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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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Tyrol" mit eingeschlossen, wo man die Leute ganz laut sagen hört, Hofer
und die anderen Märtyrer und Helden von 1809 seien Narren gewesen; unter
bayrischen Regiment hätte man jetzt Volksvertretung, Friede und Silbergeld.
Ebenso denken viele Gnlizier, sehr viele Böhmen, ebenso die kräftigen Ungarn,
von dein allbekannten grimmigen Haß der Venetianer gar nicht zu reden.

Von einer deutsch-nationalen Gesinnung bei den Deutsch-'Oestreichern
kann, wie die Sachen jetzt liegen, nicht die Rede sein. Jeder Staat ist sich
selbst der nächste, und da Oestreichs Größe und Herrlichkeit auf das bunte
Völkergemisch, das dem Doppeladler untergeordnet ist, sich gründet: so sinnt
man nur auf Mittel, dies wunderliche Konglomerat, das sich zu lösen beginnt
und sich zum Theil schon gelöst hat, so weit als möglich zusammenzuhalten.

Es ist am Ende nur natürlich, daß Oestreich östreichische Politik macht
und Deutschland nur als Mittel braucht, um sich selbst vor dem Sturze zu
bewahren; allein es ist ebenso natürlich und vernünftig, daß Deutschland
endlich deutsche Politik mache und sich hüte, in thörichter Dienstfertigkeit
sich von Habsburg mit in den Abgrund reißen zu lassen.

Aus den Oestreichern. denen ich auf meiner Reise näher trat, hebe ich
drei heraus: eine" Gutsbesitzer, einen Touristen und einen Studente".*) Der
Gutsbesitzer, ein sehr wohlhabender Mann in reiferen Jahren und von durch¬
aus gediegnem Wesen, äußerte sich in den bittersten Klagen über die Geld-
verhältnisse. über den Ruin der Finanzen, die Monopolisirung der wichtigsten
Produkte, den Mangel an Abfluß werthvoller Landeserzeugnisse, die hundert¬
fältige Hemmung der Industrie, kurz: über eine Verwaltung, die nicht das
Wohl des Ganzen, sonder" den Vortheil Einzelner auf Kosten des Landes
vor Augen habe. "Was brauche ich, sagte er, Ihnen, einem Ausländer, viel
von diesen Dingen zu reden? Ihre Zeitungen draußen im Reich sind ja voll
davon. Elende Finanzen, wachsende Schuld, werthloses Papier, Zwangscurs
und Staatsbankrott sind bekanntlich hergebrachte Erscheinungen dei uns. Daß
un" aber diese Krankheit sich in Oestreich chronisch fortschleppt und, während
andre Staaten ihren durch Unfälle gestörte" Haushalt geordnet haben, immer
bösartiger wird, beweist die gänzliche Zerrüttung des Organismus. Sie könn¬
ten mir sagen: Papier ist Geld, wenn Vertrauen darauf ruht. Ja wohl!
Auch andre Staaten haben Papiergeld in Menge geschaffen, aber nur so weil
U,r Credit es ihnen gestattete. Sie sind offen und redlich dabei verfahre";
die Finanzbehördt" haben den Kammern die schuldige Rechenschaft abgelegt
und ihnen genügende Einsicht in das Soll und Haben des Staats gewährt.



D, Red.
") Wir lassen diese drei Herrn hier sprechen, nicht weil wir ihnen in allen ihren Be¬
fürchtungen und Erwartungen beistimmten, sondern weil wir zu wissen glauben, daß na¬
mentlich die beiden ersten allerdings die Ansichten weiter Kreise in Oestreich referiren,
Grenzboten IV. 1L60.40

Tyrol" mit eingeschlossen, wo man die Leute ganz laut sagen hört, Hofer
und die anderen Märtyrer und Helden von 1809 seien Narren gewesen; unter
bayrischen Regiment hätte man jetzt Volksvertretung, Friede und Silbergeld.
Ebenso denken viele Gnlizier, sehr viele Böhmen, ebenso die kräftigen Ungarn,
von dein allbekannten grimmigen Haß der Venetianer gar nicht zu reden.

Von einer deutsch-nationalen Gesinnung bei den Deutsch-'Oestreichern
kann, wie die Sachen jetzt liegen, nicht die Rede sein. Jeder Staat ist sich
selbst der nächste, und da Oestreichs Größe und Herrlichkeit auf das bunte
Völkergemisch, das dem Doppeladler untergeordnet ist, sich gründet: so sinnt
man nur auf Mittel, dies wunderliche Konglomerat, das sich zu lösen beginnt
und sich zum Theil schon gelöst hat, so weit als möglich zusammenzuhalten.

Es ist am Ende nur natürlich, daß Oestreich östreichische Politik macht
und Deutschland nur als Mittel braucht, um sich selbst vor dem Sturze zu
bewahren; allein es ist ebenso natürlich und vernünftig, daß Deutschland
endlich deutsche Politik mache und sich hüte, in thörichter Dienstfertigkeit
sich von Habsburg mit in den Abgrund reißen zu lassen.

Aus den Oestreichern. denen ich auf meiner Reise näher trat, hebe ich
drei heraus: eine» Gutsbesitzer, einen Touristen und einen Studente».*) Der
Gutsbesitzer, ein sehr wohlhabender Mann in reiferen Jahren und von durch¬
aus gediegnem Wesen, äußerte sich in den bittersten Klagen über die Geld-
verhältnisse. über den Ruin der Finanzen, die Monopolisirung der wichtigsten
Produkte, den Mangel an Abfluß werthvoller Landeserzeugnisse, die hundert¬
fältige Hemmung der Industrie, kurz: über eine Verwaltung, die nicht das
Wohl des Ganzen, sonder» den Vortheil Einzelner auf Kosten des Landes
vor Augen habe. „Was brauche ich, sagte er, Ihnen, einem Ausländer, viel
von diesen Dingen zu reden? Ihre Zeitungen draußen im Reich sind ja voll
davon. Elende Finanzen, wachsende Schuld, werthloses Papier, Zwangscurs
und Staatsbankrott sind bekanntlich hergebrachte Erscheinungen dei uns. Daß
un» aber diese Krankheit sich in Oestreich chronisch fortschleppt und, während
andre Staaten ihren durch Unfälle gestörte» Haushalt geordnet haben, immer
bösartiger wird, beweist die gänzliche Zerrüttung des Organismus. Sie könn¬
ten mir sagen: Papier ist Geld, wenn Vertrauen darauf ruht. Ja wohl!
Auch andre Staaten haben Papiergeld in Menge geschaffen, aber nur so weil
U,r Credit es ihnen gestattete. Sie sind offen und redlich dabei verfahre»;
die Finanzbehördt» haben den Kammern die schuldige Rechenschaft abgelegt
und ihnen genügende Einsicht in das Soll und Haben des Staats gewährt.



D, Red.
") Wir lassen diese drei Herrn hier sprechen, nicht weil wir ihnen in allen ihren Be¬
fürchtungen und Erwartungen beistimmten, sondern weil wir zu wissen glauben, daß na¬
mentlich die beiden ersten allerdings die Ansichten weiter Kreise in Oestreich referiren,
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[0325] Tyrol" mit eingeschlossen, wo man die Leute ganz laut sagen hört, Hofer und die anderen Märtyrer und Helden von 1809 seien Narren gewesen; unter bayrischen Regiment hätte man jetzt Volksvertretung, Friede und Silbergeld. Ebenso denken viele Gnlizier, sehr viele Böhmen, ebenso die kräftigen Ungarn, von dein allbekannten grimmigen Haß der Venetianer gar nicht zu reden. Von einer deutsch-nationalen Gesinnung bei den Deutsch-'Oestreichern kann, wie die Sachen jetzt liegen, nicht die Rede sein. Jeder Staat ist sich selbst der nächste, und da Oestreichs Größe und Herrlichkeit auf das bunte Völkergemisch, das dem Doppeladler untergeordnet ist, sich gründet: so sinnt man nur auf Mittel, dies wunderliche Konglomerat, das sich zu lösen beginnt und sich zum Theil schon gelöst hat, so weit als möglich zusammenzuhalten. Es ist am Ende nur natürlich, daß Oestreich östreichische Politik macht und Deutschland nur als Mittel braucht, um sich selbst vor dem Sturze zu bewahren; allein es ist ebenso natürlich und vernünftig, daß Deutschland endlich deutsche Politik mache und sich hüte, in thörichter Dienstfertigkeit sich von Habsburg mit in den Abgrund reißen zu lassen. Aus den Oestreichern. denen ich auf meiner Reise näher trat, hebe ich drei heraus: eine» Gutsbesitzer, einen Touristen und einen Studente».*) Der Gutsbesitzer, ein sehr wohlhabender Mann in reiferen Jahren und von durch¬ aus gediegnem Wesen, äußerte sich in den bittersten Klagen über die Geld- verhältnisse. über den Ruin der Finanzen, die Monopolisirung der wichtigsten Produkte, den Mangel an Abfluß werthvoller Landeserzeugnisse, die hundert¬ fältige Hemmung der Industrie, kurz: über eine Verwaltung, die nicht das Wohl des Ganzen, sonder» den Vortheil Einzelner auf Kosten des Landes vor Augen habe. „Was brauche ich, sagte er, Ihnen, einem Ausländer, viel von diesen Dingen zu reden? Ihre Zeitungen draußen im Reich sind ja voll davon. Elende Finanzen, wachsende Schuld, werthloses Papier, Zwangscurs und Staatsbankrott sind bekanntlich hergebrachte Erscheinungen dei uns. Daß un» aber diese Krankheit sich in Oestreich chronisch fortschleppt und, während andre Staaten ihren durch Unfälle gestörte» Haushalt geordnet haben, immer bösartiger wird, beweist die gänzliche Zerrüttung des Organismus. Sie könn¬ ten mir sagen: Papier ist Geld, wenn Vertrauen darauf ruht. Ja wohl! Auch andre Staaten haben Papiergeld in Menge geschaffen, aber nur so weil U,r Credit es ihnen gestattete. Sie sind offen und redlich dabei verfahre»; die Finanzbehördt» haben den Kammern die schuldige Rechenschaft abgelegt und ihnen genügende Einsicht in das Soll und Haben des Staats gewährt. D, Red. ") Wir lassen diese drei Herrn hier sprechen, nicht weil wir ihnen in allen ihren Be¬ fürchtungen und Erwartungen beistimmten, sondern weil wir zu wissen glauben, daß na¬ mentlich die beiden ersten allerdings die Ansichten weiter Kreise in Oestreich referiren, Grenzboten IV. 1L60.40

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/325>, abgerufen am 16.01.2025.