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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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ordentlich geschwächt und bestand nach dieser nur noch aus dem Hochstift Meißen,
Solms-Wildenfels und Schönburg, zu denen die Universität Leipzig hinzugefügt
wurde. Die Ritterschaft war gebildet durch die persönlich zum Erscheinen berechtig¬
ten altadeligen Besitzer landtagsfähiger Güter, 40 Erwählte der wegen ihres
Standes nicht zum Erscheinen berechtigten Besitzer schriftsüssiger Güter, und
durch erwählte Deputirte der amtsässigen Rittergüter. Zum Beschicken des
Landtages waren vor dem wiener Frieden 128. nach demselben 85 Städte
berechtigt, von denen jede in der Regel nur einen durch die städtischen Depu¬
taten aus der Mitte des Stadtraths gewählten Abgeordneten, Leipzig und
Dresden zwei schickten. Die Berathschlagungen bezogen sich vorzüglich aus
folgende Gegenstände: Allgemeine Landesangelegenheit (Prüliminarschrist):
einzelne landesherrliche Decrete und Resolutionen, einzelne Beschwerden und
Jntercessionalien für andre Unterthanen, und die landesherrliche Proposition
(Haupt- und Bewilligungsschrift). Ergab sich nach den durch Deputationen,
engere und weitere Ausschüsse u. s. f. gepflogenen Verhandlungen eine Ver¬
schiedenheit der Meinung zwischen Ritterschaft und Städten, die sich durch Commu-
nicntion nicht heben ließ, so wurde diese in der ständischen Schrift angezeigt.

Es ist nicht unwichtig, sich jener früheren Gestaltungen zu erinnern, weil
sich daraus die Beurtheilung für das Wahlgesetz vom 24. September 1831
und die damit in Verbindung stehenden Paragraphen der Verfassung von selbst
ergibt. Man kann dieses Urtheil kaum kürzer und richtiger geben, als es im
Jahre 1848 in der ersten Kammer der Abgeordnete von Thielau ausgesprochen
hat, der das Wahlgesetz einen Vergleich zwischen der alten und neuen Gestal¬
tung nannte, den Zeitbedürfnissen Rechnung tragend, indem dem kleinen Besitze
eine Vertretung gewährt sei. aber für die Dauer unhaltbar wegen der über¬
wiegenden Vertretung des Grundbesitzes. Die Neigung zu Kompromissen,
zu Halbheiten liegt vielleicht in der sächsischen Natur, wenigstens ist kaum
ein größeres organisches Gesetz seit der Einführung der Verfassung entstanden,
das nicht den Charakter der Halbheit, des Kompromisses trüge, wie denn noch
neuerdings zwar die Patnmonialgerichte aufgehoben, aber Justiz und Verwal¬
tung nicht getrennt worden sind, wie man zwar Oeffentlichkeit und Mündlichkeit
im Strafverfahren eingeführt hat, aber unter Beseitigung des Geschworncn-
institutes. Jedenfalls trägt aber an diesen Halbheiten auch jene erste Halbheit
in den Gesetzen von 1831 einen wesentlichen Theil der Schuld, und das ist
namentlich bei den letztgedachten Gesetzen sehr offenbar.

Die Verfassung von 1831 schuf nämlich zwei Kammern, die in Folge von
Ereignissen, deren wir später zu gedenken haben, noch heute ihre damalige Zu¬
sammensetzung haben und beziehentlich nach dem Wahlgesetze von 1831 gewählt
werden, und auf die wir daher näher eingehn müssen. Die erste Kammer besteht
nach § gZ der Verfassung: aus den volljährigen Prinzen, den Vertretern des Hoch-


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ordentlich geschwächt und bestand nach dieser nur noch aus dem Hochstift Meißen,
Solms-Wildenfels und Schönburg, zu denen die Universität Leipzig hinzugefügt
wurde. Die Ritterschaft war gebildet durch die persönlich zum Erscheinen berechtig¬
ten altadeligen Besitzer landtagsfähiger Güter, 40 Erwählte der wegen ihres
Standes nicht zum Erscheinen berechtigten Besitzer schriftsüssiger Güter, und
durch erwählte Deputirte der amtsässigen Rittergüter. Zum Beschicken des
Landtages waren vor dem wiener Frieden 128. nach demselben 85 Städte
berechtigt, von denen jede in der Regel nur einen durch die städtischen Depu¬
taten aus der Mitte des Stadtraths gewählten Abgeordneten, Leipzig und
Dresden zwei schickten. Die Berathschlagungen bezogen sich vorzüglich aus
folgende Gegenstände: Allgemeine Landesangelegenheit (Prüliminarschrist):
einzelne landesherrliche Decrete und Resolutionen, einzelne Beschwerden und
Jntercessionalien für andre Unterthanen, und die landesherrliche Proposition
(Haupt- und Bewilligungsschrift). Ergab sich nach den durch Deputationen,
engere und weitere Ausschüsse u. s. f. gepflogenen Verhandlungen eine Ver¬
schiedenheit der Meinung zwischen Ritterschaft und Städten, die sich durch Commu-
nicntion nicht heben ließ, so wurde diese in der ständischen Schrift angezeigt.

Es ist nicht unwichtig, sich jener früheren Gestaltungen zu erinnern, weil
sich daraus die Beurtheilung für das Wahlgesetz vom 24. September 1831
und die damit in Verbindung stehenden Paragraphen der Verfassung von selbst
ergibt. Man kann dieses Urtheil kaum kürzer und richtiger geben, als es im
Jahre 1848 in der ersten Kammer der Abgeordnete von Thielau ausgesprochen
hat, der das Wahlgesetz einen Vergleich zwischen der alten und neuen Gestal¬
tung nannte, den Zeitbedürfnissen Rechnung tragend, indem dem kleinen Besitze
eine Vertretung gewährt sei. aber für die Dauer unhaltbar wegen der über¬
wiegenden Vertretung des Grundbesitzes. Die Neigung zu Kompromissen,
zu Halbheiten liegt vielleicht in der sächsischen Natur, wenigstens ist kaum
ein größeres organisches Gesetz seit der Einführung der Verfassung entstanden,
das nicht den Charakter der Halbheit, des Kompromisses trüge, wie denn noch
neuerdings zwar die Patnmonialgerichte aufgehoben, aber Justiz und Verwal¬
tung nicht getrennt worden sind, wie man zwar Oeffentlichkeit und Mündlichkeit
im Strafverfahren eingeführt hat, aber unter Beseitigung des Geschworncn-
institutes. Jedenfalls trägt aber an diesen Halbheiten auch jene erste Halbheit
in den Gesetzen von 1831 einen wesentlichen Theil der Schuld, und das ist
namentlich bei den letztgedachten Gesetzen sehr offenbar.

Die Verfassung von 1831 schuf nämlich zwei Kammern, die in Folge von
Ereignissen, deren wir später zu gedenken haben, noch heute ihre damalige Zu¬
sammensetzung haben und beziehentlich nach dem Wahlgesetze von 1831 gewählt
werden, und auf die wir daher näher eingehn müssen. Die erste Kammer besteht
nach § gZ der Verfassung: aus den volljährigen Prinzen, den Vertretern des Hoch-


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[0335] ordentlich geschwächt und bestand nach dieser nur noch aus dem Hochstift Meißen, Solms-Wildenfels und Schönburg, zu denen die Universität Leipzig hinzugefügt wurde. Die Ritterschaft war gebildet durch die persönlich zum Erscheinen berechtig¬ ten altadeligen Besitzer landtagsfähiger Güter, 40 Erwählte der wegen ihres Standes nicht zum Erscheinen berechtigten Besitzer schriftsüssiger Güter, und durch erwählte Deputirte der amtsässigen Rittergüter. Zum Beschicken des Landtages waren vor dem wiener Frieden 128. nach demselben 85 Städte berechtigt, von denen jede in der Regel nur einen durch die städtischen Depu¬ taten aus der Mitte des Stadtraths gewählten Abgeordneten, Leipzig und Dresden zwei schickten. Die Berathschlagungen bezogen sich vorzüglich aus folgende Gegenstände: Allgemeine Landesangelegenheit (Prüliminarschrist): einzelne landesherrliche Decrete und Resolutionen, einzelne Beschwerden und Jntercessionalien für andre Unterthanen, und die landesherrliche Proposition (Haupt- und Bewilligungsschrift). Ergab sich nach den durch Deputationen, engere und weitere Ausschüsse u. s. f. gepflogenen Verhandlungen eine Ver¬ schiedenheit der Meinung zwischen Ritterschaft und Städten, die sich durch Commu- nicntion nicht heben ließ, so wurde diese in der ständischen Schrift angezeigt. Es ist nicht unwichtig, sich jener früheren Gestaltungen zu erinnern, weil sich daraus die Beurtheilung für das Wahlgesetz vom 24. September 1831 und die damit in Verbindung stehenden Paragraphen der Verfassung von selbst ergibt. Man kann dieses Urtheil kaum kürzer und richtiger geben, als es im Jahre 1848 in der ersten Kammer der Abgeordnete von Thielau ausgesprochen hat, der das Wahlgesetz einen Vergleich zwischen der alten und neuen Gestal¬ tung nannte, den Zeitbedürfnissen Rechnung tragend, indem dem kleinen Besitze eine Vertretung gewährt sei. aber für die Dauer unhaltbar wegen der über¬ wiegenden Vertretung des Grundbesitzes. Die Neigung zu Kompromissen, zu Halbheiten liegt vielleicht in der sächsischen Natur, wenigstens ist kaum ein größeres organisches Gesetz seit der Einführung der Verfassung entstanden, das nicht den Charakter der Halbheit, des Kompromisses trüge, wie denn noch neuerdings zwar die Patnmonialgerichte aufgehoben, aber Justiz und Verwal¬ tung nicht getrennt worden sind, wie man zwar Oeffentlichkeit und Mündlichkeit im Strafverfahren eingeführt hat, aber unter Beseitigung des Geschworncn- institutes. Jedenfalls trägt aber an diesen Halbheiten auch jene erste Halbheit in den Gesetzen von 1831 einen wesentlichen Theil der Schuld, und das ist namentlich bei den letztgedachten Gesetzen sehr offenbar. Die Verfassung von 1831 schuf nämlich zwei Kammern, die in Folge von Ereignissen, deren wir später zu gedenken haben, noch heute ihre damalige Zu¬ sammensetzung haben und beziehentlich nach dem Wahlgesetze von 1831 gewählt werden, und auf die wir daher näher eingehn müssen. Die erste Kammer besteht nach § gZ der Verfassung: aus den volljährigen Prinzen, den Vertretern des Hoch- 41 *

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/335>, abgerufen am 15.01.2025.