Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

moralisch sei", wenn wir es nicht sind?" -- worin mein eine Anspielung
auf gewisse sehr hohe Sphären finden wollte.

Ter dritte Akt versetzt uns in Plutos Palast und die Unterwelt. Euri-
dice hat von ihrem Geliebten und Herrn einen seltsamen sauertöpfischen
Wächter erhalten, einen schmalen, laugen Menschen, hochroth von Kopf bis
zu Fuße -- wie eine Stange Siegellack. Dieser Kerl benutzt sein Zusammen¬
sein mit Frau Orpheus, um ihr Liebesanträge zu machen, wird aber von
einem schwirrenden Insekt unterbrochen, welches menschengrofi in stahlblauem,
schillerndem Panzer wie eine riesige Libelle hereinschwebt. Die Wasserjungfer
-- von Nestroy ganz meisterhaft gespielt -- ist der verkappte Jupiter, der
die Abwesenheit Plutos benutzen will, um Euridice für sich zu gewinnen. Er
ist auch nicht weit vom Ziel, als der Bruder unverhoffter Weise sich einstellt,
und den grauen Sünder in seinem Libellen-Habit zum Rückzüge nöthigt.

Der letzte Akt führt uns wieder in den Olymp zurück. Vulkan wirft
Jupiter, der wieder Moral predigt, seine bekannten hundert Liebeshandel und
Verwandlungen vor, und berichtet den Göttern zum Schlüsse dessen jüngste
Metamorphose. Diese lachen den alten Herrn, der zuletzt ganz kleinlaut wird,
im Chorus aus. Euridice wird Herrn Orpheus zurückgegeben, und Jupiter
sagt zuletzt: "Kinder, ein Jeder hat seine schwache Stunde. Wichtig ist es
nur, sich den guten Schein zu erhalten. Den Nimbus -- Nestroy sprach das
Wort ungefähr Randes aus -- den Randes muß man sich bewahren, wenn
man ein Gott ist; denn was ist ein Gott ohne Randes?"

Ich habe dies durchaus frivole, übrigens sehr komische Stück, soweit ich
mich dessen noch erinnere, hier erzählt, um einen Begriff von der Kost zu
geben, wie sie den Wienern vorgesetzt wird und der Mehrzahl von ihnen trefflich
mundet, und bemerke nur noch, daß auch die Stelle mit dem Nimbus offen¬
bar mit Beziehungen gesagt wurde, die sich hier nicht näher bezeichnen lassen.

Wer den Wiener Bürger in Behagen und Heiterkeit sehen will, der muß
den Wurstel-Prater durchwandern, oder die Gartenconcerte und Tanzmusiken
besuchen, wie sie beim spert in der Leopoldstndt, in Neu-Lerchenfeld aus
der Westseite Wiens, jenseits der Josephstadt, und an vielen andern Orten
stattfinden.

In Neu-Lerchenfeld, wo fast jedes Haus eine Wirthschaft ist, brachte, ich
ein paar Abendstunden zu. Fünf- bis sechshundert Menschen, meist dem
Bürgerstande angehörig -- doch war auch ein Tisch mit Offizieren besetzt --
speisten hier in einem großen Saale nach der Karte zu Nacht. Drum begann,
auf einer Bühne im Hintergründe, eine Reihe von Vorstellungen, bei denen
vier Personen in Thätigkeit waren, welche -- bald einzeln, bald zusammen¬
wirkend und theilweise unter Klavierbegleitung -- Lieder, Erzählungen und
dramatische Scenen meist komischen Inhalts und stark gewürzt mit lokalen


moralisch sei», wenn wir es nicht sind?" — worin mein eine Anspielung
auf gewisse sehr hohe Sphären finden wollte.

Ter dritte Akt versetzt uns in Plutos Palast und die Unterwelt. Euri-
dice hat von ihrem Geliebten und Herrn einen seltsamen sauertöpfischen
Wächter erhalten, einen schmalen, laugen Menschen, hochroth von Kopf bis
zu Fuße — wie eine Stange Siegellack. Dieser Kerl benutzt sein Zusammen¬
sein mit Frau Orpheus, um ihr Liebesanträge zu machen, wird aber von
einem schwirrenden Insekt unterbrochen, welches menschengrofi in stahlblauem,
schillerndem Panzer wie eine riesige Libelle hereinschwebt. Die Wasserjungfer
— von Nestroy ganz meisterhaft gespielt — ist der verkappte Jupiter, der
die Abwesenheit Plutos benutzen will, um Euridice für sich zu gewinnen. Er
ist auch nicht weit vom Ziel, als der Bruder unverhoffter Weise sich einstellt,
und den grauen Sünder in seinem Libellen-Habit zum Rückzüge nöthigt.

Der letzte Akt führt uns wieder in den Olymp zurück. Vulkan wirft
Jupiter, der wieder Moral predigt, seine bekannten hundert Liebeshandel und
Verwandlungen vor, und berichtet den Göttern zum Schlüsse dessen jüngste
Metamorphose. Diese lachen den alten Herrn, der zuletzt ganz kleinlaut wird,
im Chorus aus. Euridice wird Herrn Orpheus zurückgegeben, und Jupiter
sagt zuletzt: „Kinder, ein Jeder hat seine schwache Stunde. Wichtig ist es
nur, sich den guten Schein zu erhalten. Den Nimbus — Nestroy sprach das
Wort ungefähr Randes aus — den Randes muß man sich bewahren, wenn
man ein Gott ist; denn was ist ein Gott ohne Randes?"

Ich habe dies durchaus frivole, übrigens sehr komische Stück, soweit ich
mich dessen noch erinnere, hier erzählt, um einen Begriff von der Kost zu
geben, wie sie den Wienern vorgesetzt wird und der Mehrzahl von ihnen trefflich
mundet, und bemerke nur noch, daß auch die Stelle mit dem Nimbus offen¬
bar mit Beziehungen gesagt wurde, die sich hier nicht näher bezeichnen lassen.

Wer den Wiener Bürger in Behagen und Heiterkeit sehen will, der muß
den Wurstel-Prater durchwandern, oder die Gartenconcerte und Tanzmusiken
besuchen, wie sie beim spert in der Leopoldstndt, in Neu-Lerchenfeld aus
der Westseite Wiens, jenseits der Josephstadt, und an vielen andern Orten
stattfinden.

In Neu-Lerchenfeld, wo fast jedes Haus eine Wirthschaft ist, brachte, ich
ein paar Abendstunden zu. Fünf- bis sechshundert Menschen, meist dem
Bürgerstande angehörig — doch war auch ein Tisch mit Offizieren besetzt —
speisten hier in einem großen Saale nach der Karte zu Nacht. Drum begann,
auf einer Bühne im Hintergründe, eine Reihe von Vorstellungen, bei denen
vier Personen in Thätigkeit waren, welche — bald einzeln, bald zusammen¬
wirkend und theilweise unter Klavierbegleitung — Lieder, Erzählungen und
dramatische Scenen meist komischen Inhalts und stark gewürzt mit lokalen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0323" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/110671"/>
          <p xml:id="ID_938" prev="#ID_937"> moralisch sei», wenn wir es nicht sind?" &#x2014; worin mein eine Anspielung<lb/>
auf gewisse sehr hohe Sphären finden wollte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_939"> Ter dritte Akt versetzt uns in Plutos Palast und die Unterwelt. Euri-<lb/>
dice hat von ihrem Geliebten und Herrn einen seltsamen sauertöpfischen<lb/>
Wächter erhalten, einen schmalen, laugen Menschen, hochroth von Kopf bis<lb/>
zu Fuße &#x2014; wie eine Stange Siegellack. Dieser Kerl benutzt sein Zusammen¬<lb/>
sein mit Frau Orpheus, um ihr Liebesanträge zu machen, wird aber von<lb/>
einem schwirrenden Insekt unterbrochen, welches menschengrofi in stahlblauem,<lb/>
schillerndem Panzer wie eine riesige Libelle hereinschwebt. Die Wasserjungfer<lb/>
&#x2014; von Nestroy ganz meisterhaft gespielt &#x2014; ist der verkappte Jupiter, der<lb/>
die Abwesenheit Plutos benutzen will, um Euridice für sich zu gewinnen. Er<lb/>
ist auch nicht weit vom Ziel, als der Bruder unverhoffter Weise sich einstellt,<lb/>
und den grauen Sünder in seinem Libellen-Habit zum Rückzüge nöthigt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_940"> Der letzte Akt führt uns wieder in den Olymp zurück. Vulkan wirft<lb/>
Jupiter, der wieder Moral predigt, seine bekannten hundert Liebeshandel und<lb/>
Verwandlungen vor, und berichtet den Göttern zum Schlüsse dessen jüngste<lb/>
Metamorphose. Diese lachen den alten Herrn, der zuletzt ganz kleinlaut wird,<lb/>
im Chorus aus. Euridice wird Herrn Orpheus zurückgegeben, und Jupiter<lb/>
sagt zuletzt: &#x201E;Kinder, ein Jeder hat seine schwache Stunde. Wichtig ist es<lb/>
nur, sich den guten Schein zu erhalten. Den Nimbus &#x2014; Nestroy sprach das<lb/>
Wort ungefähr Randes aus &#x2014; den Randes muß man sich bewahren, wenn<lb/>
man ein Gott ist; denn was ist ein Gott ohne Randes?"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_941"> Ich habe dies durchaus frivole, übrigens sehr komische Stück, soweit ich<lb/>
mich dessen noch erinnere, hier erzählt, um einen Begriff von der Kost zu<lb/>
geben, wie sie den Wienern vorgesetzt wird und der Mehrzahl von ihnen trefflich<lb/>
mundet, und bemerke nur noch, daß auch die Stelle mit dem Nimbus offen¬<lb/>
bar mit Beziehungen gesagt wurde, die sich hier nicht näher bezeichnen lassen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_942"> Wer den Wiener Bürger in Behagen und Heiterkeit sehen will, der muß<lb/>
den Wurstel-Prater durchwandern, oder die Gartenconcerte und Tanzmusiken<lb/>
besuchen, wie sie beim spert in der Leopoldstndt, in Neu-Lerchenfeld aus<lb/>
der Westseite Wiens, jenseits der Josephstadt, und an vielen andern Orten<lb/>
stattfinden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_943" next="#ID_944"> In Neu-Lerchenfeld, wo fast jedes Haus eine Wirthschaft ist, brachte, ich<lb/>
ein paar Abendstunden zu. Fünf- bis sechshundert Menschen, meist dem<lb/>
Bürgerstande angehörig &#x2014; doch war auch ein Tisch mit Offizieren besetzt &#x2014;<lb/>
speisten hier in einem großen Saale nach der Karte zu Nacht. Drum begann,<lb/>
auf einer Bühne im Hintergründe, eine Reihe von Vorstellungen, bei denen<lb/>
vier Personen in Thätigkeit waren, welche &#x2014; bald einzeln, bald zusammen¬<lb/>
wirkend und theilweise unter Klavierbegleitung &#x2014; Lieder, Erzählungen und<lb/>
dramatische Scenen meist komischen Inhalts und stark gewürzt mit lokalen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0323] moralisch sei», wenn wir es nicht sind?" — worin mein eine Anspielung auf gewisse sehr hohe Sphären finden wollte. Ter dritte Akt versetzt uns in Plutos Palast und die Unterwelt. Euri- dice hat von ihrem Geliebten und Herrn einen seltsamen sauertöpfischen Wächter erhalten, einen schmalen, laugen Menschen, hochroth von Kopf bis zu Fuße — wie eine Stange Siegellack. Dieser Kerl benutzt sein Zusammen¬ sein mit Frau Orpheus, um ihr Liebesanträge zu machen, wird aber von einem schwirrenden Insekt unterbrochen, welches menschengrofi in stahlblauem, schillerndem Panzer wie eine riesige Libelle hereinschwebt. Die Wasserjungfer — von Nestroy ganz meisterhaft gespielt — ist der verkappte Jupiter, der die Abwesenheit Plutos benutzen will, um Euridice für sich zu gewinnen. Er ist auch nicht weit vom Ziel, als der Bruder unverhoffter Weise sich einstellt, und den grauen Sünder in seinem Libellen-Habit zum Rückzüge nöthigt. Der letzte Akt führt uns wieder in den Olymp zurück. Vulkan wirft Jupiter, der wieder Moral predigt, seine bekannten hundert Liebeshandel und Verwandlungen vor, und berichtet den Göttern zum Schlüsse dessen jüngste Metamorphose. Diese lachen den alten Herrn, der zuletzt ganz kleinlaut wird, im Chorus aus. Euridice wird Herrn Orpheus zurückgegeben, und Jupiter sagt zuletzt: „Kinder, ein Jeder hat seine schwache Stunde. Wichtig ist es nur, sich den guten Schein zu erhalten. Den Nimbus — Nestroy sprach das Wort ungefähr Randes aus — den Randes muß man sich bewahren, wenn man ein Gott ist; denn was ist ein Gott ohne Randes?" Ich habe dies durchaus frivole, übrigens sehr komische Stück, soweit ich mich dessen noch erinnere, hier erzählt, um einen Begriff von der Kost zu geben, wie sie den Wienern vorgesetzt wird und der Mehrzahl von ihnen trefflich mundet, und bemerke nur noch, daß auch die Stelle mit dem Nimbus offen¬ bar mit Beziehungen gesagt wurde, die sich hier nicht näher bezeichnen lassen. Wer den Wiener Bürger in Behagen und Heiterkeit sehen will, der muß den Wurstel-Prater durchwandern, oder die Gartenconcerte und Tanzmusiken besuchen, wie sie beim spert in der Leopoldstndt, in Neu-Lerchenfeld aus der Westseite Wiens, jenseits der Josephstadt, und an vielen andern Orten stattfinden. In Neu-Lerchenfeld, wo fast jedes Haus eine Wirthschaft ist, brachte, ich ein paar Abendstunden zu. Fünf- bis sechshundert Menschen, meist dem Bürgerstande angehörig — doch war auch ein Tisch mit Offizieren besetzt — speisten hier in einem großen Saale nach der Karte zu Nacht. Drum begann, auf einer Bühne im Hintergründe, eine Reihe von Vorstellungen, bei denen vier Personen in Thätigkeit waren, welche — bald einzeln, bald zusammen¬ wirkend und theilweise unter Klavierbegleitung — Lieder, Erzählungen und dramatische Scenen meist komischen Inhalts und stark gewürzt mit lokalen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/323
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/323>, abgerufen am 16.01.2025.