Brod und Wasser ihre Existenz gefristet hatten.
Dazu gesellte sich der Anblick der meist menschenleren Straßen, die Theuerung,
das dumpfe Brüllen der Geschütze, das Platzen und Sausen der Bomben,
das Rasseln der Ziegel und des Mauerwerks, um jedem ein gewisses Gefühl
moralischer Gedrücktheit einzuflößen, gegen welches die Soldaten allerdings
durch den ihnen gelieferten Wein mehr oder minder unempfindlich gemacht
wurden.

Mittags kam ein Parlamentärschiff mit weißer Flagge an den Hafen und
schiffte eine Deputation an den General Lcunoriciöre aus; sie bestand ans einem
Fregatten-Capitän und einem Leutenant. Sie begaben sich unter Begleitung
ins Hauptquartier, wo ihre Anwesenheit nur einige Minuten dauerte. In
was ihre Aufträge bestanden, weiß ich nicht, aber daran, daß sich von 2 Uhr
Nachmittags bis um eV2 Uhr Abends das Gefecht erneuerte, konnte ich sehen,
daß sie zu keinerlei Unterhandlungen geführt hatten.

Am 18. 19. und 20. wiederholten sich die gleichen Scenen ohne merklichen
Unterschied; im Hauptquartier war das regste Leben, Dispositionen wurden
unaufhörlich getroffen. Befehle ausgegeben.

Der General, den ich bald heftig werden, bald wieder heiter lachen hörte,
schien etwas launisch zu sein, was jedenfalls eine Folge des Podagras war.
Kr ließ heute eine Proclamation an sämmtliche Straßenecken anschlagen, wo¬
rin er der Bürgerschaft und den Soldaten bekannt macht, daß am 17. General
Goyon in Rom mit 25,000 Mann und 48 Geschützen angekommen sei und
daß ebenfalls das französische Geschwader aus den sicilianischen Gewässern
Befehl erhalten habe, ins adriatische Meer zu segeln. — Auf jeden Fall hatte
er Hoffnung auf bewaffnete Intervention Frankreichs, und die später sich als
inig herausstellende vielfach besprochene Depesche de Merodes an den franzö¬
sischen Konsul in Ancona mußte ihn darin noch bestärken.

Am 21. Morgens Kampf mit den Schiffen wie gewöhnlich. Mittags
verlegte der General sein Hauptquartier aufs Castell hinauf; ich mußte natür¬
lich folgen. Von hier aus übersahen wir den ganzen Festungsrayon und
kannten deutlich wahrnehmen, daß der Cernirungskreis um die Stadt enger
geschlossen worden war.

Durch die Bäume hindurch gewahrten wir manchen piemontesischen Doppel-


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[0423] hausiaden vorkamen. Auch kamen jetzt wieder die Bürger zum Vorschein, wie jedesmal, wenn momentan Ruhe eintrat. Auch unter ihnen waren schon einige das Opfer der feindlichen Kugeln geworden. Alle machten ängstliche Gesichter, namentlich die Frauen. Die letztern sammt ihren Kindern wurden indeß wenig sichtbar; denn sie saßen meistens in den Kellern, und ich selbst habe zufällig einen großen Keller zu Gesicht bekommen, wo 200 menschliche Kreaturen volle acht Tage mit Brod und Wasser ihre Existenz gefristet hatten. Dazu gesellte sich der Anblick der meist menschenleren Straßen, die Theuerung, das dumpfe Brüllen der Geschütze, das Platzen und Sausen der Bomben, das Rasseln der Ziegel und des Mauerwerks, um jedem ein gewisses Gefühl moralischer Gedrücktheit einzuflößen, gegen welches die Soldaten allerdings durch den ihnen gelieferten Wein mehr oder minder unempfindlich gemacht wurden. Mittags kam ein Parlamentärschiff mit weißer Flagge an den Hafen und schiffte eine Deputation an den General Lcunoriciöre aus; sie bestand ans einem Fregatten-Capitän und einem Leutenant. Sie begaben sich unter Begleitung ins Hauptquartier, wo ihre Anwesenheit nur einige Minuten dauerte. In was ihre Aufträge bestanden, weiß ich nicht, aber daran, daß sich von 2 Uhr Nachmittags bis um eV2 Uhr Abends das Gefecht erneuerte, konnte ich sehen, daß sie zu keinerlei Unterhandlungen geführt hatten. Am 18. 19. und 20. wiederholten sich die gleichen Scenen ohne merklichen Unterschied; im Hauptquartier war das regste Leben, Dispositionen wurden unaufhörlich getroffen. Befehle ausgegeben. Der General, den ich bald heftig werden, bald wieder heiter lachen hörte, schien etwas launisch zu sein, was jedenfalls eine Folge des Podagras war. Kr ließ heute eine Proclamation an sämmtliche Straßenecken anschlagen, wo¬ rin er der Bürgerschaft und den Soldaten bekannt macht, daß am 17. General Goyon in Rom mit 25,000 Mann und 48 Geschützen angekommen sei und daß ebenfalls das französische Geschwader aus den sicilianischen Gewässern Befehl erhalten habe, ins adriatische Meer zu segeln. — Auf jeden Fall hatte er Hoffnung auf bewaffnete Intervention Frankreichs, und die später sich als inig herausstellende vielfach besprochene Depesche de Merodes an den franzö¬ sischen Konsul in Ancona mußte ihn darin noch bestärken. Am 21. Morgens Kampf mit den Schiffen wie gewöhnlich. Mittags verlegte der General sein Hauptquartier aufs Castell hinauf; ich mußte natür¬ lich folgen. Von hier aus übersahen wir den ganzen Festungsrayon und kannten deutlich wahrnehmen, daß der Cernirungskreis um die Stadt enger geschlossen worden war. Durch die Bäume hindurch gewahrten wir manchen piemontesischen Doppel- 52*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/423>, abgerufen am 15.01.2025.