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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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wichtigen Unterschiede, daß die Einfügung der einzelnen Stände in zwei
Kammern ein Majorisiren des einen Standes durch den andern möglich
macht. Auf welcher Seite nun dieses ungeheuere Uebergewicht liege, ist oben
angedeutet worden, und kann nach der auch nur oberflächlichen Uebersicht
der Bestandtheile beider Kammern allerdings keinen Augenblick zweifelhaft sein.
Der Grundbesitz ist so bevorzugt, daß ihm gegenüber die., Vertretung der
Städte zu einer kleinen Minorität zusammenschwindet. Es hat zu keiner Zeit
an Klagen über dieses Mißverhältnis gefehlt, und es ist dasselbe gewiß ein
sehr bedauerliches, allein noch entschieden nachtheiliger ist das ganze System
jener Classentheilung, die Geschichte unserer Ständeversammlungen gibt dazu
den Beleg. Die Vertretung einzelner Stände hat eigentlich eine nothwen¬
dige Consequenz, nämlich die Mitwirkung dieser Stände auf die den einzel¬
nen Ständen angesonnenen Leistungen zu beschränken. Hieran hauptsächlich
knüpfen die Landstände historisch an, und wo eine solche Interessenvertretung
in der ständischen Vertretung erhalten ist, da drückt dies ihrer Wirksamkeit
unvermeidlich den Charakter auf. Alles, was über das specifische Interesse
des einzelnen Standes hinausgeht, erscheint eigentlich als eine Anomalie,
wen" die Stände darüber gehört werden. Es braucht einer Kammer an und
für sich noch nicht zum Schaden zu gereichen, daß sie überwiegend Ritter¬
gutsbesitzer und Bauern zählt, der Schade liegt darin, daß sie als solche, als
Vertreter ihres Standes darin fitzen, ihr Mandat vorwiegend auf ihren Stand
lind ihren Bezirk zurückführen und in der Erfüllung der diesen gegenüber auf
sich habenden Verpflichtungen die Hauptaufgabe ihrer Wirksamkeit erblicken.
So kommt es denn, daß solche Kammern weder getragen werden von dem
Geiste der öffentlichen Theilnahme, noch auf das Volk eine anregende, erziehende
Wirkung ausüben. Wo aber diese Wirkung fehlt, da ist eine der wesentlich¬
sten Aufgaben des Constitutionnlismus verfehlt; denn nicht darin blos hat die¬
ser seine Ausgabe zu suchen, daß er das Volk schützt gegen Willkür, sondern
darin hauptsächlich, daß er die geistige Ausgleichung zwischen Regierung und
Regierten übernimmt, daß er den Unterthan zum Staatsbürger macht, ihn
heranzieht zur lebendigen Betheiligung nur Staate durch geistige wie materi¬
elle Leistungen, daß er den Patrimonialstaat umgestaltet in den Rechtsstaat.
Daß die Ausübung dieser Wirkung dem ständischen Wesen in Sachsen nicht
entfernt geglückt ist, das fühlt jeder, welcher in Sachsen auch nur acht Wochen
l"ng gelebt hat.

Zum Theil aus diesem Gefühle, zum Theile aus der Rivalität der Städte
liegen den bevorzugtesten Stand, gegen die Rittergutsbesitzer, ging dann die
Agitation auf eine Umgestaltung der ständischen Vertretung hervor, die im
Jahre 1848 vor Allem betont wurde, so daß eine Reform des Wahlgesetzes
eine der ersten Verheißungen der Negierung bilden mußte.


wichtigen Unterschiede, daß die Einfügung der einzelnen Stände in zwei
Kammern ein Majorisiren des einen Standes durch den andern möglich
macht. Auf welcher Seite nun dieses ungeheuere Uebergewicht liege, ist oben
angedeutet worden, und kann nach der auch nur oberflächlichen Uebersicht
der Bestandtheile beider Kammern allerdings keinen Augenblick zweifelhaft sein.
Der Grundbesitz ist so bevorzugt, daß ihm gegenüber die., Vertretung der
Städte zu einer kleinen Minorität zusammenschwindet. Es hat zu keiner Zeit
an Klagen über dieses Mißverhältnis gefehlt, und es ist dasselbe gewiß ein
sehr bedauerliches, allein noch entschieden nachtheiliger ist das ganze System
jener Classentheilung, die Geschichte unserer Ständeversammlungen gibt dazu
den Beleg. Die Vertretung einzelner Stände hat eigentlich eine nothwen¬
dige Consequenz, nämlich die Mitwirkung dieser Stände auf die den einzel¬
nen Ständen angesonnenen Leistungen zu beschränken. Hieran hauptsächlich
knüpfen die Landstände historisch an, und wo eine solche Interessenvertretung
in der ständischen Vertretung erhalten ist, da drückt dies ihrer Wirksamkeit
unvermeidlich den Charakter auf. Alles, was über das specifische Interesse
des einzelnen Standes hinausgeht, erscheint eigentlich als eine Anomalie,
wen» die Stände darüber gehört werden. Es braucht einer Kammer an und
für sich noch nicht zum Schaden zu gereichen, daß sie überwiegend Ritter¬
gutsbesitzer und Bauern zählt, der Schade liegt darin, daß sie als solche, als
Vertreter ihres Standes darin fitzen, ihr Mandat vorwiegend auf ihren Stand
lind ihren Bezirk zurückführen und in der Erfüllung der diesen gegenüber auf
sich habenden Verpflichtungen die Hauptaufgabe ihrer Wirksamkeit erblicken.
So kommt es denn, daß solche Kammern weder getragen werden von dem
Geiste der öffentlichen Theilnahme, noch auf das Volk eine anregende, erziehende
Wirkung ausüben. Wo aber diese Wirkung fehlt, da ist eine der wesentlich¬
sten Aufgaben des Constitutionnlismus verfehlt; denn nicht darin blos hat die¬
ser seine Ausgabe zu suchen, daß er das Volk schützt gegen Willkür, sondern
darin hauptsächlich, daß er die geistige Ausgleichung zwischen Regierung und
Regierten übernimmt, daß er den Unterthan zum Staatsbürger macht, ihn
heranzieht zur lebendigen Betheiligung nur Staate durch geistige wie materi¬
elle Leistungen, daß er den Patrimonialstaat umgestaltet in den Rechtsstaat.
Daß die Ausübung dieser Wirkung dem ständischen Wesen in Sachsen nicht
entfernt geglückt ist, das fühlt jeder, welcher in Sachsen auch nur acht Wochen
l"ng gelebt hat.

Zum Theil aus diesem Gefühle, zum Theile aus der Rivalität der Städte
liegen den bevorzugtesten Stand, gegen die Rittergutsbesitzer, ging dann die
Agitation auf eine Umgestaltung der ständischen Vertretung hervor, die im
Jahre 1848 vor Allem betont wurde, so daß eine Reform des Wahlgesetzes
eine der ersten Verheißungen der Negierung bilden mußte.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/337>, abgerufen am 15.01.2025.