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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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Höfe. In der Türkei werden alle öffentlichen Geschäfte durch Kollegien oder
Rathsversammlungen (Medschlis) abgemacht. Es gibt Medschlis für die ein¬
zelnen Städte und Dörfer, für die einzelnen Bezirke, für die einzelnen Pro¬
vinzenMedschlis für die verschiedenen Geschäftszweige, für Criminal- und'
Handelssachen u. s. w. Nun aber sind diese Kollegien in allen Orten, wo
Moslemin und Christen zusammen wohnen, immer so zusammengesetzt, daß
die Mehrheit der Mitglieder aus Mohammedanern besteht, die ihre Vorurtheile
und Vortheile vertreten und ihren privaten Neigungen gemäß Recht sprechen,
ohne persönlich dafür verantwortlich zu sein. Die christlichen Beisitzer sind in
der Regel bloße Ziffern. Sie lassen sich entweder gleich den übrigen bestechen
oder werden von diesen überstimmt.

Ein anderer Grund zur Klage liegt in der Art der Besteuerung. Bedarf
der Finanzminister eine Summe, dre nicht in der Kasse ist, so ersucht er einen
der Kapitalisten in Konstantinopel darum, indem er ihm als Mittel der Rück¬
zahlung die Erhebung der Steuern in der oder jener Provinz auf einige Zeit
zugesteht. Der Kapitalist will aber nicht blos sein Geld, sondern zugleich die
höchsten Zinsen, bis zu zwanzig, ja dreißig Procent, die Gehalte für seine
Einnehmer und die Geschenke erstattet haben, welche er den Paschas und den
Vaschchatibs für die Hülfe zu entrichten hat, die er bei dem Geschäft bedarf.
Zöge die Regierung des Sultans die Steuern auf die in civilistrten Ländern
übliche Weise ein, so würden sich die Kosten im schlimmsten Fall auf ein
Drittel der zu erhebenden Summe belaufen (in England betragen sie nur 8,
in Frankreich 14, selbst in dem nachlässig und nach Gunst verwalteten Kirchen¬
staat nicht mehr als 31 Procent); bei dem in der Türkei beliebten System
dagegen müssen, um eine Million Piaster in den Staatsschatz zu bekommen,
den Steuerpflichtigen mindestens zwei, bisweilen drei Millionen abgepreßt
werden. Läge diese Last auf allen in gleicher Vertheilung, so gehörte die
Thatsache nicht in unsern Zusammenhang. So aber ist das Eigenthum der
Christen gewöhnlich um ein Drittel höher geschätzt, als das der Moslemin,
und bei der Zusammensetzung der Medschlis ist um eine Abhülfe dieses Mi߬
standes nicht zu denken. Beklage man sich, wie in den letzten Jahren von
Bosnien aus wiederholt geschah, in Konstantinopel, so läuft man Gefahr,
von den Unterbehörden dafür gestraft zu werden. Gerechtigkeit wird dadurch
nicht erlangt.

Ferner begünstigen in mehrern Districten, namentlich in den ackerbauenden
die Medschlis eine Art Trucksystem in Bezug auf das Verhältniß mohamme¬
danischer Landeigenthümer zu der christlichen Bauernschaft, welche letztere da-,
durch in Zustände gerathen ist, die sich von der Sclaverei nicht mehr unter¬
scheiden, als die Leibeigenschaft in Rußland. Wenigstens kommt es ganz wie
hier auch in der Türkei in manchen Gegenden vor, daß der Preis der Land-


Höfe. In der Türkei werden alle öffentlichen Geschäfte durch Kollegien oder
Rathsversammlungen (Medschlis) abgemacht. Es gibt Medschlis für die ein¬
zelnen Städte und Dörfer, für die einzelnen Bezirke, für die einzelnen Pro¬
vinzenMedschlis für die verschiedenen Geschäftszweige, für Criminal- und'
Handelssachen u. s. w. Nun aber sind diese Kollegien in allen Orten, wo
Moslemin und Christen zusammen wohnen, immer so zusammengesetzt, daß
die Mehrheit der Mitglieder aus Mohammedanern besteht, die ihre Vorurtheile
und Vortheile vertreten und ihren privaten Neigungen gemäß Recht sprechen,
ohne persönlich dafür verantwortlich zu sein. Die christlichen Beisitzer sind in
der Regel bloße Ziffern. Sie lassen sich entweder gleich den übrigen bestechen
oder werden von diesen überstimmt.

Ein anderer Grund zur Klage liegt in der Art der Besteuerung. Bedarf
der Finanzminister eine Summe, dre nicht in der Kasse ist, so ersucht er einen
der Kapitalisten in Konstantinopel darum, indem er ihm als Mittel der Rück¬
zahlung die Erhebung der Steuern in der oder jener Provinz auf einige Zeit
zugesteht. Der Kapitalist will aber nicht blos sein Geld, sondern zugleich die
höchsten Zinsen, bis zu zwanzig, ja dreißig Procent, die Gehalte für seine
Einnehmer und die Geschenke erstattet haben, welche er den Paschas und den
Vaschchatibs für die Hülfe zu entrichten hat, die er bei dem Geschäft bedarf.
Zöge die Regierung des Sultans die Steuern auf die in civilistrten Ländern
übliche Weise ein, so würden sich die Kosten im schlimmsten Fall auf ein
Drittel der zu erhebenden Summe belaufen (in England betragen sie nur 8,
in Frankreich 14, selbst in dem nachlässig und nach Gunst verwalteten Kirchen¬
staat nicht mehr als 31 Procent); bei dem in der Türkei beliebten System
dagegen müssen, um eine Million Piaster in den Staatsschatz zu bekommen,
den Steuerpflichtigen mindestens zwei, bisweilen drei Millionen abgepreßt
werden. Läge diese Last auf allen in gleicher Vertheilung, so gehörte die
Thatsache nicht in unsern Zusammenhang. So aber ist das Eigenthum der
Christen gewöhnlich um ein Drittel höher geschätzt, als das der Moslemin,
und bei der Zusammensetzung der Medschlis ist um eine Abhülfe dieses Mi߬
standes nicht zu denken. Beklage man sich, wie in den letzten Jahren von
Bosnien aus wiederholt geschah, in Konstantinopel, so läuft man Gefahr,
von den Unterbehörden dafür gestraft zu werden. Gerechtigkeit wird dadurch
nicht erlangt.

Ferner begünstigen in mehrern Districten, namentlich in den ackerbauenden
die Medschlis eine Art Trucksystem in Bezug auf das Verhältniß mohamme¬
danischer Landeigenthümer zu der christlichen Bauernschaft, welche letztere da-,
durch in Zustände gerathen ist, die sich von der Sclaverei nicht mehr unter¬
scheiden, als die Leibeigenschaft in Rußland. Wenigstens kommt es ganz wie
hier auch in der Türkei in manchen Gegenden vor, daß der Preis der Land-


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[0299] Höfe. In der Türkei werden alle öffentlichen Geschäfte durch Kollegien oder Rathsversammlungen (Medschlis) abgemacht. Es gibt Medschlis für die ein¬ zelnen Städte und Dörfer, für die einzelnen Bezirke, für die einzelnen Pro¬ vinzenMedschlis für die verschiedenen Geschäftszweige, für Criminal- und' Handelssachen u. s. w. Nun aber sind diese Kollegien in allen Orten, wo Moslemin und Christen zusammen wohnen, immer so zusammengesetzt, daß die Mehrheit der Mitglieder aus Mohammedanern besteht, die ihre Vorurtheile und Vortheile vertreten und ihren privaten Neigungen gemäß Recht sprechen, ohne persönlich dafür verantwortlich zu sein. Die christlichen Beisitzer sind in der Regel bloße Ziffern. Sie lassen sich entweder gleich den übrigen bestechen oder werden von diesen überstimmt. Ein anderer Grund zur Klage liegt in der Art der Besteuerung. Bedarf der Finanzminister eine Summe, dre nicht in der Kasse ist, so ersucht er einen der Kapitalisten in Konstantinopel darum, indem er ihm als Mittel der Rück¬ zahlung die Erhebung der Steuern in der oder jener Provinz auf einige Zeit zugesteht. Der Kapitalist will aber nicht blos sein Geld, sondern zugleich die höchsten Zinsen, bis zu zwanzig, ja dreißig Procent, die Gehalte für seine Einnehmer und die Geschenke erstattet haben, welche er den Paschas und den Vaschchatibs für die Hülfe zu entrichten hat, die er bei dem Geschäft bedarf. Zöge die Regierung des Sultans die Steuern auf die in civilistrten Ländern übliche Weise ein, so würden sich die Kosten im schlimmsten Fall auf ein Drittel der zu erhebenden Summe belaufen (in England betragen sie nur 8, in Frankreich 14, selbst in dem nachlässig und nach Gunst verwalteten Kirchen¬ staat nicht mehr als 31 Procent); bei dem in der Türkei beliebten System dagegen müssen, um eine Million Piaster in den Staatsschatz zu bekommen, den Steuerpflichtigen mindestens zwei, bisweilen drei Millionen abgepreßt werden. Läge diese Last auf allen in gleicher Vertheilung, so gehörte die Thatsache nicht in unsern Zusammenhang. So aber ist das Eigenthum der Christen gewöhnlich um ein Drittel höher geschätzt, als das der Moslemin, und bei der Zusammensetzung der Medschlis ist um eine Abhülfe dieses Mi߬ standes nicht zu denken. Beklage man sich, wie in den letzten Jahren von Bosnien aus wiederholt geschah, in Konstantinopel, so läuft man Gefahr, von den Unterbehörden dafür gestraft zu werden. Gerechtigkeit wird dadurch nicht erlangt. Ferner begünstigen in mehrern Districten, namentlich in den ackerbauenden die Medschlis eine Art Trucksystem in Bezug auf das Verhältniß mohamme¬ danischer Landeigenthümer zu der christlichen Bauernschaft, welche letztere da-, durch in Zustände gerathen ist, die sich von der Sclaverei nicht mehr unter¬ scheiden, als die Leibeigenschaft in Rußland. Wenigstens kommt es ganz wie hier auch in der Türkei in manchen Gegenden vor, daß der Preis der Land-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/299>, abgerufen am 15.01.2025.