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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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den christlichen Festen, Lehren und Glaubenssätzen, ja viele derselben wuchsen
aus einem rein heidnischen Grund und Boden hervor. Zwischen Christenthum
und Heidenthum gewahrt man daher bald nach der Bekehrung einen wechsel¬
seitigen Einfluß. Die Kirche ging darauf aus, das heidnische Leben durch
Christianisirung in Abgang und Vergessenheit zu bringen, dieses dagegen suchte
sich wiederum unter christlichen Formen zu bergen und gleichsam mitten im
feindlichen Heer die geflüchtete Habe zu sichern.

Einer solchen Wechselwirkung verdankt sicher auch der Allerseelentag mit
den daran haftenden Gebräuchen und Aberglauben sein Dasein und Bestes".
Bekanntlich kam er erst am Ende des zehnten Jahrhunderts durch den Abt
Odilo von Clugny in die lateinische Kirche. Die Veranlassung zu seiner
Stiftung wird freilich von den alten Kirchenhistorikern anders und verschie¬
dentlich erzählt, doch blickt auch durch ihre Erzählungen noch der Heidnische
Ursprung hindurch.

Es ist mehr als wahrscheinlich, daß beim Beginn und Eintritt des Win¬
ters, wo der liebe Sommer Abschied genommen hat und die Blätter fallen,
die Vögel weggezogen sind und alle Vegetation erstorben ist, die alten Heiden
dem erstorbenen Sommer gleichsam ein Abschiedsfest gefeiert und dabei auch
ihrer Todten gedacht haben, denen an diesem Jahresfeste eine Rückkehr aus der
Unterwelt zur Stätte ihrer alten Heimat gegönnt war. Denn nur auf einer
solchen Vorstellung beruht der uralte und sicher vorchristliche Brauch, den um¬
ziehenden Seelen den Tisch zu decken und eine Mahlzeit hinzustellen. Dazu
kommt, daß von dieser Anschauung auch sonst noch Spuren im Volksglauben
zurückgeblieben sind. So ist im Lechrain die Nacht von Allerheiligen aus Aller¬
seelen gar sehr verschrie" und gefürchtet; in ihr zeigt sich allerlei Art von Weiz
und Spuk sonderlich gerne. "Ueberhaupt kommt jetzt tue Zeit, da die Geister
offen walten und schalten, das wilde Gejag, die Holzwciblein, die Hvjemänn-
lein, die verwünschten und wcizenden Seelen, sie alle haben nun bis Dreikönig
eine sonderbare Erlaubniß zu Weizen und zu spuken nach Herzenslust." Solcher
Glaube läßt sich auch außer dem Lechrain noch vielfach unter dem Volke auf¬
finden.

Doch wir wollen demselben nicht weiter nachgehn, da aus den bereits
angeführten, am AUerseelentage üblichen Volksgebräuchen genügend erhellt, daß
sowol dieser Tag als sicher auch der vorhergehende, das Fest Allerheiligen, in
die christliche Kirche eingeführt und eingebracht worden sind, um heidnischen
Festen einen christlichen Anstrich zu geben, an welche aber dennoch -- dies
vermochte weder die kirchliche noch die weltliche Macht zu verhindern -- alte
Bräuche und Gewohnheiten aus der heidnischen Vorzeit gleich Krystallen an¬
schössen und daran haften blieben.

Dem Allerseelentage in der römisch-katholischen Kirche entspricht bei den


den christlichen Festen, Lehren und Glaubenssätzen, ja viele derselben wuchsen
aus einem rein heidnischen Grund und Boden hervor. Zwischen Christenthum
und Heidenthum gewahrt man daher bald nach der Bekehrung einen wechsel¬
seitigen Einfluß. Die Kirche ging darauf aus, das heidnische Leben durch
Christianisirung in Abgang und Vergessenheit zu bringen, dieses dagegen suchte
sich wiederum unter christlichen Formen zu bergen und gleichsam mitten im
feindlichen Heer die geflüchtete Habe zu sichern.

Einer solchen Wechselwirkung verdankt sicher auch der Allerseelentag mit
den daran haftenden Gebräuchen und Aberglauben sein Dasein und Bestes».
Bekanntlich kam er erst am Ende des zehnten Jahrhunderts durch den Abt
Odilo von Clugny in die lateinische Kirche. Die Veranlassung zu seiner
Stiftung wird freilich von den alten Kirchenhistorikern anders und verschie¬
dentlich erzählt, doch blickt auch durch ihre Erzählungen noch der Heidnische
Ursprung hindurch.

Es ist mehr als wahrscheinlich, daß beim Beginn und Eintritt des Win¬
ters, wo der liebe Sommer Abschied genommen hat und die Blätter fallen,
die Vögel weggezogen sind und alle Vegetation erstorben ist, die alten Heiden
dem erstorbenen Sommer gleichsam ein Abschiedsfest gefeiert und dabei auch
ihrer Todten gedacht haben, denen an diesem Jahresfeste eine Rückkehr aus der
Unterwelt zur Stätte ihrer alten Heimat gegönnt war. Denn nur auf einer
solchen Vorstellung beruht der uralte und sicher vorchristliche Brauch, den um¬
ziehenden Seelen den Tisch zu decken und eine Mahlzeit hinzustellen. Dazu
kommt, daß von dieser Anschauung auch sonst noch Spuren im Volksglauben
zurückgeblieben sind. So ist im Lechrain die Nacht von Allerheiligen aus Aller¬
seelen gar sehr verschrie» und gefürchtet; in ihr zeigt sich allerlei Art von Weiz
und Spuk sonderlich gerne. „Ueberhaupt kommt jetzt tue Zeit, da die Geister
offen walten und schalten, das wilde Gejag, die Holzwciblein, die Hvjemänn-
lein, die verwünschten und wcizenden Seelen, sie alle haben nun bis Dreikönig
eine sonderbare Erlaubniß zu Weizen und zu spuken nach Herzenslust." Solcher
Glaube läßt sich auch außer dem Lechrain noch vielfach unter dem Volke auf¬
finden.

Doch wir wollen demselben nicht weiter nachgehn, da aus den bereits
angeführten, am AUerseelentage üblichen Volksgebräuchen genügend erhellt, daß
sowol dieser Tag als sicher auch der vorhergehende, das Fest Allerheiligen, in
die christliche Kirche eingeführt und eingebracht worden sind, um heidnischen
Festen einen christlichen Anstrich zu geben, an welche aber dennoch — dies
vermochte weder die kirchliche noch die weltliche Macht zu verhindern — alte
Bräuche und Gewohnheiten aus der heidnischen Vorzeit gleich Krystallen an¬
schössen und daran haften blieben.

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[0267] den christlichen Festen, Lehren und Glaubenssätzen, ja viele derselben wuchsen aus einem rein heidnischen Grund und Boden hervor. Zwischen Christenthum und Heidenthum gewahrt man daher bald nach der Bekehrung einen wechsel¬ seitigen Einfluß. Die Kirche ging darauf aus, das heidnische Leben durch Christianisirung in Abgang und Vergessenheit zu bringen, dieses dagegen suchte sich wiederum unter christlichen Formen zu bergen und gleichsam mitten im feindlichen Heer die geflüchtete Habe zu sichern. Einer solchen Wechselwirkung verdankt sicher auch der Allerseelentag mit den daran haftenden Gebräuchen und Aberglauben sein Dasein und Bestes». Bekanntlich kam er erst am Ende des zehnten Jahrhunderts durch den Abt Odilo von Clugny in die lateinische Kirche. Die Veranlassung zu seiner Stiftung wird freilich von den alten Kirchenhistorikern anders und verschie¬ dentlich erzählt, doch blickt auch durch ihre Erzählungen noch der Heidnische Ursprung hindurch. Es ist mehr als wahrscheinlich, daß beim Beginn und Eintritt des Win¬ ters, wo der liebe Sommer Abschied genommen hat und die Blätter fallen, die Vögel weggezogen sind und alle Vegetation erstorben ist, die alten Heiden dem erstorbenen Sommer gleichsam ein Abschiedsfest gefeiert und dabei auch ihrer Todten gedacht haben, denen an diesem Jahresfeste eine Rückkehr aus der Unterwelt zur Stätte ihrer alten Heimat gegönnt war. Denn nur auf einer solchen Vorstellung beruht der uralte und sicher vorchristliche Brauch, den um¬ ziehenden Seelen den Tisch zu decken und eine Mahlzeit hinzustellen. Dazu kommt, daß von dieser Anschauung auch sonst noch Spuren im Volksglauben zurückgeblieben sind. So ist im Lechrain die Nacht von Allerheiligen aus Aller¬ seelen gar sehr verschrie» und gefürchtet; in ihr zeigt sich allerlei Art von Weiz und Spuk sonderlich gerne. „Ueberhaupt kommt jetzt tue Zeit, da die Geister offen walten und schalten, das wilde Gejag, die Holzwciblein, die Hvjemänn- lein, die verwünschten und wcizenden Seelen, sie alle haben nun bis Dreikönig eine sonderbare Erlaubniß zu Weizen und zu spuken nach Herzenslust." Solcher Glaube läßt sich auch außer dem Lechrain noch vielfach unter dem Volke auf¬ finden. Doch wir wollen demselben nicht weiter nachgehn, da aus den bereits angeführten, am AUerseelentage üblichen Volksgebräuchen genügend erhellt, daß sowol dieser Tag als sicher auch der vorhergehende, das Fest Allerheiligen, in die christliche Kirche eingeführt und eingebracht worden sind, um heidnischen Festen einen christlichen Anstrich zu geben, an welche aber dennoch — dies vermochte weder die kirchliche noch die weltliche Macht zu verhindern — alte Bräuche und Gewohnheiten aus der heidnischen Vorzeit gleich Krystallen an¬ schössen und daran haften blieben. Dem Allerseelentage in der römisch-katholischen Kirche entspricht bei den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/267>, abgerufen am 15.01.2025.