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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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so ausdauernd und überschwänglich gesprochen als Jakob; aber das ganze Volk
lachte ihn aus. Nicht der ist mächtig, der von seiner Macht redet. Selbst
Ludwig XIV., der nicht blos davon redete, sondern in der That sehr mächtig
war, weil er den Geist des Volkes beherrschte, konnte die Souveränetät sei¬
ner Laune immer nur gegen die Einzelnen ausüben; in der Staatsmaschine
im Großen und Ganzen vermochte er wenig zu ändern, wie uns die neuen
Entdeckungen schlagend gezeigt haben.

Aus den Theorien der Absolutesten des siebzehnten und achtzehnten Jahr¬
hunderts hat man dann die Theorie der Volkssouveränetät entwickelt, die
ihrem rohsten Ausdruck nach nichts anderes sagt, als das; jeder augenblickliche
Einfall der Menge Gesetz sein soll. Diese Staatsform ist schwerer herzustellen
als der monarchische Despotismus, weil sie eine einheitliche Organisation der
Menge d. h. des müssigen Pöbels voraussetzt. Daß sie aber möglich ist, zeigt
die Erfahrung Frankreichs von 1793--94 oder auch bis 1799. Aus dieser
Staatsform entwickelt sich stets früher oder später der wirkliche Despotismus.

Wol aber hat der Begriff der Volkssouveränetät seine volle Berechtigung,
wenn er nur in kritischem Sinn gebraucht wird, wenn er nur eine Widerlegung
jenes absolutistischen !"1'6tat e'e"t moi!" sein soll. Die wahre Souveräne¬
tät des Staats wird hergestellt, wenn er durch seine geographische Lage wie
durch seine nationale Basis sich als lebensfähig und widerstandsfähig erweist;
wenn er auf eigenen Füßen stehen kann und keiner fremden Beihilfe bedarf;
wenn die Verfassung so viel Festigkeit enthält, um den Launen des Volks
und den Launen des Fürsten jeden Einfluß abzuschneiden, und soviel Elasticität,
um die Veränderungen der thatsächlichen Lage zum Gesetz zu erheben; wenn
endlich der Fürst, getragen von dem gemeinsamen Gefühl seiner Nation,
den wahren Willen derselben, der auch der seinige ist, mit starker Hand ausführt.
Nicht derjenige Fürst ist souverän, der das will was seine Nation nicht will,
sondern derjenige, der das will was seine Nation will.

Das Streben nach dieser Staatsbildung ist das Resultat einer großen
Culturepoche, die als revolutionär erscheint, weil sie nothwendigerweise die Trüm¬
mer des Alten wegschaffen muß. Unsere Zeit bemüht sich, wahrhaft souveräne
Staaten herzustellen, Staaten, die nicht durch die Gnade andrer, sondern durch
sich selbst leben. Nicht überall wird dies Streben von Erfolg begleitet sein,
wenigstens nicht von augenblicklichem; aber wie oft auch gewaltsam unterdrückt,
immer wird es von Neuem hervortreten und endlich die Herrschaft gewinnen.
In diesem Sinn haben wir die italienische Bewegung freudig begrüßt, welche
Makel auch ihr ankleben mögen; von diesem Gesichtspunkt aus betrachten wir
unsre eignen Zustände.

Auch unsre Gegner bekennen einen ähnlichen Trieb, nur legen sie ihn
anders aus. Auch Konstantin Franz und die leipziger Zeitung verlangen eine


so ausdauernd und überschwänglich gesprochen als Jakob; aber das ganze Volk
lachte ihn aus. Nicht der ist mächtig, der von seiner Macht redet. Selbst
Ludwig XIV., der nicht blos davon redete, sondern in der That sehr mächtig
war, weil er den Geist des Volkes beherrschte, konnte die Souveränetät sei¬
ner Laune immer nur gegen die Einzelnen ausüben; in der Staatsmaschine
im Großen und Ganzen vermochte er wenig zu ändern, wie uns die neuen
Entdeckungen schlagend gezeigt haben.

Aus den Theorien der Absolutesten des siebzehnten und achtzehnten Jahr¬
hunderts hat man dann die Theorie der Volkssouveränetät entwickelt, die
ihrem rohsten Ausdruck nach nichts anderes sagt, als das; jeder augenblickliche
Einfall der Menge Gesetz sein soll. Diese Staatsform ist schwerer herzustellen
als der monarchische Despotismus, weil sie eine einheitliche Organisation der
Menge d. h. des müssigen Pöbels voraussetzt. Daß sie aber möglich ist, zeigt
die Erfahrung Frankreichs von 1793—94 oder auch bis 1799. Aus dieser
Staatsform entwickelt sich stets früher oder später der wirkliche Despotismus.

Wol aber hat der Begriff der Volkssouveränetät seine volle Berechtigung,
wenn er nur in kritischem Sinn gebraucht wird, wenn er nur eine Widerlegung
jenes absolutistischen !„1'6tat e'e«t moi!" sein soll. Die wahre Souveräne¬
tät des Staats wird hergestellt, wenn er durch seine geographische Lage wie
durch seine nationale Basis sich als lebensfähig und widerstandsfähig erweist;
wenn er auf eigenen Füßen stehen kann und keiner fremden Beihilfe bedarf;
wenn die Verfassung so viel Festigkeit enthält, um den Launen des Volks
und den Launen des Fürsten jeden Einfluß abzuschneiden, und soviel Elasticität,
um die Veränderungen der thatsächlichen Lage zum Gesetz zu erheben; wenn
endlich der Fürst, getragen von dem gemeinsamen Gefühl seiner Nation,
den wahren Willen derselben, der auch der seinige ist, mit starker Hand ausführt.
Nicht derjenige Fürst ist souverän, der das will was seine Nation nicht will,
sondern derjenige, der das will was seine Nation will.

Das Streben nach dieser Staatsbildung ist das Resultat einer großen
Culturepoche, die als revolutionär erscheint, weil sie nothwendigerweise die Trüm¬
mer des Alten wegschaffen muß. Unsere Zeit bemüht sich, wahrhaft souveräne
Staaten herzustellen, Staaten, die nicht durch die Gnade andrer, sondern durch
sich selbst leben. Nicht überall wird dies Streben von Erfolg begleitet sein,
wenigstens nicht von augenblicklichem; aber wie oft auch gewaltsam unterdrückt,
immer wird es von Neuem hervortreten und endlich die Herrschaft gewinnen.
In diesem Sinn haben wir die italienische Bewegung freudig begrüßt, welche
Makel auch ihr ankleben mögen; von diesem Gesichtspunkt aus betrachten wir
unsre eignen Zustände.

Auch unsre Gegner bekennen einen ähnlichen Trieb, nur legen sie ihn
anders aus. Auch Konstantin Franz und die leipziger Zeitung verlangen eine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/362>, abgerufen am 15.01.2025.