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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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Es war wohl ein trüber Augenblick, als Kaiser Franz Joseph nach der
Schlacht bei Solferino durch die Thore Verona's ritt. Der morsche Unterbau
des östreichischen Staates mochte ihm schmerzlich vor die Seele treten, das
Manifest vom 15. Juli 1859, worin er "zeitgemäße Verbesserungen in Gesetz¬
gebung und Verwaltung" in Aussicht stellte, schien das Ergebniß jener bitteren
Stunden. Leider war jener erste Eindruck nicht so nachhaltig als wünschens¬
wert!). Von den Ministern, die dem alten Systeme huldigten', blieb noch
eine hinreichende Anzahl im Rathe der Krone, der Ersatz im Ministerium des
Innern deutete auf diesem zunächst zu bearbeitenden Felde auf keinen Umschlag
der Ansichten; erschienen auch in andern Gebieten nützliche Gesetze, der Abso¬
lutismus galt fortan als das Paladinen des Reiches. Freiherr v. Hübner,
der die Dinge ahnte, die da kommen mußten, dankte bei der Hartnäckigkeit,
womit man am Alten festhielt, ab. Graf Grünne, als Adjutant des Kaisers
entlassen, schlich sich durch eine Hinterthür wieder dicht an seine Seite. End¬
lich schien der Kndit des Staates ohne Heranziehung einer Vertretung der
Kronlünder doch unrettbar verloren. Dies entschied, und der erste Schritt zum
Einlenken auf eine andere Bahn war das Patent vom 5. März d. I. über
den verstärkten Reichsrath. Er bestand außer dessen frühern Mitgliedern aus
Erzherzogen, einem Kardinal und mehreren Bischöfen. Kriegsobersten, Fürsten,
Grafen und Baronen; dem Bürgerthum war ein äußerst bescheidener Antheil
gegönnt. Sie waren beauftragt, nur über das zu berathen, worüber sie be¬
fragt würden, namentlich das Budget, dessen Verminderung den Kredit heben
sollte; die Bewilligung außerordentlicher Steuern ward ihnen erst nachher ein¬
geräumt, als es sich herausstellte, daß beim Festhalten an der jetzigen Ver¬
waltung große Ersparungen nicht Platz greifen können. Die Mißstände der
keltern waren aber so hervorragend, daß man von einer Verbesserung des
Staatshaushaltes gar nicht sprechen konnte, ohne auf sie zurückzukommen,
dies führte zur Aufdeckung aller Schäden der Staatsmaschine, und als Folge
davon auch der UnHaltbarkeit des bisherigen Systems. Selbst dieser conser-
vative Rath der Krone mußte in seinen Endantrügen bei der einzig möglichen
Abhülfe, der Herstellung einer gesetzlichen Ordnung, einer Verfassung anlangen.
Die Überschreitung des Maubads, das diesfalls keine Initiative gestattete,
lag in der Pflicht jedes Ehrenmannes. Angesichts dieser Vorlagen vor den
Augen der Welt und der täglich wachsenden Mißstimmung im Innern galt
es zu handeln. In Ungarn drohte ein Aufstand. Venetien schien der Schau-
platz eines nahen Krieges zu werden, mag man nun den Grund davon in
den Wühlereien der Annexionsliga in Italien, oder, wie die Times, im Durst
nach Rache über die Verletzung der Zusagen von Villafranca suchen. War
die Aprilverfassung vom Jahre 1848 eine Tochter der Revolution, so führte
wenigstens die Furcht davor und der unvermeidliche Krieg zum Diplom vom


Es war wohl ein trüber Augenblick, als Kaiser Franz Joseph nach der
Schlacht bei Solferino durch die Thore Verona's ritt. Der morsche Unterbau
des östreichischen Staates mochte ihm schmerzlich vor die Seele treten, das
Manifest vom 15. Juli 1859, worin er „zeitgemäße Verbesserungen in Gesetz¬
gebung und Verwaltung" in Aussicht stellte, schien das Ergebniß jener bitteren
Stunden. Leider war jener erste Eindruck nicht so nachhaltig als wünschens¬
wert!). Von den Ministern, die dem alten Systeme huldigten', blieb noch
eine hinreichende Anzahl im Rathe der Krone, der Ersatz im Ministerium des
Innern deutete auf diesem zunächst zu bearbeitenden Felde auf keinen Umschlag
der Ansichten; erschienen auch in andern Gebieten nützliche Gesetze, der Abso¬
lutismus galt fortan als das Paladinen des Reiches. Freiherr v. Hübner,
der die Dinge ahnte, die da kommen mußten, dankte bei der Hartnäckigkeit,
womit man am Alten festhielt, ab. Graf Grünne, als Adjutant des Kaisers
entlassen, schlich sich durch eine Hinterthür wieder dicht an seine Seite. End¬
lich schien der Kndit des Staates ohne Heranziehung einer Vertretung der
Kronlünder doch unrettbar verloren. Dies entschied, und der erste Schritt zum
Einlenken auf eine andere Bahn war das Patent vom 5. März d. I. über
den verstärkten Reichsrath. Er bestand außer dessen frühern Mitgliedern aus
Erzherzogen, einem Kardinal und mehreren Bischöfen. Kriegsobersten, Fürsten,
Grafen und Baronen; dem Bürgerthum war ein äußerst bescheidener Antheil
gegönnt. Sie waren beauftragt, nur über das zu berathen, worüber sie be¬
fragt würden, namentlich das Budget, dessen Verminderung den Kredit heben
sollte; die Bewilligung außerordentlicher Steuern ward ihnen erst nachher ein¬
geräumt, als es sich herausstellte, daß beim Festhalten an der jetzigen Ver¬
waltung große Ersparungen nicht Platz greifen können. Die Mißstände der
keltern waren aber so hervorragend, daß man von einer Verbesserung des
Staatshaushaltes gar nicht sprechen konnte, ohne auf sie zurückzukommen,
dies führte zur Aufdeckung aller Schäden der Staatsmaschine, und als Folge
davon auch der UnHaltbarkeit des bisherigen Systems. Selbst dieser conser-
vative Rath der Krone mußte in seinen Endantrügen bei der einzig möglichen
Abhülfe, der Herstellung einer gesetzlichen Ordnung, einer Verfassung anlangen.
Die Überschreitung des Maubads, das diesfalls keine Initiative gestattete,
lag in der Pflicht jedes Ehrenmannes. Angesichts dieser Vorlagen vor den
Augen der Welt und der täglich wachsenden Mißstimmung im Innern galt
es zu handeln. In Ungarn drohte ein Aufstand. Venetien schien der Schau-
platz eines nahen Krieges zu werden, mag man nun den Grund davon in
den Wühlereien der Annexionsliga in Italien, oder, wie die Times, im Durst
nach Rache über die Verletzung der Zusagen von Villafranca suchen. War
die Aprilverfassung vom Jahre 1848 eine Tochter der Revolution, so führte
wenigstens die Furcht davor und der unvermeidliche Krieg zum Diplom vom


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/356>, abgerufen am 15.01.2025.