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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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"ach der Grenze zurückgezogen, oder er sei auf Rom marschirt, hier in der
Nähe befinde sich auf 5v Miglien kein Picmontese mehr -- Selbst La-
moriciöre wird trotz der besten Bezahlung Mühe gehabt haben, sich einen
treuen Spion zu verschaffen; dagegen konnte jeder Bauer der Marke" getrost
als Spion der Piemontesen angesehn werden. Mehr, aber freilich nichts Tröst¬
liches sagte uns die Haltung der Einwohner Anconns.

Trotz des Belagerungszustandes sah man Gruppen von 10--15> Personen
zusammenstehen, die Köpfe in einander gesteckt und leise flüsternd. Ging ein
Soldat zufällig vorbei, so hörte man zu sprechen ans, bis er außer Gehörs¬
weite war. Die vom Truppenkommando fast täglich neu an den Straßen¬
ecken angeschlagenen Proklamationen und Verordnungen wurden mit ironischer
Miene und Achselzucken gelesen, selbst wenn sie in ihrem eignen Besten be¬
hufs ihrer Sicherheit abgefaßt worden waren. Unsere neu getroffenen Ver¬
theidigungsanstalten, die Verrammlnng und Verpallisadirung sämmtlicher
Stadtthore, die Erbauung neuer Batterien zur Vertheidigung derselben u. a. in.
wurden zwar immer noch mit scheuen Blicken gemessen: die Weiber der Vor¬
stadtsbevölkerung, die im Fall eines Angriffs in ihren Häusern einem fast
sicheren Verderben ausgesetzt waren, machten ängstliche Gesichter und riefen
die Madonna zum Schutz an. Aber nicht in dein zu erwartenden Feinde,
sondern in uns sahen sie die Ursache ihrer Angst.

Schon jetzt wurden die Lebesmittel im Preise theuer, da d>e Landleute
kein Vieh und kein Getreide mehr in die Stadt brachten. Ein El lastete schon
zwei Bajocchi. und hiu und wieder erhielten die Soldaten schon jetzt als Brod
Schiffszwieback. Viele Läden waren bereits geschlossen, obwol wir noch kei¬
nen Feind sahen und nur an den Menschengruppen, welche neugierig mit
stoßen Auge oder Fernröhren die Umgegend und die See recognoscirten, zu
merken war, daß er täglich erwartet wurde, Am 12. September wurden
endlich'auf der Höhe von Sinigaglia mehrere Dampfer sichtbar; da sie ohne
Flaggen kreuzten, so wurde auch vom Leuehthnrm aus ihre Nationalität nicht
signalisut. Am 13. kamen sie näher und stellten sich in Schlachtordnung zur
Blokade des Hafens, dessen Eingang gegenüber, ans drei Miglien (V° deutsche
Meilen) Distanz auf. Endlich hißten sie die italienische Tricolore auf, und
damit wußten wir. woran wir waren. Ich erwartete gegenwärtig mehr als
>e einen Aufstand der Bürgerschaft; man war unterrichtet, daß dieselbe Waf¬
fen halte. Man hatte trotz des Belagerungszustandes von den Schmieden
aus Feilen Stilette anfertigen sehen. Aber die Sorglosigkeit seitens des Di-
visions-Kommandos war so groß, daß es weder das Militär zusammen hielt,
noch sonst energische Dispositionen für einen Angriff traf. Die Soldaten,
auf welche der moralische Einbruch ungünstig wirkte, liefen größtenteils in
der Stadt ihren Privat-Geschäften und Vergnügungen "ach, fröhnten dem


»ach der Grenze zurückgezogen, oder er sei auf Rom marschirt, hier in der
Nähe befinde sich auf 5v Miglien kein Picmontese mehr — Selbst La-
moriciöre wird trotz der besten Bezahlung Mühe gehabt haben, sich einen
treuen Spion zu verschaffen; dagegen konnte jeder Bauer der Marke» getrost
als Spion der Piemontesen angesehn werden. Mehr, aber freilich nichts Tröst¬
liches sagte uns die Haltung der Einwohner Anconns.

Trotz des Belagerungszustandes sah man Gruppen von 10—15> Personen
zusammenstehen, die Köpfe in einander gesteckt und leise flüsternd. Ging ein
Soldat zufällig vorbei, so hörte man zu sprechen ans, bis er außer Gehörs¬
weite war. Die vom Truppenkommando fast täglich neu an den Straßen¬
ecken angeschlagenen Proklamationen und Verordnungen wurden mit ironischer
Miene und Achselzucken gelesen, selbst wenn sie in ihrem eignen Besten be¬
hufs ihrer Sicherheit abgefaßt worden waren. Unsere neu getroffenen Ver¬
theidigungsanstalten, die Verrammlnng und Verpallisadirung sämmtlicher
Stadtthore, die Erbauung neuer Batterien zur Vertheidigung derselben u. a. in.
wurden zwar immer noch mit scheuen Blicken gemessen: die Weiber der Vor¬
stadtsbevölkerung, die im Fall eines Angriffs in ihren Häusern einem fast
sicheren Verderben ausgesetzt waren, machten ängstliche Gesichter und riefen
die Madonna zum Schutz an. Aber nicht in dein zu erwartenden Feinde,
sondern in uns sahen sie die Ursache ihrer Angst.

Schon jetzt wurden die Lebesmittel im Preise theuer, da d>e Landleute
kein Vieh und kein Getreide mehr in die Stadt brachten. Ein El lastete schon
zwei Bajocchi. und hiu und wieder erhielten die Soldaten schon jetzt als Brod
Schiffszwieback. Viele Läden waren bereits geschlossen, obwol wir noch kei¬
nen Feind sahen und nur an den Menschengruppen, welche neugierig mit
stoßen Auge oder Fernröhren die Umgegend und die See recognoscirten, zu
merken war, daß er täglich erwartet wurde, Am 12. September wurden
endlich'auf der Höhe von Sinigaglia mehrere Dampfer sichtbar; da sie ohne
Flaggen kreuzten, so wurde auch vom Leuehthnrm aus ihre Nationalität nicht
signalisut. Am 13. kamen sie näher und stellten sich in Schlachtordnung zur
Blokade des Hafens, dessen Eingang gegenüber, ans drei Miglien (V° deutsche
Meilen) Distanz auf. Endlich hißten sie die italienische Tricolore auf, und
damit wußten wir. woran wir waren. Ich erwartete gegenwärtig mehr als
>e einen Aufstand der Bürgerschaft; man war unterrichtet, daß dieselbe Waf¬
fen halte. Man hatte trotz des Belagerungszustandes von den Schmieden
aus Feilen Stilette anfertigen sehen. Aber die Sorglosigkeit seitens des Di-
visions-Kommandos war so groß, daß es weder das Militär zusammen hielt,
noch sonst energische Dispositionen für einen Angriff traf. Die Soldaten,
auf welche der moralische Einbruch ungünstig wirkte, liefen größtenteils in
der Stadt ihren Privat-Geschäften und Vergnügungen »ach, fröhnten dem


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[0417] »ach der Grenze zurückgezogen, oder er sei auf Rom marschirt, hier in der Nähe befinde sich auf 5v Miglien kein Picmontese mehr — Selbst La- moriciöre wird trotz der besten Bezahlung Mühe gehabt haben, sich einen treuen Spion zu verschaffen; dagegen konnte jeder Bauer der Marke» getrost als Spion der Piemontesen angesehn werden. Mehr, aber freilich nichts Tröst¬ liches sagte uns die Haltung der Einwohner Anconns. Trotz des Belagerungszustandes sah man Gruppen von 10—15> Personen zusammenstehen, die Köpfe in einander gesteckt und leise flüsternd. Ging ein Soldat zufällig vorbei, so hörte man zu sprechen ans, bis er außer Gehörs¬ weite war. Die vom Truppenkommando fast täglich neu an den Straßen¬ ecken angeschlagenen Proklamationen und Verordnungen wurden mit ironischer Miene und Achselzucken gelesen, selbst wenn sie in ihrem eignen Besten be¬ hufs ihrer Sicherheit abgefaßt worden waren. Unsere neu getroffenen Ver¬ theidigungsanstalten, die Verrammlnng und Verpallisadirung sämmtlicher Stadtthore, die Erbauung neuer Batterien zur Vertheidigung derselben u. a. in. wurden zwar immer noch mit scheuen Blicken gemessen: die Weiber der Vor¬ stadtsbevölkerung, die im Fall eines Angriffs in ihren Häusern einem fast sicheren Verderben ausgesetzt waren, machten ängstliche Gesichter und riefen die Madonna zum Schutz an. Aber nicht in dein zu erwartenden Feinde, sondern in uns sahen sie die Ursache ihrer Angst. Schon jetzt wurden die Lebesmittel im Preise theuer, da d>e Landleute kein Vieh und kein Getreide mehr in die Stadt brachten. Ein El lastete schon zwei Bajocchi. und hiu und wieder erhielten die Soldaten schon jetzt als Brod Schiffszwieback. Viele Läden waren bereits geschlossen, obwol wir noch kei¬ nen Feind sahen und nur an den Menschengruppen, welche neugierig mit stoßen Auge oder Fernröhren die Umgegend und die See recognoscirten, zu merken war, daß er täglich erwartet wurde, Am 12. September wurden endlich'auf der Höhe von Sinigaglia mehrere Dampfer sichtbar; da sie ohne Flaggen kreuzten, so wurde auch vom Leuehthnrm aus ihre Nationalität nicht signalisut. Am 13. kamen sie näher und stellten sich in Schlachtordnung zur Blokade des Hafens, dessen Eingang gegenüber, ans drei Miglien (V° deutsche Meilen) Distanz auf. Endlich hißten sie die italienische Tricolore auf, und damit wußten wir. woran wir waren. Ich erwartete gegenwärtig mehr als >e einen Aufstand der Bürgerschaft; man war unterrichtet, daß dieselbe Waf¬ fen halte. Man hatte trotz des Belagerungszustandes von den Schmieden aus Feilen Stilette anfertigen sehen. Aber die Sorglosigkeit seitens des Di- visions-Kommandos war so groß, daß es weder das Militär zusammen hielt, noch sonst energische Dispositionen für einen Angriff traf. Die Soldaten, auf welche der moralische Einbruch ungünstig wirkte, liefen größtenteils in der Stadt ihren Privat-Geschäften und Vergnügungen »ach, fröhnten dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/417>, abgerufen am 15.01.2025.