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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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guter nicht durch deren Ausdehnung und nicht durch die Güte des Bodens,
sondern durch die Zahl der auf denselben lebenden Bauern bestimmt wird.

Ungemein viel sodann haben die Christen in der Provinz von der primi¬
tiven Praxis zu leiden, nach welcher die Soldaten des Sultans da, wo keine
Kasernen sind, durchaus auf Kosten der Gegenden leben, welche sie durchziehen.
Das Militär ist unregelmäßig besoldet, die Verpflcgnngsanstalten sind, die in den
Hauptstädten ausgenommen, schlecht. Die Bataillone und Schwadronen müs¬
sen in der Regel selbst sehen, wie sie zu Nahrung und Kleidung kommen, und
gleicht unter so bewandten Umständen ein Heereszug gewöhnlich einer feind¬
lichen Invasion, so leiden natürlich die Christen in den betreffenden Strichen
am meisten, da von mohammedanischen Soldaten nicht erwartet werden kann,
daß sie sich in gleicher Weise an ihre Glaubensgenossen wie an die Gjaurs
halten. Christliche Häuser und Dörfer sehen nach solchen Zügen Trümmcr-
stättcn ähnlicher als bewohnten Orten. Damit hängt zusammen, daß die
Baschibosnks, die als Landgendarmerie dienen, ausschließlich zu Christen ins
Quartier gelegt werden, und daß Couriere, fremde Reisende, die ein Teskcreh
oder einen Fernau haben, und Regierungsbeamte, wenn sie auf ihren Sen¬
dungen auf dem platten Lande übernachten müssen, stets auf Kosten von
Christen untergebracht werden. Von einer Entschädigung dafür ist selbst¬
verständlich niemals die Rede..

Der mächtige Schutz, dessen sich die römisch-katholischen und die Gemeinden
der orthodoxen Kirche erfreuen, hält die Unduldsamkeit der Moslemin von
Verletzungen und Schändungen der gottesdienstlichen Gebäude ihrer christlichen
Nachbarn ab. Aber die Ereignisse in Damaskus und dem Libanon haben
gezeigt, wie wenig dieser Schutz für das Innere ausreicht. Nur die religiöse
Unduldsamkeit des Volkes nöthigt die Negierung, von einer Einreihung der
Christen in das Heer abzusehen. Die Pforte legt den christlichen Missionären
nichts in den Weg, sie sieht es gern, daß die katholische wie die protestantische
Kirche unter Griechen und Armeniern Seelen zu erobern sucht, da die Neben¬
buhlerschaft der christlichen Secten eine Ursache der Schwäche für diese und
der Stärke für die Negierung ist. Mohammedaner werden selten bekehrt,
hanptsiichlich deshalb, weil der Koran auf Abtrünnigkeit den Tod setzte, eine
Strafe, die noch 1853 in Adrianopel an einem zum Christenthum über¬
getretenen Türken vollzogen wurde, jetzt aber der Praxis gewichen zu sei"
scheint, die Schuldigen einznkerkern oder zu verbannen. Fast ebenso selten
kommen gewaltsame Bekehrungen christlicher Männer zum Islam vor, da sie zu
viel Aufsehen machen und die Einsprache der Gesandtschaften hervorrufen
würden. Sehr häusig dagegen sind Entführungen christlicher Mädchen, ja
dieselben werden von den Behörden vieler Districte sogar dnrch allerlei Mittel
begünstigt. In Albanien pflegt man die Entführer bei der Besetzung von


guter nicht durch deren Ausdehnung und nicht durch die Güte des Bodens,
sondern durch die Zahl der auf denselben lebenden Bauern bestimmt wird.

Ungemein viel sodann haben die Christen in der Provinz von der primi¬
tiven Praxis zu leiden, nach welcher die Soldaten des Sultans da, wo keine
Kasernen sind, durchaus auf Kosten der Gegenden leben, welche sie durchziehen.
Das Militär ist unregelmäßig besoldet, die Verpflcgnngsanstalten sind, die in den
Hauptstädten ausgenommen, schlecht. Die Bataillone und Schwadronen müs¬
sen in der Regel selbst sehen, wie sie zu Nahrung und Kleidung kommen, und
gleicht unter so bewandten Umständen ein Heereszug gewöhnlich einer feind¬
lichen Invasion, so leiden natürlich die Christen in den betreffenden Strichen
am meisten, da von mohammedanischen Soldaten nicht erwartet werden kann,
daß sie sich in gleicher Weise an ihre Glaubensgenossen wie an die Gjaurs
halten. Christliche Häuser und Dörfer sehen nach solchen Zügen Trümmcr-
stättcn ähnlicher als bewohnten Orten. Damit hängt zusammen, daß die
Baschibosnks, die als Landgendarmerie dienen, ausschließlich zu Christen ins
Quartier gelegt werden, und daß Couriere, fremde Reisende, die ein Teskcreh
oder einen Fernau haben, und Regierungsbeamte, wenn sie auf ihren Sen¬
dungen auf dem platten Lande übernachten müssen, stets auf Kosten von
Christen untergebracht werden. Von einer Entschädigung dafür ist selbst¬
verständlich niemals die Rede..

Der mächtige Schutz, dessen sich die römisch-katholischen und die Gemeinden
der orthodoxen Kirche erfreuen, hält die Unduldsamkeit der Moslemin von
Verletzungen und Schändungen der gottesdienstlichen Gebäude ihrer christlichen
Nachbarn ab. Aber die Ereignisse in Damaskus und dem Libanon haben
gezeigt, wie wenig dieser Schutz für das Innere ausreicht. Nur die religiöse
Unduldsamkeit des Volkes nöthigt die Negierung, von einer Einreihung der
Christen in das Heer abzusehen. Die Pforte legt den christlichen Missionären
nichts in den Weg, sie sieht es gern, daß die katholische wie die protestantische
Kirche unter Griechen und Armeniern Seelen zu erobern sucht, da die Neben¬
buhlerschaft der christlichen Secten eine Ursache der Schwäche für diese und
der Stärke für die Negierung ist. Mohammedaner werden selten bekehrt,
hanptsiichlich deshalb, weil der Koran auf Abtrünnigkeit den Tod setzte, eine
Strafe, die noch 1853 in Adrianopel an einem zum Christenthum über¬
getretenen Türken vollzogen wurde, jetzt aber der Praxis gewichen zu sei»
scheint, die Schuldigen einznkerkern oder zu verbannen. Fast ebenso selten
kommen gewaltsame Bekehrungen christlicher Männer zum Islam vor, da sie zu
viel Aufsehen machen und die Einsprache der Gesandtschaften hervorrufen
würden. Sehr häusig dagegen sind Entführungen christlicher Mädchen, ja
dieselben werden von den Behörden vieler Districte sogar dnrch allerlei Mittel
begünstigt. In Albanien pflegt man die Entführer bei der Besetzung von


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/300>, abgerufen am 15.01.2025.