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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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Stifts Meißen und des Collegiatstiftes Würzen, Korporationen, die weder eine
politische, noch eine kirchliche Wichtigkeit haben, fünf Vertretern von Standes¬
und sogenannten Rcceßhcrrschaftcn, zwölf auf Lebenszeit gewählten, zehn vom
Könige ernannten Rittergutsbesitzern, den ersten Magistratspersonen von acht
Städten, dem Abgeordneten der Universität Leipzig, dem Oberhofprediger, dem
katholischen Decan des Domstifts Bautzen, dem Superintendenten zu Leipzig.
Die zweite Kammer dagegen besteht nach § 08: aus zwanzig Abgeordneten
der Rittergutsbesitzer, fünfundzwanzig Abgeordneten der Städte, fünfundzwan¬
zig Abgeordneten des Bauernstandes, und fünf Vertretern des Fabrik- und
Handclsstandes.

(5s ist in den Staatswissenschaften durch eine Theorie, welche zwischen
Staat und Staatsbürger als organisches Glied des Ganzen die gesellschaft¬
lichen Kreise einschickt, die Theorie der ständischen Vertretung dieser Kreise
gegenüber der reinen repräsentativen Vertretung mit blos numerischer oder
geographischer Eintheilung der Staatsbürger wieder sehr zu Ansehen gekom¬
men. Wie aber diese Gesellschaststhcorie vom rein wissenschaftlichen Stand¬
punkte aus viele Gegner gefunden hat, so ist ihr auch vom praktischen
Standpunkte aus entgegen zu halten, daß es schwer gelingen wird, alle
die gesellschaftlichen Kreise und Beziehungen, die den Staat bilden, so sicht¬
bar anatomisch zu präpanren und nach ihrem Gewichte so gegen einander abzu¬
wägen, um darauf ein System der ständischen Vertretung zu gründen, das
nicht jeden Augenblick durch Willtmlichkeit sich behelfen müßte. Man braucht
indessen nicht in diese Streitfrage einzugehn, um die ständische Vertretung
der sächsischen Verfassung zu verurtheilen. Denn es handelt sich in
der That hier nicht nur um ein willkürliches rohes Gefüge von in ihrem Ver¬
hältniß zu einander und zum Staatsganzen gar nicht bemessenen Factoren,
es handelt sich vielmehr darum, daß die Eintheilung des Staats in drei
Hauptklafse", Rittergutsbesitzer, Städte und Bauern das Staatsganze zerreißen
und einen Kampf unter diesen drei Factoren erzeugen muß, der nicht nur dem
Wesen einer repräsentativen, sondern dem Wesen einer constitutionellen Ver¬
tretung überhaupt völlig fremd ist. Zwar heißt es in § 78 der V. U: die
Stände sind das gesetzmäßige Organ der Gesammtheit der Staatsbürger und
Unterthanen :c. allein der ganze geschichtliche Ursprung der Stände aus den frü¬
heren, denen man eben nur noch eine Vertretung des bäuerlichen Besitzes bei¬
gefügt hat, und sodann namentlich auch die Bestimmungen des Wahlgesetzes,
wonach die einen Wahlbezirk ausmachenden Rittergutsbesitzer, Städte oder
Bauern in der Wahl eines Abgeordneten auf Personen ihres Bezirkes, be¬
ziehentlich Standes beschränkt sind, haben in die neue Verfassung eine Classcn-
trennung herübergetragen, wie sie eigentlich nur früheren ständischen Vertretun¬
gen eigen ist, und wie sie z. B. jetzt noch in Schweden besteht, nur mit dem


Stifts Meißen und des Collegiatstiftes Würzen, Korporationen, die weder eine
politische, noch eine kirchliche Wichtigkeit haben, fünf Vertretern von Standes¬
und sogenannten Rcceßhcrrschaftcn, zwölf auf Lebenszeit gewählten, zehn vom
Könige ernannten Rittergutsbesitzern, den ersten Magistratspersonen von acht
Städten, dem Abgeordneten der Universität Leipzig, dem Oberhofprediger, dem
katholischen Decan des Domstifts Bautzen, dem Superintendenten zu Leipzig.
Die zweite Kammer dagegen besteht nach § 08: aus zwanzig Abgeordneten
der Rittergutsbesitzer, fünfundzwanzig Abgeordneten der Städte, fünfundzwan¬
zig Abgeordneten des Bauernstandes, und fünf Vertretern des Fabrik- und
Handclsstandes.

(5s ist in den Staatswissenschaften durch eine Theorie, welche zwischen
Staat und Staatsbürger als organisches Glied des Ganzen die gesellschaft¬
lichen Kreise einschickt, die Theorie der ständischen Vertretung dieser Kreise
gegenüber der reinen repräsentativen Vertretung mit blos numerischer oder
geographischer Eintheilung der Staatsbürger wieder sehr zu Ansehen gekom¬
men. Wie aber diese Gesellschaststhcorie vom rein wissenschaftlichen Stand¬
punkte aus viele Gegner gefunden hat, so ist ihr auch vom praktischen
Standpunkte aus entgegen zu halten, daß es schwer gelingen wird, alle
die gesellschaftlichen Kreise und Beziehungen, die den Staat bilden, so sicht¬
bar anatomisch zu präpanren und nach ihrem Gewichte so gegen einander abzu¬
wägen, um darauf ein System der ständischen Vertretung zu gründen, das
nicht jeden Augenblick durch Willtmlichkeit sich behelfen müßte. Man braucht
indessen nicht in diese Streitfrage einzugehn, um die ständische Vertretung
der sächsischen Verfassung zu verurtheilen. Denn es handelt sich in
der That hier nicht nur um ein willkürliches rohes Gefüge von in ihrem Ver¬
hältniß zu einander und zum Staatsganzen gar nicht bemessenen Factoren,
es handelt sich vielmehr darum, daß die Eintheilung des Staats in drei
Hauptklafse», Rittergutsbesitzer, Städte und Bauern das Staatsganze zerreißen
und einen Kampf unter diesen drei Factoren erzeugen muß, der nicht nur dem
Wesen einer repräsentativen, sondern dem Wesen einer constitutionellen Ver¬
tretung überhaupt völlig fremd ist. Zwar heißt es in § 78 der V. U: die
Stände sind das gesetzmäßige Organ der Gesammtheit der Staatsbürger und
Unterthanen :c. allein der ganze geschichtliche Ursprung der Stände aus den frü¬
heren, denen man eben nur noch eine Vertretung des bäuerlichen Besitzes bei¬
gefügt hat, und sodann namentlich auch die Bestimmungen des Wahlgesetzes,
wonach die einen Wahlbezirk ausmachenden Rittergutsbesitzer, Städte oder
Bauern in der Wahl eines Abgeordneten auf Personen ihres Bezirkes, be¬
ziehentlich Standes beschränkt sind, haben in die neue Verfassung eine Classcn-
trennung herübergetragen, wie sie eigentlich nur früheren ständischen Vertretun¬
gen eigen ist, und wie sie z. B. jetzt noch in Schweden besteht, nur mit dem


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[0336] Stifts Meißen und des Collegiatstiftes Würzen, Korporationen, die weder eine politische, noch eine kirchliche Wichtigkeit haben, fünf Vertretern von Standes¬ und sogenannten Rcceßhcrrschaftcn, zwölf auf Lebenszeit gewählten, zehn vom Könige ernannten Rittergutsbesitzern, den ersten Magistratspersonen von acht Städten, dem Abgeordneten der Universität Leipzig, dem Oberhofprediger, dem katholischen Decan des Domstifts Bautzen, dem Superintendenten zu Leipzig. Die zweite Kammer dagegen besteht nach § 08: aus zwanzig Abgeordneten der Rittergutsbesitzer, fünfundzwanzig Abgeordneten der Städte, fünfundzwan¬ zig Abgeordneten des Bauernstandes, und fünf Vertretern des Fabrik- und Handclsstandes. (5s ist in den Staatswissenschaften durch eine Theorie, welche zwischen Staat und Staatsbürger als organisches Glied des Ganzen die gesellschaft¬ lichen Kreise einschickt, die Theorie der ständischen Vertretung dieser Kreise gegenüber der reinen repräsentativen Vertretung mit blos numerischer oder geographischer Eintheilung der Staatsbürger wieder sehr zu Ansehen gekom¬ men. Wie aber diese Gesellschaststhcorie vom rein wissenschaftlichen Stand¬ punkte aus viele Gegner gefunden hat, so ist ihr auch vom praktischen Standpunkte aus entgegen zu halten, daß es schwer gelingen wird, alle die gesellschaftlichen Kreise und Beziehungen, die den Staat bilden, so sicht¬ bar anatomisch zu präpanren und nach ihrem Gewichte so gegen einander abzu¬ wägen, um darauf ein System der ständischen Vertretung zu gründen, das nicht jeden Augenblick durch Willtmlichkeit sich behelfen müßte. Man braucht indessen nicht in diese Streitfrage einzugehn, um die ständische Vertretung der sächsischen Verfassung zu verurtheilen. Denn es handelt sich in der That hier nicht nur um ein willkürliches rohes Gefüge von in ihrem Ver¬ hältniß zu einander und zum Staatsganzen gar nicht bemessenen Factoren, es handelt sich vielmehr darum, daß die Eintheilung des Staats in drei Hauptklafse», Rittergutsbesitzer, Städte und Bauern das Staatsganze zerreißen und einen Kampf unter diesen drei Factoren erzeugen muß, der nicht nur dem Wesen einer repräsentativen, sondern dem Wesen einer constitutionellen Ver¬ tretung überhaupt völlig fremd ist. Zwar heißt es in § 78 der V. U: die Stände sind das gesetzmäßige Organ der Gesammtheit der Staatsbürger und Unterthanen :c. allein der ganze geschichtliche Ursprung der Stände aus den frü¬ heren, denen man eben nur noch eine Vertretung des bäuerlichen Besitzes bei¬ gefügt hat, und sodann namentlich auch die Bestimmungen des Wahlgesetzes, wonach die einen Wahlbezirk ausmachenden Rittergutsbesitzer, Städte oder Bauern in der Wahl eines Abgeordneten auf Personen ihres Bezirkes, be¬ ziehentlich Standes beschränkt sind, haben in die neue Verfassung eine Classcn- trennung herübergetragen, wie sie eigentlich nur früheren ständischen Vertretun¬ gen eigen ist, und wie sie z. B. jetzt noch in Schweden besteht, nur mit dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/336>, abgerufen am 15.01.2025.