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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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Beziehungen vortrugen. Ein gewisser Madras. dessen Name wochenlang
in großen Lettern mit Fettschrift als Lockvogel ans den Anschlagszetteln
stand, zeichnete sich in der That dnrch gewandtes Spiel und schlagen¬
den Witz aus. Die Unterhaltung währte bis Mitternacht, und die Gesell¬
schaft, die nicht müde ward, Beifall zu spenden, befand sich in der heitersten
Stimmung.

Uebrigens versichern alle, welche Wien vor zwanzig Jahren gekannt und
jetzt wiedergesehen haben, daß der Prater und ähnliche Orte damals weit be¬
suchter und lustiger gewesen seien. Fragt man nach dem Grunde, so sagen
die Wiener durch die Vermehrung und Verbesserung der Fahrgelegenheiten
seien jetzt die Leute über eine größere Zahl von Orten ausgestreut. "Und
dann, fügen sie seufzend hinzu, sind die Zeiten nicht mehr darnach angethan.
Die Walzer werden noch ebenso schön gespielt; aber die Füße und -- das
Herz sind nicht mehr so leicht."

Nichts ist natürlicher, als daß in einer so großen Stadt Tausende wie
Kinder nur im Augenblicke leben, zumal da der Wiener und der Oestreicher
im allgemeinen erst in der letzten Zeit angefangen hat, über das Regiment,
unter dem er steht, und über die Lage, in welcher er sich in Folge dieses
Regiments befindet, nachzudenken. Trotzdem kann es dem Schärferblickenden
keinen Augenblick verborgen bleiben, daß das sonst so glatte Gesicht der guten
Stadt Wien angefangen hat, recht tiefe Furchen zu bekommen. Was zu
Metternichs Zeiten höchstens von Ohr zu Ohr geflüstert wurde, um den über¬
all aufhorchenden "Spitzeln" nicht ins Garn zu fallen, das wird jetzt laut und
ungestraft, mitunter mit beißendem Spott, in den öffentlichen Lokalen be¬
sprochen. Die Presse, so hart sie auch noch gebunden sein mag, beginnt doch
sich in ihren Fesseln zu regen und die wachsende Gährung zu steigern. Es
fallen laute Demonstrationen vor. wie z. B. neulich, als der deutsche sieben¬
bürger Maager. der Vertheidiger der Nationalvertretung im Reichsrath, in
einem Kaffeehaus von den Gästen durch Aufstehen und dreimaliges Hoch be¬
grüßt wurde. Eine Demonstration ist auch das kecke Auftreten der Ungarn,
die zu Hunderten in ihrem kleidsamen Nationalcostüm erscheinen. Selbst er¬
graute Herrn sieht man in dem aufgeschlagenen Hlitchen, in der schwarzen
Schnürjacke mit Husarenstieseln und Sporen.

Tritt man gebildeten Oestreichern, die ein Herz und einen Blick für die
Zustände ihres Vaterlandes haben, naher, wie dies auf der Reise, wo man
oft Tage lang in derselben Gesellschaft verweilt, sich leicht ereignet, so kommen
bisweilen recht heftige Empfindungen und stürmende Gedanken zum Vorschein.
Eines ,se Allen gemeinsam, daß sie tief verstimmt sind und daß die politische
Lage Oestreichs ihnen als verzweifelt erscheint. Diese Stimmung findet sich
nicht nur in Wien, sondern auch in allen deutschen Provinzen, das "treue


Beziehungen vortrugen. Ein gewisser Madras. dessen Name wochenlang
in großen Lettern mit Fettschrift als Lockvogel ans den Anschlagszetteln
stand, zeichnete sich in der That dnrch gewandtes Spiel und schlagen¬
den Witz aus. Die Unterhaltung währte bis Mitternacht, und die Gesell¬
schaft, die nicht müde ward, Beifall zu spenden, befand sich in der heitersten
Stimmung.

Uebrigens versichern alle, welche Wien vor zwanzig Jahren gekannt und
jetzt wiedergesehen haben, daß der Prater und ähnliche Orte damals weit be¬
suchter und lustiger gewesen seien. Fragt man nach dem Grunde, so sagen
die Wiener durch die Vermehrung und Verbesserung der Fahrgelegenheiten
seien jetzt die Leute über eine größere Zahl von Orten ausgestreut. „Und
dann, fügen sie seufzend hinzu, sind die Zeiten nicht mehr darnach angethan.
Die Walzer werden noch ebenso schön gespielt; aber die Füße und — das
Herz sind nicht mehr so leicht."

Nichts ist natürlicher, als daß in einer so großen Stadt Tausende wie
Kinder nur im Augenblicke leben, zumal da der Wiener und der Oestreicher
im allgemeinen erst in der letzten Zeit angefangen hat, über das Regiment,
unter dem er steht, und über die Lage, in welcher er sich in Folge dieses
Regiments befindet, nachzudenken. Trotzdem kann es dem Schärferblickenden
keinen Augenblick verborgen bleiben, daß das sonst so glatte Gesicht der guten
Stadt Wien angefangen hat, recht tiefe Furchen zu bekommen. Was zu
Metternichs Zeiten höchstens von Ohr zu Ohr geflüstert wurde, um den über¬
all aufhorchenden „Spitzeln" nicht ins Garn zu fallen, das wird jetzt laut und
ungestraft, mitunter mit beißendem Spott, in den öffentlichen Lokalen be¬
sprochen. Die Presse, so hart sie auch noch gebunden sein mag, beginnt doch
sich in ihren Fesseln zu regen und die wachsende Gährung zu steigern. Es
fallen laute Demonstrationen vor. wie z. B. neulich, als der deutsche sieben¬
bürger Maager. der Vertheidiger der Nationalvertretung im Reichsrath, in
einem Kaffeehaus von den Gästen durch Aufstehen und dreimaliges Hoch be¬
grüßt wurde. Eine Demonstration ist auch das kecke Auftreten der Ungarn,
die zu Hunderten in ihrem kleidsamen Nationalcostüm erscheinen. Selbst er¬
graute Herrn sieht man in dem aufgeschlagenen Hlitchen, in der schwarzen
Schnürjacke mit Husarenstieseln und Sporen.

Tritt man gebildeten Oestreichern, die ein Herz und einen Blick für die
Zustände ihres Vaterlandes haben, naher, wie dies auf der Reise, wo man
oft Tage lang in derselben Gesellschaft verweilt, sich leicht ereignet, so kommen
bisweilen recht heftige Empfindungen und stürmende Gedanken zum Vorschein.
Eines ,se Allen gemeinsam, daß sie tief verstimmt sind und daß die politische
Lage Oestreichs ihnen als verzweifelt erscheint. Diese Stimmung findet sich
nicht nur in Wien, sondern auch in allen deutschen Provinzen, das „treue


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[0324] Beziehungen vortrugen. Ein gewisser Madras. dessen Name wochenlang in großen Lettern mit Fettschrift als Lockvogel ans den Anschlagszetteln stand, zeichnete sich in der That dnrch gewandtes Spiel und schlagen¬ den Witz aus. Die Unterhaltung währte bis Mitternacht, und die Gesell¬ schaft, die nicht müde ward, Beifall zu spenden, befand sich in der heitersten Stimmung. Uebrigens versichern alle, welche Wien vor zwanzig Jahren gekannt und jetzt wiedergesehen haben, daß der Prater und ähnliche Orte damals weit be¬ suchter und lustiger gewesen seien. Fragt man nach dem Grunde, so sagen die Wiener durch die Vermehrung und Verbesserung der Fahrgelegenheiten seien jetzt die Leute über eine größere Zahl von Orten ausgestreut. „Und dann, fügen sie seufzend hinzu, sind die Zeiten nicht mehr darnach angethan. Die Walzer werden noch ebenso schön gespielt; aber die Füße und — das Herz sind nicht mehr so leicht." Nichts ist natürlicher, als daß in einer so großen Stadt Tausende wie Kinder nur im Augenblicke leben, zumal da der Wiener und der Oestreicher im allgemeinen erst in der letzten Zeit angefangen hat, über das Regiment, unter dem er steht, und über die Lage, in welcher er sich in Folge dieses Regiments befindet, nachzudenken. Trotzdem kann es dem Schärferblickenden keinen Augenblick verborgen bleiben, daß das sonst so glatte Gesicht der guten Stadt Wien angefangen hat, recht tiefe Furchen zu bekommen. Was zu Metternichs Zeiten höchstens von Ohr zu Ohr geflüstert wurde, um den über¬ all aufhorchenden „Spitzeln" nicht ins Garn zu fallen, das wird jetzt laut und ungestraft, mitunter mit beißendem Spott, in den öffentlichen Lokalen be¬ sprochen. Die Presse, so hart sie auch noch gebunden sein mag, beginnt doch sich in ihren Fesseln zu regen und die wachsende Gährung zu steigern. Es fallen laute Demonstrationen vor. wie z. B. neulich, als der deutsche sieben¬ bürger Maager. der Vertheidiger der Nationalvertretung im Reichsrath, in einem Kaffeehaus von den Gästen durch Aufstehen und dreimaliges Hoch be¬ grüßt wurde. Eine Demonstration ist auch das kecke Auftreten der Ungarn, die zu Hunderten in ihrem kleidsamen Nationalcostüm erscheinen. Selbst er¬ graute Herrn sieht man in dem aufgeschlagenen Hlitchen, in der schwarzen Schnürjacke mit Husarenstieseln und Sporen. Tritt man gebildeten Oestreichern, die ein Herz und einen Blick für die Zustände ihres Vaterlandes haben, naher, wie dies auf der Reise, wo man oft Tage lang in derselben Gesellschaft verweilt, sich leicht ereignet, so kommen bisweilen recht heftige Empfindungen und stürmende Gedanken zum Vorschein. Eines ,se Allen gemeinsam, daß sie tief verstimmt sind und daß die politische Lage Oestreichs ihnen als verzweifelt erscheint. Diese Stimmung findet sich nicht nur in Wien, sondern auch in allen deutschen Provinzen, das „treue

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/324>, abgerufen am 15.01.2025.