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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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Brod und dreierlei Wein, wobei drei Schweinsköpfe nicht fehlen durften, für
die Herrn, für die Diener und für die Siechen.

Diese Seelcnspeisung lebt als Brauch und Glaube auch bei andern Völ¬
kern außerhalb Deutschland. So wird bei den Esthen an demselben Tage
Abends in geheizter Bndestube ein Gastmahl angerichtet. Der Hausherr ruft
die Verstorbenen, seine Eltern, Kinder und Verwandten bei ihren Namen und
ladet sie förmlich zum Essen ein. Haben sie nach seiner Meinung genug ge¬
gessen, so befiehlt er ihnen sich wieder an ihren Ort zu begeben. Bei den
alten Litthauern hieß das jährliche Todtenmcchl "die Todtengabe". Dabei
glaubte man an die persönliche Anwesenheit der Seelen. Man warf ihnen
stillschweigend kleine Stücke Nahrung unter den Tisch, meinte auch sie rauschen
zu hören und sich vom Duft und Dampf der Speisen nähren zu sehn. Nach der
Mahlzeit werden sie mit folgenden Worten entlassen: "Vergebet, Seelen der
Verstorbenen, erhaltet uns Lebenden den Segen und gehet Ruhe diesem Hause!
Gehet, wohin euch das Geschick ruft, aber richtet über unsre Schwellen, Haus¬
fluren. Wiesen und Felder fliegend keinen Schaden an." Auch in Frankreich
geschieht ähnliches.

In Perigord wird am Allcrscelcnabende ein Familienmahl gehalten. Man
ißt und trinkt auf das Wohl der gestorbenen Verwandten und Vorältern und
läßt von jedem Gerichte einen Nest die Nacht über auf dem Tische stehen.
In der Dauphins werden den ausziehenden Todten Speisen hingesetzt, um sie
zur Weiterreise zu stärken.

Ein Ueberblick über diese Volksgebräuche läßt in denselben altheidnische
Erinnerungen nicht verkennen, und zwar Erinnerungen an jene Todtenopfer,
welche noch im achten Jahrhundert in kirchlichen und weltlichen Verboten alö
Ueberreste des Heidenthums bekämpft und verfolgt wurden. Allein mit Ver¬
boten richtete die Kirche gegen das Heidenthum nur wenig aus. Der alte
lieh gewordene Brauch und Glaube hatte im Volksglauben zu tiefe Wurzeln
geschlagen, als daß er durch Concilicnbeschlüsse unterdrückt und beseitigt werden
konnte; ja es ist anzunehmen und in einzelnen Fällen nachzuweisen, daß er
um so hartnäckiger widerstand, je nachdrucksvoller, schroffer und feindseliger
man ihm begegnete. Man schlug daher noch einen andern Weg ein, der siche¬
rer, wenn auch langsamer zum Ziele zu führen versprach, und trat mit Scho¬
nung, Nachsicht und Milde dem heidnischen Leben entgegen, indem man die
alten Sitten und Bräuche, den Ritus des Heidenthums, in seiner äußern Form
möglichst bestehn ließ und wenig antastete, dagegen ihren Sinn und Zweck
christlich zu wenden und mit den Lehren der Kirche in Einklang zu bringen
suchte. Wie die alten Götter mit der Zeit in Heilige übergingen und ihre
Functionen in deren Thaten, so traten auch die alten Jnhresfeste, volksthüm-
lichen Gebräuche und heidnischen Ideen nach und nach in eine Beziehung zu


Brod und dreierlei Wein, wobei drei Schweinsköpfe nicht fehlen durften, für
die Herrn, für die Diener und für die Siechen.

Diese Seelcnspeisung lebt als Brauch und Glaube auch bei andern Völ¬
kern außerhalb Deutschland. So wird bei den Esthen an demselben Tage
Abends in geheizter Bndestube ein Gastmahl angerichtet. Der Hausherr ruft
die Verstorbenen, seine Eltern, Kinder und Verwandten bei ihren Namen und
ladet sie förmlich zum Essen ein. Haben sie nach seiner Meinung genug ge¬
gessen, so befiehlt er ihnen sich wieder an ihren Ort zu begeben. Bei den
alten Litthauern hieß das jährliche Todtenmcchl „die Todtengabe". Dabei
glaubte man an die persönliche Anwesenheit der Seelen. Man warf ihnen
stillschweigend kleine Stücke Nahrung unter den Tisch, meinte auch sie rauschen
zu hören und sich vom Duft und Dampf der Speisen nähren zu sehn. Nach der
Mahlzeit werden sie mit folgenden Worten entlassen: „Vergebet, Seelen der
Verstorbenen, erhaltet uns Lebenden den Segen und gehet Ruhe diesem Hause!
Gehet, wohin euch das Geschick ruft, aber richtet über unsre Schwellen, Haus¬
fluren. Wiesen und Felder fliegend keinen Schaden an." Auch in Frankreich
geschieht ähnliches.

In Perigord wird am Allcrscelcnabende ein Familienmahl gehalten. Man
ißt und trinkt auf das Wohl der gestorbenen Verwandten und Vorältern und
läßt von jedem Gerichte einen Nest die Nacht über auf dem Tische stehen.
In der Dauphins werden den ausziehenden Todten Speisen hingesetzt, um sie
zur Weiterreise zu stärken.

Ein Ueberblick über diese Volksgebräuche läßt in denselben altheidnische
Erinnerungen nicht verkennen, und zwar Erinnerungen an jene Todtenopfer,
welche noch im achten Jahrhundert in kirchlichen und weltlichen Verboten alö
Ueberreste des Heidenthums bekämpft und verfolgt wurden. Allein mit Ver¬
boten richtete die Kirche gegen das Heidenthum nur wenig aus. Der alte
lieh gewordene Brauch und Glaube hatte im Volksglauben zu tiefe Wurzeln
geschlagen, als daß er durch Concilicnbeschlüsse unterdrückt und beseitigt werden
konnte; ja es ist anzunehmen und in einzelnen Fällen nachzuweisen, daß er
um so hartnäckiger widerstand, je nachdrucksvoller, schroffer und feindseliger
man ihm begegnete. Man schlug daher noch einen andern Weg ein, der siche¬
rer, wenn auch langsamer zum Ziele zu führen versprach, und trat mit Scho¬
nung, Nachsicht und Milde dem heidnischen Leben entgegen, indem man die
alten Sitten und Bräuche, den Ritus des Heidenthums, in seiner äußern Form
möglichst bestehn ließ und wenig antastete, dagegen ihren Sinn und Zweck
christlich zu wenden und mit den Lehren der Kirche in Einklang zu bringen
suchte. Wie die alten Götter mit der Zeit in Heilige übergingen und ihre
Functionen in deren Thaten, so traten auch die alten Jnhresfeste, volksthüm-
lichen Gebräuche und heidnischen Ideen nach und nach in eine Beziehung zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/266>, abgerufen am 15.01.2025.