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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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Das österreichische Diplom.

M an hat in den nicht östreichischen deut¬
schen Ländern das, was uns als neue Verfassung des Reiches gewährt wurde,
hier und da freudiger, hoffnungsvoller begrüßt als in Oestreich selbst. Unsern
wackern Brüdern am Lech, Rhein und an der Spree sind vielleicht unsre Vor¬
gänge in den letzten zwölf traurigen Jahren nicht so gegenwärtig als uns,
die wir deren Wirkungen noch jetzt fühlen, und damit die neuen Erlasse ver¬
gleichen. Es sei uns daher erlaubt etwas weiter zurückzugehen und auch an
Bekanntes zu erinnern.

Kaiser Franz Joseph verkündigte am 2. Dezember 1848 seine Thronbe¬
steigung allen Völkern der Monarchie mit der feierlichsten Zusicherung "der
Gleichheit der Staatsbürger vor dem Gesetze, so wie der Theilnahme der Volks¬
vertreter an der Gesetzgebung", ja, was eine wirklich constitutionelle Regierung
verhieß, er erklärte sich bereit, "seine Rechte mit den Vertretern seiner Völker
zu theilen." Wenn auch das spätere Manifest von, 4. März 1849 den
Reichstag auflöste, weil er "der Begründung eines geordneten Rechtszustandes
im Staate entgegen-" und "über die Grenzen seines Berufes hinaustrat."
verbürgte der Kaiser darin dennoch allen Völkern Oestreichs jene "Rechte,
Freiheiten und politischen Institutionen", die "sein Vorfahr Ferdinand I. und
er selbst" ihnen zugesagt, das Patent über die Reichsverfassung erklärte im
§.2. daß alle Kronländer die "constitutionelle österreichische Erbmonarchie"
bilden. Der Kaiser und seine Nachfolger hatten die Verfassung bei der Krö¬
nung zu beschwören (§. 13). Alle Verfassungen der einzelnen Kronländer soll¬
ten noch im Laufe des Jahres 1849 in Wirksamkeit treten (ez. 83). Was
aber statt des im §. 33 alljährlich im Frühjahr in Aussicht gestellten allge¬
meinen Reichstags berufen wurde, war eine Versammlung der sämmtlichen
katholischen Bischöfe des Reiches, die schon im Mai 1849 zusammen¬
trat. Sie legten allererst gegen den Grundsatz der Gleichberechtigung der
katholischen Kirche mit. andern im Staate bestehenden Gesellschaften Verwah¬
rung ein und forderten für selbe eine ausnahmsweise, unabhängige, selbst¬
ständige Stellung. Zunächst wollten sie nebst der Besetzung der Kanzeln
der Theologie und der Religionslehre an Gymnasien die Volksschulen
unter ihre Leitung gestellt wissen, und deuteten schon jetzt noch weiter greifend
an, wie die Mißgriffe und Irrthümer des Jahres 1848 nur Folgen der man¬
gelhaften katholischen Bildung gewesen; der Frankfurter "Versammlung" schoben
sie den Aufbau eines "atheistischen Staates", dem Protestantismus die Ver-


Das österreichische Diplom.

M an hat in den nicht östreichischen deut¬
schen Ländern das, was uns als neue Verfassung des Reiches gewährt wurde,
hier und da freudiger, hoffnungsvoller begrüßt als in Oestreich selbst. Unsern
wackern Brüdern am Lech, Rhein und an der Spree sind vielleicht unsre Vor¬
gänge in den letzten zwölf traurigen Jahren nicht so gegenwärtig als uns,
die wir deren Wirkungen noch jetzt fühlen, und damit die neuen Erlasse ver¬
gleichen. Es sei uns daher erlaubt etwas weiter zurückzugehen und auch an
Bekanntes zu erinnern.

Kaiser Franz Joseph verkündigte am 2. Dezember 1848 seine Thronbe¬
steigung allen Völkern der Monarchie mit der feierlichsten Zusicherung „der
Gleichheit der Staatsbürger vor dem Gesetze, so wie der Theilnahme der Volks¬
vertreter an der Gesetzgebung", ja, was eine wirklich constitutionelle Regierung
verhieß, er erklärte sich bereit, „seine Rechte mit den Vertretern seiner Völker
zu theilen." Wenn auch das spätere Manifest von, 4. März 1849 den
Reichstag auflöste, weil er „der Begründung eines geordneten Rechtszustandes
im Staate entgegen-" und „über die Grenzen seines Berufes hinaustrat."
verbürgte der Kaiser darin dennoch allen Völkern Oestreichs jene „Rechte,
Freiheiten und politischen Institutionen", die „sein Vorfahr Ferdinand I. und
er selbst" ihnen zugesagt, das Patent über die Reichsverfassung erklärte im
§.2. daß alle Kronländer die „constitutionelle österreichische Erbmonarchie"
bilden. Der Kaiser und seine Nachfolger hatten die Verfassung bei der Krö¬
nung zu beschwören (§. 13). Alle Verfassungen der einzelnen Kronländer soll¬
ten noch im Laufe des Jahres 1849 in Wirksamkeit treten (ez. 83). Was
aber statt des im §. 33 alljährlich im Frühjahr in Aussicht gestellten allge¬
meinen Reichstags berufen wurde, war eine Versammlung der sämmtlichen
katholischen Bischöfe des Reiches, die schon im Mai 1849 zusammen¬
trat. Sie legten allererst gegen den Grundsatz der Gleichberechtigung der
katholischen Kirche mit. andern im Staate bestehenden Gesellschaften Verwah¬
rung ein und forderten für selbe eine ausnahmsweise, unabhängige, selbst¬
ständige Stellung. Zunächst wollten sie nebst der Besetzung der Kanzeln
der Theologie und der Religionslehre an Gymnasien die Volksschulen
unter ihre Leitung gestellt wissen, und deuteten schon jetzt noch weiter greifend
an, wie die Mißgriffe und Irrthümer des Jahres 1848 nur Folgen der man¬
gelhaften katholischen Bildung gewesen; der Frankfurter „Versammlung" schoben
sie den Aufbau eines „atheistischen Staates", dem Protestantismus die Ver-


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[0353] Das österreichische Diplom. M an hat in den nicht östreichischen deut¬ schen Ländern das, was uns als neue Verfassung des Reiches gewährt wurde, hier und da freudiger, hoffnungsvoller begrüßt als in Oestreich selbst. Unsern wackern Brüdern am Lech, Rhein und an der Spree sind vielleicht unsre Vor¬ gänge in den letzten zwölf traurigen Jahren nicht so gegenwärtig als uns, die wir deren Wirkungen noch jetzt fühlen, und damit die neuen Erlasse ver¬ gleichen. Es sei uns daher erlaubt etwas weiter zurückzugehen und auch an Bekanntes zu erinnern. Kaiser Franz Joseph verkündigte am 2. Dezember 1848 seine Thronbe¬ steigung allen Völkern der Monarchie mit der feierlichsten Zusicherung „der Gleichheit der Staatsbürger vor dem Gesetze, so wie der Theilnahme der Volks¬ vertreter an der Gesetzgebung", ja, was eine wirklich constitutionelle Regierung verhieß, er erklärte sich bereit, „seine Rechte mit den Vertretern seiner Völker zu theilen." Wenn auch das spätere Manifest von, 4. März 1849 den Reichstag auflöste, weil er „der Begründung eines geordneten Rechtszustandes im Staate entgegen-" und „über die Grenzen seines Berufes hinaustrat." verbürgte der Kaiser darin dennoch allen Völkern Oestreichs jene „Rechte, Freiheiten und politischen Institutionen", die „sein Vorfahr Ferdinand I. und er selbst" ihnen zugesagt, das Patent über die Reichsverfassung erklärte im §.2. daß alle Kronländer die „constitutionelle österreichische Erbmonarchie" bilden. Der Kaiser und seine Nachfolger hatten die Verfassung bei der Krö¬ nung zu beschwören (§. 13). Alle Verfassungen der einzelnen Kronländer soll¬ ten noch im Laufe des Jahres 1849 in Wirksamkeit treten (ez. 83). Was aber statt des im §. 33 alljährlich im Frühjahr in Aussicht gestellten allge¬ meinen Reichstags berufen wurde, war eine Versammlung der sämmtlichen katholischen Bischöfe des Reiches, die schon im Mai 1849 zusammen¬ trat. Sie legten allererst gegen den Grundsatz der Gleichberechtigung der katholischen Kirche mit. andern im Staate bestehenden Gesellschaften Verwah¬ rung ein und forderten für selbe eine ausnahmsweise, unabhängige, selbst¬ ständige Stellung. Zunächst wollten sie nebst der Besetzung der Kanzeln der Theologie und der Religionslehre an Gymnasien die Volksschulen unter ihre Leitung gestellt wissen, und deuteten schon jetzt noch weiter greifend an, wie die Mißgriffe und Irrthümer des Jahres 1848 nur Folgen der man¬ gelhaften katholischen Bildung gewesen; der Frankfurter „Versammlung" schoben sie den Aufbau eines „atheistischen Staates", dem Protestantismus die Ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/353>, abgerufen am 15.01.2025.