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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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wegung setzen sollen. Die Zeiten sind reich an Projecten gewesen, und so
gewiß es ist, daß diese Projecte noch mannichfach sich variiren lassen werden,
so gewiß geht auch aus der Variationssähigkeit hervor, daß die Themas zu
diesen Variationen zum guten Theile nicht aus den wahren Interessen des
Landes, sondern aus Vorurtheilen und Vorrechten genommen werden. Wir
wollen darauf verzichten, die Projecte noch um eines zu vermehren, wir wol¬
len nur unsre Meinung dahin aussprechen, daß wir einen abermaligen Vergleich
um der Stetigkeit des Rechtszustandes willen vermieden wünschten. Als einen
Vergleich würden wir aber jedes Arrangement ansehen, das das Land aber¬
mals in Klassen zerreißt, und außerdem im Lande noch gewißermaßen 75
neue Länder errichtet, indem der Abgeordnete nicht bloß staatsangehörig. son¬
dern auch bezirksangehörig sein muh. Dagegen ist es nicht unsre Meinung,
in Bezug auf Stimm- und Wahlfähigkeit um Jahre und Thaler zu rechten.
Es kommt zur Zeit nicht mehr darauf an. dem Landtage einen mehr oder
weniger demokratischen Character zu geben, es kommt vielmehr nur darauf
an, Sachsen wahrhaft in die Reihe der constitutionellen Staaten einzuführen
und in dem Landtage eines der ersten Organe zu schaffen, durch welchen das
Volk den Staat als seinen Staat lieben und fördern lernt,, und es kommt
vor Allem darauf an, in den Landtag Männer zu bringen, die nicht nur mit
Liebe das Heimische Pflegen, sondern auch mit weitem Sinne und warmem
Herzen hinaussclicuien über die Grenzen des engern Vaterlandes, die in die¬
sem nur ein Glied des großen gemeinsamen Vaterlands erblicken, das Un¬
recht mit empfinden, welches in irgend einem deutschen Brnderlcmde geübt
wird, und für die Einigung des gemeinsamen Vaterlands unablässig denken
und wirken. Die Männer, die jetzt zum Landtage vereint sind, mögen bemessen
und urtheilen, was ihnen erreichbar scheint*), sie mögen alte Projecte hervor-
suchen oder neue aufstellen; jedenfalls aber mögen sie der Sehnsucht des Lan¬
des nach einer Wahlreform einen lauten Ausdruck geben, und jedenfalls mögen
sie bei der Aussteckung ihrer Gesichtspunkte jene allgemeine geistige Be¬
deutung im Auge behalten, in der und für die eine Wahlreform allein Zweck
-- v -- und Sinn hat. ,



D. Red.


") Sich aber den Begriff des Erreichbaren nicht zu eng stecken. Je mehr man fordert,
desto mehr erreicht man, wenn man auch nicht immer alles erreicht, was man fordert.

wegung setzen sollen. Die Zeiten sind reich an Projecten gewesen, und so
gewiß es ist, daß diese Projecte noch mannichfach sich variiren lassen werden,
so gewiß geht auch aus der Variationssähigkeit hervor, daß die Themas zu
diesen Variationen zum guten Theile nicht aus den wahren Interessen des
Landes, sondern aus Vorurtheilen und Vorrechten genommen werden. Wir
wollen darauf verzichten, die Projecte noch um eines zu vermehren, wir wol¬
len nur unsre Meinung dahin aussprechen, daß wir einen abermaligen Vergleich
um der Stetigkeit des Rechtszustandes willen vermieden wünschten. Als einen
Vergleich würden wir aber jedes Arrangement ansehen, das das Land aber¬
mals in Klassen zerreißt, und außerdem im Lande noch gewißermaßen 75
neue Länder errichtet, indem der Abgeordnete nicht bloß staatsangehörig. son¬
dern auch bezirksangehörig sein muh. Dagegen ist es nicht unsre Meinung,
in Bezug auf Stimm- und Wahlfähigkeit um Jahre und Thaler zu rechten.
Es kommt zur Zeit nicht mehr darauf an. dem Landtage einen mehr oder
weniger demokratischen Character zu geben, es kommt vielmehr nur darauf
an, Sachsen wahrhaft in die Reihe der constitutionellen Staaten einzuführen
und in dem Landtage eines der ersten Organe zu schaffen, durch welchen das
Volk den Staat als seinen Staat lieben und fördern lernt,, und es kommt
vor Allem darauf an, in den Landtag Männer zu bringen, die nicht nur mit
Liebe das Heimische Pflegen, sondern auch mit weitem Sinne und warmem
Herzen hinaussclicuien über die Grenzen des engern Vaterlandes, die in die¬
sem nur ein Glied des großen gemeinsamen Vaterlands erblicken, das Un¬
recht mit empfinden, welches in irgend einem deutschen Brnderlcmde geübt
wird, und für die Einigung des gemeinsamen Vaterlands unablässig denken
und wirken. Die Männer, die jetzt zum Landtage vereint sind, mögen bemessen
und urtheilen, was ihnen erreichbar scheint*), sie mögen alte Projecte hervor-
suchen oder neue aufstellen; jedenfalls aber mögen sie der Sehnsucht des Lan¬
des nach einer Wahlreform einen lauten Ausdruck geben, und jedenfalls mögen
sie bei der Aussteckung ihrer Gesichtspunkte jene allgemeine geistige Be¬
deutung im Auge behalten, in der und für die eine Wahlreform allein Zweck
— v — und Sinn hat. ,



D. Red.


") Sich aber den Begriff des Erreichbaren nicht zu eng stecken. Je mehr man fordert,
desto mehr erreicht man, wenn man auch nicht immer alles erreicht, was man fordert.
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[0352] wegung setzen sollen. Die Zeiten sind reich an Projecten gewesen, und so gewiß es ist, daß diese Projecte noch mannichfach sich variiren lassen werden, so gewiß geht auch aus der Variationssähigkeit hervor, daß die Themas zu diesen Variationen zum guten Theile nicht aus den wahren Interessen des Landes, sondern aus Vorurtheilen und Vorrechten genommen werden. Wir wollen darauf verzichten, die Projecte noch um eines zu vermehren, wir wol¬ len nur unsre Meinung dahin aussprechen, daß wir einen abermaligen Vergleich um der Stetigkeit des Rechtszustandes willen vermieden wünschten. Als einen Vergleich würden wir aber jedes Arrangement ansehen, das das Land aber¬ mals in Klassen zerreißt, und außerdem im Lande noch gewißermaßen 75 neue Länder errichtet, indem der Abgeordnete nicht bloß staatsangehörig. son¬ dern auch bezirksangehörig sein muh. Dagegen ist es nicht unsre Meinung, in Bezug auf Stimm- und Wahlfähigkeit um Jahre und Thaler zu rechten. Es kommt zur Zeit nicht mehr darauf an. dem Landtage einen mehr oder weniger demokratischen Character zu geben, es kommt vielmehr nur darauf an, Sachsen wahrhaft in die Reihe der constitutionellen Staaten einzuführen und in dem Landtage eines der ersten Organe zu schaffen, durch welchen das Volk den Staat als seinen Staat lieben und fördern lernt,, und es kommt vor Allem darauf an, in den Landtag Männer zu bringen, die nicht nur mit Liebe das Heimische Pflegen, sondern auch mit weitem Sinne und warmem Herzen hinaussclicuien über die Grenzen des engern Vaterlandes, die in die¬ sem nur ein Glied des großen gemeinsamen Vaterlands erblicken, das Un¬ recht mit empfinden, welches in irgend einem deutschen Brnderlcmde geübt wird, und für die Einigung des gemeinsamen Vaterlands unablässig denken und wirken. Die Männer, die jetzt zum Landtage vereint sind, mögen bemessen und urtheilen, was ihnen erreichbar scheint*), sie mögen alte Projecte hervor- suchen oder neue aufstellen; jedenfalls aber mögen sie der Sehnsucht des Lan¬ des nach einer Wahlreform einen lauten Ausdruck geben, und jedenfalls mögen sie bei der Aussteckung ihrer Gesichtspunkte jene allgemeine geistige Be¬ deutung im Auge behalten, in der und für die eine Wahlreform allein Zweck — v — und Sinn hat. , D. Red. ") Sich aber den Begriff des Erreichbaren nicht zu eng stecken. Je mehr man fordert, desto mehr erreicht man, wenn man auch nicht immer alles erreicht, was man fordert.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/352>, abgerufen am 15.01.2025.