Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.feigen. welches ein brauchbarer Bundesgenosse gegen Oestreich sein würde. Wir kommen zu der Reise des Großwessirs in der europäischen Türkei, Das türkische Reich bedürfte vor Allem eines guten Gesetzbuches. Der feigen. welches ein brauchbarer Bundesgenosse gegen Oestreich sein würde. Wir kommen zu der Reise des Großwessirs in der europäischen Türkei, Das türkische Reich bedürfte vor Allem eines guten Gesetzbuches. Der <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0298" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/110646"/> <p xml:id="ID_860" prev="#ID_859"> feigen. welches ein brauchbarer Bundesgenosse gegen Oestreich sein würde.<lb/> Läßt man die Herrschaft der Psorte in Syrien bestehen, so wird man anch<lb/> das Verbleiben der Franzosen im Libanon gestatten müssen, gegen das Rußland<lb/> nichts einwenden wird, Oestreich nichts einwenden kann. Es würde, dünkt uns,<lb/> gut gewesen sein, wenn auch England Truppen nach Beirut oder Akko gesandt<lb/> hätte, aber es scheint, daß die britische Regierung wie die britischen Kaufleute<lb/> diesen Theil des ottomanischen Reiches gänzlich dem französischen Unterneh¬<lb/> mungsgeist überlassen wollen.</p><lb/> <p xml:id="ID_861"> Wir kommen zu der Reise des Großwessirs in der europäischen Türkei,<lb/> wobei wir einem Artikel in „Macmillcms Magazine" (Oktobcrheft d. I.) aus¬<lb/> zugsweise folgen. Die Lage der christlichen Unterthanen des Sultans hat sich<lb/> in den letzten Jahren in manchen Beziehungen verbessert. Die Kopfsteuer ist<lb/> abgeschafft worden. Sie sind nicht mehr genöthigt, gleich den Juden des deutschen<lb/> Mittelalters zum Unterschied von den Rechtgläubigen eine besondre Tracht: schwarze<lb/> oder dunkelblaue Turbane zu tragen. Wie der fränkische Hut nicht mehr dem türki¬<lb/> schen und arabischen Städtcpöbcl als Zielscheibe von Kothwürfen dient, den Christen<lb/> nicht mehr nur auf Eseln, sondern auch aus Pferden zu reiten gestattet ist, so sind<lb/> auch andere Beschränkungen, Herabwürdigungen und Plackereien dieser Art außer<lb/> Gebrauch gekommen. Die officiellen Schriftstücke belegen die Ungläubigen nicht<lb/> mehr mit Schimpfname» wie Gjaur und Kasir. Die Behörden erheben mahl mehr<lb/> Schwierigkeiten, wenn es die Erbauung einer Kirche gilt. Noch viel größere<lb/> Vortheile stehen auf dem Papier der verschiedenen Hattischeriss und Hattihu-<lb/> mayums, welche die Noth der Gegenwart dem Padischah und seinen Räthen<lb/> abdrang. Würden alle diese Proklamationen buchstäblich, würden sie in dem<lb/> Geist, der sie dictirte, befolgt, so wäre die Reform eine ungeheure zu nennen.<lb/> In der Theorie find alle Classen der Unterthanen Abdulmedschids fast ganz<lb/> gleich vor dem Gesetz, gleich berechtigt und gleich verpflichtet. Daß sie es auch<lb/> in der Praxis seien, wird selbst der eifrigste Vertheidiger türkischer Verwaltung<lb/> nicht zu behaupten wagen. An den Küstenorten und in einigen Hauptstädten,<lb/> wo Europa den Behörden in die Karte sieht, sind die Christen wohl geschützt,<lb/> ja wenn sie die Protection der Konsuln nachsuchten, oft besser als die Gläu¬<lb/> bigen. Im Innern dagegen herrscht allerwärts noch die alte Willkür und der<lb/> alte Druck, und in vielen Bezirken hat man noch nicht einmal gewagt, jene<lb/> Proklamationen zu Gunsten der Ungläubigen zu verlesen.</p><lb/> <p xml:id="ID_862" next="#ID_863"> Das türkische Reich bedürfte vor Allem eines guten Gesetzbuches. Der<lb/> Koran, nach dem alle Prozesse entschieden werden, paßt auf die veränderten<lb/> Verhältnisse nicht mehr, die Halts, welche seine Bestimmungen in Bezug auf<lb/> die Christen mäßigen, sie mit den Ansprüchen Europas ausgleichen sollten, sind<lb/> in den Provinzen entweder nicht bekannt oder von der Praxis der Richter nicht<lb/> gebührend anerkannt. Dazu kommt die unvollkommene Einrichtung der Gerichts-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0298]
feigen. welches ein brauchbarer Bundesgenosse gegen Oestreich sein würde.
Läßt man die Herrschaft der Psorte in Syrien bestehen, so wird man anch
das Verbleiben der Franzosen im Libanon gestatten müssen, gegen das Rußland
nichts einwenden wird, Oestreich nichts einwenden kann. Es würde, dünkt uns,
gut gewesen sein, wenn auch England Truppen nach Beirut oder Akko gesandt
hätte, aber es scheint, daß die britische Regierung wie die britischen Kaufleute
diesen Theil des ottomanischen Reiches gänzlich dem französischen Unterneh¬
mungsgeist überlassen wollen.
Wir kommen zu der Reise des Großwessirs in der europäischen Türkei,
wobei wir einem Artikel in „Macmillcms Magazine" (Oktobcrheft d. I.) aus¬
zugsweise folgen. Die Lage der christlichen Unterthanen des Sultans hat sich
in den letzten Jahren in manchen Beziehungen verbessert. Die Kopfsteuer ist
abgeschafft worden. Sie sind nicht mehr genöthigt, gleich den Juden des deutschen
Mittelalters zum Unterschied von den Rechtgläubigen eine besondre Tracht: schwarze
oder dunkelblaue Turbane zu tragen. Wie der fränkische Hut nicht mehr dem türki¬
schen und arabischen Städtcpöbcl als Zielscheibe von Kothwürfen dient, den Christen
nicht mehr nur auf Eseln, sondern auch aus Pferden zu reiten gestattet ist, so sind
auch andere Beschränkungen, Herabwürdigungen und Plackereien dieser Art außer
Gebrauch gekommen. Die officiellen Schriftstücke belegen die Ungläubigen nicht
mehr mit Schimpfname» wie Gjaur und Kasir. Die Behörden erheben mahl mehr
Schwierigkeiten, wenn es die Erbauung einer Kirche gilt. Noch viel größere
Vortheile stehen auf dem Papier der verschiedenen Hattischeriss und Hattihu-
mayums, welche die Noth der Gegenwart dem Padischah und seinen Räthen
abdrang. Würden alle diese Proklamationen buchstäblich, würden sie in dem
Geist, der sie dictirte, befolgt, so wäre die Reform eine ungeheure zu nennen.
In der Theorie find alle Classen der Unterthanen Abdulmedschids fast ganz
gleich vor dem Gesetz, gleich berechtigt und gleich verpflichtet. Daß sie es auch
in der Praxis seien, wird selbst der eifrigste Vertheidiger türkischer Verwaltung
nicht zu behaupten wagen. An den Küstenorten und in einigen Hauptstädten,
wo Europa den Behörden in die Karte sieht, sind die Christen wohl geschützt,
ja wenn sie die Protection der Konsuln nachsuchten, oft besser als die Gläu¬
bigen. Im Innern dagegen herrscht allerwärts noch die alte Willkür und der
alte Druck, und in vielen Bezirken hat man noch nicht einmal gewagt, jene
Proklamationen zu Gunsten der Ungläubigen zu verlesen.
Das türkische Reich bedürfte vor Allem eines guten Gesetzbuches. Der
Koran, nach dem alle Prozesse entschieden werden, paßt auf die veränderten
Verhältnisse nicht mehr, die Halts, welche seine Bestimmungen in Bezug auf
die Christen mäßigen, sie mit den Ansprüchen Europas ausgleichen sollten, sind
in den Provinzen entweder nicht bekannt oder von der Praxis der Richter nicht
gebührend anerkannt. Dazu kommt die unvollkommene Einrichtung der Gerichts-
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