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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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eine Spieleroi. ein romantisches Kunstproduct. Es hat lediglich dahin zu scheu,
daß, wen" einmal die Türkei getheilt ivird, das europäische Gleichgewicht nicht
Störung leide, daß ihm also für diesen Fall eine passende Entschädigung,
die uicht fern zu liegen braucht, zugestanden werde. Durchaus nicht
unbedingt nothwendig wäre dabei, mit England und Oestreich zu gehen.
Auch mit Frankreich und Rußland würde sich hier ein gutes Uebereinkommen
erzielen lassen, und wenn -- was zwar nicht sehr wahrscheinlich, aber immer¬
hin möglich ist -- im Cabinet der Tuilerien beschlossen sein sollte, nach der
italienischen statt der Rheinfrage die orientalische wieder auf die Tagesordnung
zu bringen, so ließe sich vielleicht durch bloße Neutralität schon, sicher aber durch
thätige Parteinahme jene für immer aus den Gedanken des Kaisers verbannen
und außerdem nützlicheres und Annehmbareres gewinnen, als von dem reichen
Onkel der "Times", der jetzt gegen uns den hochmüthigen Geldprotzen spielt.

Lassen wir indeß die Zukunft und die Conjecturen, und halten wir uns
einfach an die Gegenwart und die Thatsachen. Hier stehen zwei Dinge im
Vordergrund: die Ereignisse in Syrien und die Untersuchungsleise des Groß-
wessirs in Rumelien. Betrachten wir dieselben nach einander.

Der Libanon ist von zwei verschiedenen Völkerschaften bewohnt, den Ma-
roniten, einer Seele, die in den Hauptglaubenspuukteu zu der rönnsch - katho¬
lischen Kirche gehört, und den Drusen, welche als eine Sekte des Islam be¬
zeichnet werden können. Von Anfang dieses Jahrhunderts bis 1832 wurde
der Libanon von der christlichen Familie schabab regiert, die zum Sultan im
Verhältniß eines Vasallen stand. Im genannten Jahre eroberte Mehemed Ali
ganz Syrien und behielt es bis 1839. Unter seiner Herrschaft blühte das
Land, die Streitigkeiten der Stämme und Sekten ruhten, die Eliristen genossen
sichern Schutz, die Moslemin wie die Drusen, die Naubsucht der Beduinen wie
der Fanatismus der Städtebewohner wurden mit starker Hand im Zaum ge¬
halten. Hauptsächlich durch Englands Bemühen, welchem die Erhaltung des otto¬
manischen Reiches allem Andern voranging, kam Syrien wieder uuter die Herrschaft
des Sultans. Indeß war die neue Anordnung der Dinge im Libanon uicht
uach den Wünschen der Pforte. Dieselbe verlangte hier direct zu herrschen,
man zog es aber vor, die Drusen und die Maroniten unter eingeborne Häupt¬
linge zu stellen, die den Titel Kaimakam führen und dem Pascha von Beirut
untergeordnet sein sollten. So waren von vornherein zwei rivalisircnde Par¬
teien geschaffen, die nicht verfehlten, ihre Nebenbuhlerschaft dnrch unablässige
Friedensbrüchc und Gcwaltthätigkeitenzu^äußern, undvondenen die einevorzüglich
von England, die andere von Frankreich unterstützt wurde, während die Politik der
türkischen Regierung darauf gerichtet war, auf die eine oder die andere Weise ihre
Absicht, das Land unter ihre trente Autorität zu bekommen, doch noch zu er¬
reichen. Ob Churschid Pascha, der letzte Gouverneur von Beirut, dahin zia-


eine Spieleroi. ein romantisches Kunstproduct. Es hat lediglich dahin zu scheu,
daß, wen» einmal die Türkei getheilt ivird, das europäische Gleichgewicht nicht
Störung leide, daß ihm also für diesen Fall eine passende Entschädigung,
die uicht fern zu liegen braucht, zugestanden werde. Durchaus nicht
unbedingt nothwendig wäre dabei, mit England und Oestreich zu gehen.
Auch mit Frankreich und Rußland würde sich hier ein gutes Uebereinkommen
erzielen lassen, und wenn — was zwar nicht sehr wahrscheinlich, aber immer¬
hin möglich ist — im Cabinet der Tuilerien beschlossen sein sollte, nach der
italienischen statt der Rheinfrage die orientalische wieder auf die Tagesordnung
zu bringen, so ließe sich vielleicht durch bloße Neutralität schon, sicher aber durch
thätige Parteinahme jene für immer aus den Gedanken des Kaisers verbannen
und außerdem nützlicheres und Annehmbareres gewinnen, als von dem reichen
Onkel der „Times", der jetzt gegen uns den hochmüthigen Geldprotzen spielt.

Lassen wir indeß die Zukunft und die Conjecturen, und halten wir uns
einfach an die Gegenwart und die Thatsachen. Hier stehen zwei Dinge im
Vordergrund: die Ereignisse in Syrien und die Untersuchungsleise des Groß-
wessirs in Rumelien. Betrachten wir dieselben nach einander.

Der Libanon ist von zwei verschiedenen Völkerschaften bewohnt, den Ma-
roniten, einer Seele, die in den Hauptglaubenspuukteu zu der rönnsch - katho¬
lischen Kirche gehört, und den Drusen, welche als eine Sekte des Islam be¬
zeichnet werden können. Von Anfang dieses Jahrhunderts bis 1832 wurde
der Libanon von der christlichen Familie schabab regiert, die zum Sultan im
Verhältniß eines Vasallen stand. Im genannten Jahre eroberte Mehemed Ali
ganz Syrien und behielt es bis 1839. Unter seiner Herrschaft blühte das
Land, die Streitigkeiten der Stämme und Sekten ruhten, die Eliristen genossen
sichern Schutz, die Moslemin wie die Drusen, die Naubsucht der Beduinen wie
der Fanatismus der Städtebewohner wurden mit starker Hand im Zaum ge¬
halten. Hauptsächlich durch Englands Bemühen, welchem die Erhaltung des otto¬
manischen Reiches allem Andern voranging, kam Syrien wieder uuter die Herrschaft
des Sultans. Indeß war die neue Anordnung der Dinge im Libanon uicht
uach den Wünschen der Pforte. Dieselbe verlangte hier direct zu herrschen,
man zog es aber vor, die Drusen und die Maroniten unter eingeborne Häupt¬
linge zu stellen, die den Titel Kaimakam führen und dem Pascha von Beirut
untergeordnet sein sollten. So waren von vornherein zwei rivalisircnde Par¬
teien geschaffen, die nicht verfehlten, ihre Nebenbuhlerschaft dnrch unablässige
Friedensbrüchc und Gcwaltthätigkeitenzu^äußern, undvondenen die einevorzüglich
von England, die andere von Frankreich unterstützt wurde, während die Politik der
türkischen Regierung darauf gerichtet war, auf die eine oder die andere Weise ihre
Absicht, das Land unter ihre trente Autorität zu bekommen, doch noch zu er¬
reichen. Ob Churschid Pascha, der letzte Gouverneur von Beirut, dahin zia-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/296>, abgerufen am 15.01.2025.