Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

ganz unerhörte Umgestaltung der Bundesverfassung; eine Umgestaltung, die
gradezu den Sinn der bisherigen Verfassung in das Gegentheil umwandelt.
Ader zwischen uns und ihnen ist folgender Unterschied.

Wir wünschen die Bürger eines Staats zu sein, der Kraft genug hat,
auf sich selbst zu stehn, der keines fremden Guts begehren, keinen fremde"
Angriff fürchten darf; eines Staats, der auf gemeinsamer nationaler Grund¬
lage beruhe, eine einheitliche Entwicklung bis zur vollen Souveränetät ver¬
stattet. Dies ist unser Zweck, danach messen wir die Mittel ab.

Sie dagegen wünschen, daß der Ländercomplex des deutschen Bundes,
welcher nach Maßgabe des wiener Kongresses auf dem Stielerschen Atlas mit
rother Farbe bezeichnet ist, ein Reich bilden soll. Das ist ihr Zweck, danach
messen sie ihre Mittel.

Wenn man uns fragt, warum wir das wünschen? so berufen wir uns auf
das Gefühl jedes Einzelnen, gleichviel weicher Partei er angehöre, ob dieser
Wunsch nicht das höchste Gut ausdrückt, dessen das bürgerliche Leben fähig
ist? -- Ob dieser Wunsch ausführbar ist. das ist eine andre Frage, die einer
besondern Untersuchung bedarf. Wir sind ganz damit einverstanden, daß man
sich in der Grenze des "Erreichbaren" bewegt; aber diese Frage nach dem Er¬
reichbaren kommt doch erst in zweiter Linie, sie bezieht sich nur auf die Mittel,
zuerst muß man sich über den Zweck klar werden. Unerreichbar kann man --
vor der Erfahrung -- nur dasjenige nennen, was einen innern Widerspruch
enthält, und den wird man unserem Wunsch nicht nachweisen können. Auch
wenn das, was wir wünschen, nicht heute, nicht morgen zu erreichen ist. so
bleibt es doch der Leitstern, der uns in jedem einzelnen Fall mit der.Bestimmt¬
heit des kategorischen Imperativs lehrt, was wir zu vermeiden und was wir
zu befördern haben.

Aber was können denn unsre Gegner für ihren Wunsch anführen? Der
rothe Strich sieht auf dem Stielerschen Atlas artig genug aus, aber das ist
doch kein ausreichendes Motiv. Wir wollen davon nicht reden, daß die Gren¬
zen dieses zu gründenden Reichs ziemlich unsicher, die nationale Genieinsamkeit
nicht zweifellos ist: die Hauptsache ist, daß die so ganz leere und abstracte Be¬
dingung jedes organische Ineinanderwachsen unmöglich macht, daß sie einen
innern Widerspruch enthält. Wir wollen nicht so unhöflich sein, uusern Geg¬
nern vorzuwerfen, daß ihr Entwurf nicht ernst gemeint, sondern mir dazu be¬
stimmt sei. uns zu stören, wie die östreichisch-demokratischen Entwürfe in Frank¬
furt 1849; aber in der Sache kommt es darauf hinaus. Denn die Angabe,
ihr Ziel sei leichter zu erreichen, ist völlig aus der Luft gegriffen. Unser
Bundesstaat verlangt viel Kühnheit und Aufopferung von allen Seiten; aber
ihr Bundesstaat ist ein xurum xutum non vns, zu deutsch, ein baarer Unsinn.

Um dies zu beweisen, beginnen wir mit dem ersten Satz, welcher nach


ganz unerhörte Umgestaltung der Bundesverfassung; eine Umgestaltung, die
gradezu den Sinn der bisherigen Verfassung in das Gegentheil umwandelt.
Ader zwischen uns und ihnen ist folgender Unterschied.

Wir wünschen die Bürger eines Staats zu sein, der Kraft genug hat,
auf sich selbst zu stehn, der keines fremden Guts begehren, keinen fremde»
Angriff fürchten darf; eines Staats, der auf gemeinsamer nationaler Grund¬
lage beruhe, eine einheitliche Entwicklung bis zur vollen Souveränetät ver¬
stattet. Dies ist unser Zweck, danach messen wir die Mittel ab.

Sie dagegen wünschen, daß der Ländercomplex des deutschen Bundes,
welcher nach Maßgabe des wiener Kongresses auf dem Stielerschen Atlas mit
rother Farbe bezeichnet ist, ein Reich bilden soll. Das ist ihr Zweck, danach
messen sie ihre Mittel.

Wenn man uns fragt, warum wir das wünschen? so berufen wir uns auf
das Gefühl jedes Einzelnen, gleichviel weicher Partei er angehöre, ob dieser
Wunsch nicht das höchste Gut ausdrückt, dessen das bürgerliche Leben fähig
ist? — Ob dieser Wunsch ausführbar ist. das ist eine andre Frage, die einer
besondern Untersuchung bedarf. Wir sind ganz damit einverstanden, daß man
sich in der Grenze des „Erreichbaren" bewegt; aber diese Frage nach dem Er¬
reichbaren kommt doch erst in zweiter Linie, sie bezieht sich nur auf die Mittel,
zuerst muß man sich über den Zweck klar werden. Unerreichbar kann man —
vor der Erfahrung — nur dasjenige nennen, was einen innern Widerspruch
enthält, und den wird man unserem Wunsch nicht nachweisen können. Auch
wenn das, was wir wünschen, nicht heute, nicht morgen zu erreichen ist. so
bleibt es doch der Leitstern, der uns in jedem einzelnen Fall mit der.Bestimmt¬
heit des kategorischen Imperativs lehrt, was wir zu vermeiden und was wir
zu befördern haben.

Aber was können denn unsre Gegner für ihren Wunsch anführen? Der
rothe Strich sieht auf dem Stielerschen Atlas artig genug aus, aber das ist
doch kein ausreichendes Motiv. Wir wollen davon nicht reden, daß die Gren¬
zen dieses zu gründenden Reichs ziemlich unsicher, die nationale Genieinsamkeit
nicht zweifellos ist: die Hauptsache ist, daß die so ganz leere und abstracte Be¬
dingung jedes organische Ineinanderwachsen unmöglich macht, daß sie einen
innern Widerspruch enthält. Wir wollen nicht so unhöflich sein, uusern Geg¬
nern vorzuwerfen, daß ihr Entwurf nicht ernst gemeint, sondern mir dazu be¬
stimmt sei. uns zu stören, wie die östreichisch-demokratischen Entwürfe in Frank¬
furt 1849; aber in der Sache kommt es darauf hinaus. Denn die Angabe,
ihr Ziel sei leichter zu erreichen, ist völlig aus der Luft gegriffen. Unser
Bundesstaat verlangt viel Kühnheit und Aufopferung von allen Seiten; aber
ihr Bundesstaat ist ein xurum xutum non vns, zu deutsch, ein baarer Unsinn.

Um dies zu beweisen, beginnen wir mit dem ersten Satz, welcher nach


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0363" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/110711"/>
          <p xml:id="ID_1060" prev="#ID_1059"> ganz unerhörte Umgestaltung der Bundesverfassung; eine Umgestaltung, die<lb/>
gradezu den Sinn der bisherigen Verfassung in das Gegentheil umwandelt.<lb/>
Ader zwischen uns und ihnen ist folgender Unterschied.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1061"> Wir wünschen die Bürger eines Staats zu sein, der Kraft genug hat,<lb/>
auf sich selbst zu stehn, der keines fremden Guts begehren, keinen fremde»<lb/>
Angriff fürchten darf; eines Staats, der auf gemeinsamer nationaler Grund¬<lb/>
lage beruhe, eine einheitliche Entwicklung bis zur vollen Souveränetät ver¬<lb/>
stattet.  Dies ist unser Zweck, danach messen wir die Mittel ab.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1062"> Sie dagegen wünschen, daß der Ländercomplex des deutschen Bundes,<lb/>
welcher nach Maßgabe des wiener Kongresses auf dem Stielerschen Atlas mit<lb/>
rother Farbe bezeichnet ist, ein Reich bilden soll. Das ist ihr Zweck, danach<lb/>
messen sie ihre Mittel.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1063"> Wenn man uns fragt, warum wir das wünschen? so berufen wir uns auf<lb/>
das Gefühl jedes Einzelnen, gleichviel weicher Partei er angehöre, ob dieser<lb/>
Wunsch nicht das höchste Gut ausdrückt, dessen das bürgerliche Leben fähig<lb/>
ist? &#x2014; Ob dieser Wunsch ausführbar ist. das ist eine andre Frage, die einer<lb/>
besondern Untersuchung bedarf. Wir sind ganz damit einverstanden, daß man<lb/>
sich in der Grenze des &#x201E;Erreichbaren" bewegt; aber diese Frage nach dem Er¬<lb/>
reichbaren kommt doch erst in zweiter Linie, sie bezieht sich nur auf die Mittel,<lb/>
zuerst muß man sich über den Zweck klar werden. Unerreichbar kann man &#x2014;<lb/>
vor der Erfahrung &#x2014; nur dasjenige nennen, was einen innern Widerspruch<lb/>
enthält, und den wird man unserem Wunsch nicht nachweisen können. Auch<lb/>
wenn das, was wir wünschen, nicht heute, nicht morgen zu erreichen ist. so<lb/>
bleibt es doch der Leitstern, der uns in jedem einzelnen Fall mit der.Bestimmt¬<lb/>
heit des kategorischen Imperativs lehrt, was wir zu vermeiden und was wir<lb/>
zu befördern haben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1064"> Aber was können denn unsre Gegner für ihren Wunsch anführen? Der<lb/>
rothe Strich sieht auf dem Stielerschen Atlas artig genug aus, aber das ist<lb/>
doch kein ausreichendes Motiv. Wir wollen davon nicht reden, daß die Gren¬<lb/>
zen dieses zu gründenden Reichs ziemlich unsicher, die nationale Genieinsamkeit<lb/>
nicht zweifellos ist: die Hauptsache ist, daß die so ganz leere und abstracte Be¬<lb/>
dingung jedes organische Ineinanderwachsen unmöglich macht, daß sie einen<lb/>
innern Widerspruch enthält. Wir wollen nicht so unhöflich sein, uusern Geg¬<lb/>
nern vorzuwerfen, daß ihr Entwurf nicht ernst gemeint, sondern mir dazu be¬<lb/>
stimmt sei. uns zu stören, wie die östreichisch-demokratischen Entwürfe in Frank¬<lb/>
furt 1849; aber in der Sache kommt es darauf hinaus. Denn die Angabe,<lb/>
ihr Ziel sei leichter zu erreichen, ist völlig aus der Luft gegriffen. Unser<lb/>
Bundesstaat verlangt viel Kühnheit und Aufopferung von allen Seiten; aber<lb/>
ihr Bundesstaat ist ein xurum xutum non vns, zu deutsch, ein baarer Unsinn.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1065" next="#ID_1066"> Um dies zu beweisen, beginnen wir mit dem ersten Satz, welcher nach</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0363] ganz unerhörte Umgestaltung der Bundesverfassung; eine Umgestaltung, die gradezu den Sinn der bisherigen Verfassung in das Gegentheil umwandelt. Ader zwischen uns und ihnen ist folgender Unterschied. Wir wünschen die Bürger eines Staats zu sein, der Kraft genug hat, auf sich selbst zu stehn, der keines fremden Guts begehren, keinen fremde» Angriff fürchten darf; eines Staats, der auf gemeinsamer nationaler Grund¬ lage beruhe, eine einheitliche Entwicklung bis zur vollen Souveränetät ver¬ stattet. Dies ist unser Zweck, danach messen wir die Mittel ab. Sie dagegen wünschen, daß der Ländercomplex des deutschen Bundes, welcher nach Maßgabe des wiener Kongresses auf dem Stielerschen Atlas mit rother Farbe bezeichnet ist, ein Reich bilden soll. Das ist ihr Zweck, danach messen sie ihre Mittel. Wenn man uns fragt, warum wir das wünschen? so berufen wir uns auf das Gefühl jedes Einzelnen, gleichviel weicher Partei er angehöre, ob dieser Wunsch nicht das höchste Gut ausdrückt, dessen das bürgerliche Leben fähig ist? — Ob dieser Wunsch ausführbar ist. das ist eine andre Frage, die einer besondern Untersuchung bedarf. Wir sind ganz damit einverstanden, daß man sich in der Grenze des „Erreichbaren" bewegt; aber diese Frage nach dem Er¬ reichbaren kommt doch erst in zweiter Linie, sie bezieht sich nur auf die Mittel, zuerst muß man sich über den Zweck klar werden. Unerreichbar kann man — vor der Erfahrung — nur dasjenige nennen, was einen innern Widerspruch enthält, und den wird man unserem Wunsch nicht nachweisen können. Auch wenn das, was wir wünschen, nicht heute, nicht morgen zu erreichen ist. so bleibt es doch der Leitstern, der uns in jedem einzelnen Fall mit der.Bestimmt¬ heit des kategorischen Imperativs lehrt, was wir zu vermeiden und was wir zu befördern haben. Aber was können denn unsre Gegner für ihren Wunsch anführen? Der rothe Strich sieht auf dem Stielerschen Atlas artig genug aus, aber das ist doch kein ausreichendes Motiv. Wir wollen davon nicht reden, daß die Gren¬ zen dieses zu gründenden Reichs ziemlich unsicher, die nationale Genieinsamkeit nicht zweifellos ist: die Hauptsache ist, daß die so ganz leere und abstracte Be¬ dingung jedes organische Ineinanderwachsen unmöglich macht, daß sie einen innern Widerspruch enthält. Wir wollen nicht so unhöflich sein, uusern Geg¬ nern vorzuwerfen, daß ihr Entwurf nicht ernst gemeint, sondern mir dazu be¬ stimmt sei. uns zu stören, wie die östreichisch-demokratischen Entwürfe in Frank¬ furt 1849; aber in der Sache kommt es darauf hinaus. Denn die Angabe, ihr Ziel sei leichter zu erreichen, ist völlig aus der Luft gegriffen. Unser Bundesstaat verlangt viel Kühnheit und Aufopferung von allen Seiten; aber ihr Bundesstaat ist ein xurum xutum non vns, zu deutsch, ein baarer Unsinn. Um dies zu beweisen, beginnen wir mit dem ersten Satz, welcher nach

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/363
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/363>, abgerufen am 15.01.2025.