Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.20. Oktober 1860. Ein freier Entschluß hat es nicht geboren. Das Mani¬ Sagen wir es frei und schlicht. Das Vertrauen des östreichischen Vol¬ Grenzboten IV. 1860. 44
20. Oktober 1860. Ein freier Entschluß hat es nicht geboren. Das Mani¬ Sagen wir es frei und schlicht. Das Vertrauen des östreichischen Vol¬ Grenzboten IV. 1860. 44
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0357" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/110705"/> <p xml:id="ID_1038" prev="#ID_1037"> 20. Oktober 1860. Ein freier Entschluß hat es nicht geboren. Das Mani¬<lb/> fest mahnt fast durch eine leise Beziehung an jenes der Thronbesteigung.<lb/> „Ausgeregte Leidenschaften und schmerzliche Erinnerungen der jüngsten Ver¬<lb/> gangenheit," sagt es, „hatten bisher eine freie Bewegung der noch vor<lb/> Kurzem feindlich kämpfenden Elemente unmöglich gemacht." Noch deut¬<lb/> licher scheint das Diplom selbst an jenen früheren Staatsakt anzuknüpfen.<lb/> Wie jener den Volksvertretern Oestreichs „Theilnahme an der Gesetzge¬<lb/> bung" verhieß, sichert dieser letzte den nunmehr für die Kronländer gewährten<lb/> Vertretern „Mitwirkung" an selber zu. Beide geben sich als unumstößli¬<lb/> ches Grundgesetz für alle Thronfolger und Zeiten, allein wie kurz war die<lb/> Dauer des ersten, in Wirksamkeit ist es thatsächlich nie getreten. Wie ver¬<lb/> schieden ist namentlich der Inhalt beider! Jenes erste Manifest hatte wirklich<lb/> vom Volk gewählte Vertreter im Auge, jetzt sollen sie unter einer Menge von<lb/> Beschränkungen aus einem konservativen Häuflein bevorzugter Klassen und<lb/> Jnteressenträger gewählt, und erst aus der Mitte von Versammlungen sehr<lb/> zweifelhafter Begabung der Reichstag beschickt werden. Vom Mandat des<lb/> Volkes bleibt einem solchen Vertreter kaum der Name. Dort war ferner be¬<lb/> stimmt, daß die Krone ihre Rechte mit den Volksvertretern theilen werde,<lb/> hier vernehmen wir nur von einer sehr unbestimmten „Mitwirkung". Mit¬<lb/> wirkung ist nicht Zustimmung, das Diplom sowohl als die Landesstatute<lb/> scheiden sorgfältig beide Begriffe; sie ist auch nicht Beirath, das sagt uns<lb/> die Verbesserung der amtlichen Wiener Zeitung, welche dessen Ausübung im<lb/> §. 20 des Statutes für Kärnthen in „mitwirken" abändert. Was ist also<lb/> die wahre Bedeutung dieses Ausdrucks? Die officiöse „Donauzcitung" gibt<lb/> darauf Antwort. „Er hält die Möglichkeit einer vermittelnden Abwägung der<lb/> Regierung, auch außerhalb der einfachen Majoritätsbeschlüsse, aufrecht," also<lb/> Wohl das Recht der freien Hand. Wie sehr ist doch das Recht, das uns im<lb/> Jahre 1848 gegeben wurde, im Laufe von zwölf Jahren zusamme!lgeschwun-<lb/> dcn! Wenn wir nicht das Gegentheil wüßten, wären wir versucht zu glauben,<lb/> es gebühre dem Kardinal Rauscher und seinen Freunden der Ruhm der Erfin¬<lb/> dung dieses so unendlich biegsamen Ausdrucks.</p><lb/> <p xml:id="ID_1039" next="#ID_1040"> Sagen wir es frei und schlicht. Das Vertrauen des östreichischen Vol¬<lb/> kes, woran alles hängt, Kredit, Zufriedenheit und Ruhe, gibt nur die volle,<lb/> offene und treue Gewährung alles dessen, was Kaiser Franz Joseph in seinem<lb/> Thronbcsteiguugsmaniseste seinen Völkern zusicherte. Dies ist das Staats-<lb/> grundgesetz, kein anderes. Eine constitutionelle Monarchie ist es, was jenes<lb/> feierliche Versprechen verbürgte, mag sie nun unter jener oder einer andern<lb/> Form verwirklicht werden, letzteres ist Sache der Zeitverhältnisse; wahre Volks¬<lb/> vertretung und Theilung der Rechte mit ihr sprechen der klare Wortlaut und<lb/> Sinn jener Urkunde aus. So lange man sich nicht auf diesen Rechtsboden</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV. 1860. 44</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0357]
20. Oktober 1860. Ein freier Entschluß hat es nicht geboren. Das Mani¬
fest mahnt fast durch eine leise Beziehung an jenes der Thronbesteigung.
„Ausgeregte Leidenschaften und schmerzliche Erinnerungen der jüngsten Ver¬
gangenheit," sagt es, „hatten bisher eine freie Bewegung der noch vor
Kurzem feindlich kämpfenden Elemente unmöglich gemacht." Noch deut¬
licher scheint das Diplom selbst an jenen früheren Staatsakt anzuknüpfen.
Wie jener den Volksvertretern Oestreichs „Theilnahme an der Gesetzge¬
bung" verhieß, sichert dieser letzte den nunmehr für die Kronländer gewährten
Vertretern „Mitwirkung" an selber zu. Beide geben sich als unumstößli¬
ches Grundgesetz für alle Thronfolger und Zeiten, allein wie kurz war die
Dauer des ersten, in Wirksamkeit ist es thatsächlich nie getreten. Wie ver¬
schieden ist namentlich der Inhalt beider! Jenes erste Manifest hatte wirklich
vom Volk gewählte Vertreter im Auge, jetzt sollen sie unter einer Menge von
Beschränkungen aus einem konservativen Häuflein bevorzugter Klassen und
Jnteressenträger gewählt, und erst aus der Mitte von Versammlungen sehr
zweifelhafter Begabung der Reichstag beschickt werden. Vom Mandat des
Volkes bleibt einem solchen Vertreter kaum der Name. Dort war ferner be¬
stimmt, daß die Krone ihre Rechte mit den Volksvertretern theilen werde,
hier vernehmen wir nur von einer sehr unbestimmten „Mitwirkung". Mit¬
wirkung ist nicht Zustimmung, das Diplom sowohl als die Landesstatute
scheiden sorgfältig beide Begriffe; sie ist auch nicht Beirath, das sagt uns
die Verbesserung der amtlichen Wiener Zeitung, welche dessen Ausübung im
§. 20 des Statutes für Kärnthen in „mitwirken" abändert. Was ist also
die wahre Bedeutung dieses Ausdrucks? Die officiöse „Donauzcitung" gibt
darauf Antwort. „Er hält die Möglichkeit einer vermittelnden Abwägung der
Regierung, auch außerhalb der einfachen Majoritätsbeschlüsse, aufrecht," also
Wohl das Recht der freien Hand. Wie sehr ist doch das Recht, das uns im
Jahre 1848 gegeben wurde, im Laufe von zwölf Jahren zusamme!lgeschwun-
dcn! Wenn wir nicht das Gegentheil wüßten, wären wir versucht zu glauben,
es gebühre dem Kardinal Rauscher und seinen Freunden der Ruhm der Erfin¬
dung dieses so unendlich biegsamen Ausdrucks.
Sagen wir es frei und schlicht. Das Vertrauen des östreichischen Vol¬
kes, woran alles hängt, Kredit, Zufriedenheit und Ruhe, gibt nur die volle,
offene und treue Gewährung alles dessen, was Kaiser Franz Joseph in seinem
Thronbcsteiguugsmaniseste seinen Völkern zusicherte. Dies ist das Staats-
grundgesetz, kein anderes. Eine constitutionelle Monarchie ist es, was jenes
feierliche Versprechen verbürgte, mag sie nun unter jener oder einer andern
Form verwirklicht werden, letzteres ist Sache der Zeitverhältnisse; wahre Volks¬
vertretung und Theilung der Rechte mit ihr sprechen der klare Wortlaut und
Sinn jener Urkunde aus. So lange man sich nicht auf diesen Rechtsboden
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