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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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daher nicht eine müßige Fiction, daß die Verordnung des Fürsten nur durch
Mituuterzeichnuug eines Ministers gesetzliche Geltung erhält, der damit die
volle Verantwortlichkeit von dem Fürsten ab und auf sich nimmt. Es ist auch
dann nicht eine müßige Fiction. wenn kein Gesetz über Ministervernntwort-
lichkeit existirt, denn es handelt sich zunächst nur um die moralische Ver¬
antwortlichkeit, um die Verantwortlichkeit innerhalb der Discussion. Bequemer
freilich ist es für einen Minister, sich dieser Discussion dadurch zu entziehen,
daß er sich hinter die Souveränetät des Fürsten versteckt: aber wer das thut,
ist ein Feind der Monarchie. Wenn einem Minister der Privatwille des Für¬
sten über Alles geht, so ist das seine Sache, die er mit seinem eigenen Ge¬
wissen auszumachen hat; aber alsdann muß er auch den Muth besitzen, die
Sache auf seinen Namen zu nehmen und so den Fürsten zu decken.

Es ist viel von der Treue und Hingebung der Völker für ihre Fürsten
die Rede gewesen. Wenn man unsern Speichelleckern glauben wollte, so
wäre jede Illumination und jeder Fackelzug die Folge der persönlichen
Tugenden des jetzt regierenden Fürsten. In der That aber beruht dies Ge¬
fühl, die sicherste Grundlage des Staats, nicht auf dem Schauen, sondern ans
dem Glauben. Es gilt nicht dem augenblicklichen Fürsten, sondern dem an¬
gestammten Träger der Staatssouverainetät, und es wird um so unerschütter¬
licher fortbestehen, je weniger der Einzelne Gelegenheit hat, mit den persön¬
lichen Willensmeinungen des Fürsten in Collision zu kommen. -- Ausnahmen
geben wir zu; es gibt Zeiten, wo der Fürst kraft seiner geistigen Uebermacht
und weil er das will, was die Natur der Dinge verlangt, auch persönlich
die volle Souvercnnetät besitzt, aber die Periode solcher Fürsten, welchen die
Geschichte den Beinamen "der Große" gibt, sind Ausnahmen wie die Revo¬
lutionen, und es handelt sich hier um die Regel.

Der wahre Freund der Monarchie ist Feind des Despotismus d. h.
derjenigen Staatsform, in welcher jeder augenblickliche Einfall des Fürsten
Gesetzeskraft erhält. Solche Staatsformen hat es in der Geschichte gegeben.
Nerv und Caligula konnten staatsrechtlich jedes Individuum ihres weiten
Reichs schinden, pfählen, viertheilen lassen, wie es ihnen gut dünkte; sie konn¬
ten ihren Unterthanen das Vermögen rauben, kurz sie konnten Ucbclcs thun
so viel sie wollten, da ihnen keine Nation, keine öffentliche Meinung gegen¬
überstand, sondern nur zahllose Individuen; der Widerstand, den sie fanden,
war auch nur individuell d. h. der Meuchelmord. Gutes zu thun, war
schwerer, denn ihre Macht beruhte aus deu Prätoricmern und auf dem römi¬
schen Pöbel, und diese hielten nur so lange zu ihnen als sie Uebeles thaten.
Nach dieser Art von Souvercnnetät werden sich unsere Fürsten schwerlich seh¬
nen. Aehnlich hat man die russische Monarchie einen durch den Mord ge¬
milderten Despotismus genannt. -- Nie hat ein König von seiner Allmacht


daher nicht eine müßige Fiction, daß die Verordnung des Fürsten nur durch
Mituuterzeichnuug eines Ministers gesetzliche Geltung erhält, der damit die
volle Verantwortlichkeit von dem Fürsten ab und auf sich nimmt. Es ist auch
dann nicht eine müßige Fiction. wenn kein Gesetz über Ministervernntwort-
lichkeit existirt, denn es handelt sich zunächst nur um die moralische Ver¬
antwortlichkeit, um die Verantwortlichkeit innerhalb der Discussion. Bequemer
freilich ist es für einen Minister, sich dieser Discussion dadurch zu entziehen,
daß er sich hinter die Souveränetät des Fürsten versteckt: aber wer das thut,
ist ein Feind der Monarchie. Wenn einem Minister der Privatwille des Für¬
sten über Alles geht, so ist das seine Sache, die er mit seinem eigenen Ge¬
wissen auszumachen hat; aber alsdann muß er auch den Muth besitzen, die
Sache auf seinen Namen zu nehmen und so den Fürsten zu decken.

Es ist viel von der Treue und Hingebung der Völker für ihre Fürsten
die Rede gewesen. Wenn man unsern Speichelleckern glauben wollte, so
wäre jede Illumination und jeder Fackelzug die Folge der persönlichen
Tugenden des jetzt regierenden Fürsten. In der That aber beruht dies Ge¬
fühl, die sicherste Grundlage des Staats, nicht auf dem Schauen, sondern ans
dem Glauben. Es gilt nicht dem augenblicklichen Fürsten, sondern dem an¬
gestammten Träger der Staatssouverainetät, und es wird um so unerschütter¬
licher fortbestehen, je weniger der Einzelne Gelegenheit hat, mit den persön¬
lichen Willensmeinungen des Fürsten in Collision zu kommen. — Ausnahmen
geben wir zu; es gibt Zeiten, wo der Fürst kraft seiner geistigen Uebermacht
und weil er das will, was die Natur der Dinge verlangt, auch persönlich
die volle Souvercnnetät besitzt, aber die Periode solcher Fürsten, welchen die
Geschichte den Beinamen „der Große" gibt, sind Ausnahmen wie die Revo¬
lutionen, und es handelt sich hier um die Regel.

Der wahre Freund der Monarchie ist Feind des Despotismus d. h.
derjenigen Staatsform, in welcher jeder augenblickliche Einfall des Fürsten
Gesetzeskraft erhält. Solche Staatsformen hat es in der Geschichte gegeben.
Nerv und Caligula konnten staatsrechtlich jedes Individuum ihres weiten
Reichs schinden, pfählen, viertheilen lassen, wie es ihnen gut dünkte; sie konn¬
ten ihren Unterthanen das Vermögen rauben, kurz sie konnten Ucbclcs thun
so viel sie wollten, da ihnen keine Nation, keine öffentliche Meinung gegen¬
überstand, sondern nur zahllose Individuen; der Widerstand, den sie fanden,
war auch nur individuell d. h. der Meuchelmord. Gutes zu thun, war
schwerer, denn ihre Macht beruhte aus deu Prätoricmern und auf dem römi¬
schen Pöbel, und diese hielten nur so lange zu ihnen als sie Uebeles thaten.
Nach dieser Art von Souvercnnetät werden sich unsere Fürsten schwerlich seh¬
nen. Aehnlich hat man die russische Monarchie einen durch den Mord ge¬
milderten Despotismus genannt. — Nie hat ein König von seiner Allmacht


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[0361] daher nicht eine müßige Fiction, daß die Verordnung des Fürsten nur durch Mituuterzeichnuug eines Ministers gesetzliche Geltung erhält, der damit die volle Verantwortlichkeit von dem Fürsten ab und auf sich nimmt. Es ist auch dann nicht eine müßige Fiction. wenn kein Gesetz über Ministervernntwort- lichkeit existirt, denn es handelt sich zunächst nur um die moralische Ver¬ antwortlichkeit, um die Verantwortlichkeit innerhalb der Discussion. Bequemer freilich ist es für einen Minister, sich dieser Discussion dadurch zu entziehen, daß er sich hinter die Souveränetät des Fürsten versteckt: aber wer das thut, ist ein Feind der Monarchie. Wenn einem Minister der Privatwille des Für¬ sten über Alles geht, so ist das seine Sache, die er mit seinem eigenen Ge¬ wissen auszumachen hat; aber alsdann muß er auch den Muth besitzen, die Sache auf seinen Namen zu nehmen und so den Fürsten zu decken. Es ist viel von der Treue und Hingebung der Völker für ihre Fürsten die Rede gewesen. Wenn man unsern Speichelleckern glauben wollte, so wäre jede Illumination und jeder Fackelzug die Folge der persönlichen Tugenden des jetzt regierenden Fürsten. In der That aber beruht dies Ge¬ fühl, die sicherste Grundlage des Staats, nicht auf dem Schauen, sondern ans dem Glauben. Es gilt nicht dem augenblicklichen Fürsten, sondern dem an¬ gestammten Träger der Staatssouverainetät, und es wird um so unerschütter¬ licher fortbestehen, je weniger der Einzelne Gelegenheit hat, mit den persön¬ lichen Willensmeinungen des Fürsten in Collision zu kommen. — Ausnahmen geben wir zu; es gibt Zeiten, wo der Fürst kraft seiner geistigen Uebermacht und weil er das will, was die Natur der Dinge verlangt, auch persönlich die volle Souvercnnetät besitzt, aber die Periode solcher Fürsten, welchen die Geschichte den Beinamen „der Große" gibt, sind Ausnahmen wie die Revo¬ lutionen, und es handelt sich hier um die Regel. Der wahre Freund der Monarchie ist Feind des Despotismus d. h. derjenigen Staatsform, in welcher jeder augenblickliche Einfall des Fürsten Gesetzeskraft erhält. Solche Staatsformen hat es in der Geschichte gegeben. Nerv und Caligula konnten staatsrechtlich jedes Individuum ihres weiten Reichs schinden, pfählen, viertheilen lassen, wie es ihnen gut dünkte; sie konn¬ ten ihren Unterthanen das Vermögen rauben, kurz sie konnten Ucbclcs thun so viel sie wollten, da ihnen keine Nation, keine öffentliche Meinung gegen¬ überstand, sondern nur zahllose Individuen; der Widerstand, den sie fanden, war auch nur individuell d. h. der Meuchelmord. Gutes zu thun, war schwerer, denn ihre Macht beruhte aus deu Prätoricmern und auf dem römi¬ schen Pöbel, und diese hielten nur so lange zu ihnen als sie Uebeles thaten. Nach dieser Art von Souvercnnetät werden sich unsere Fürsten schwerlich seh¬ nen. Aehnlich hat man die russische Monarchie einen durch den Mord ge¬ milderten Despotismus genannt. — Nie hat ein König von seiner Allmacht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/361>, abgerufen am 15.01.2025.