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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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Russen der.zweite Montag nach Ostern, der "Erinnerungsmontag" genannt,
weil er dem Andenken an die Verstorbenen gewidmet ist. Nach einer uns vor¬
liegenden Beschreibung sieht man schon am frühen Morgen die Leute zu Fuß
und zu Wagen und mit Tüchern bepackt, in denen sie Speisen tragen, hinaus
aus die Friedhöfe ziehn, um dort in den Kapellen einem Gottesdienste beizu-
wohnen und zum Andenken an die Heimgcschieduen auf deren Gräbern eine
Mahlzeit zu halten. Die Speisen tragen sie zuerst in die Kirchen und setzen
sie dort auf eine große, in der Mitte der Kirche errichtete Tafel. Gewöhnlich
haben sie auf einen Teller el" großes, hohes, rundes Brod gelegt und herum
rothe Ostereier, Salz, Kringel, Apfelsinen, Citronen und Honigkuchen. In
dem runden Brode steckt ein brennendes Licht und auf jedem Brode liegt el"
kleines Büchelchen "des Andenkens", auf dessen erster Seite stets geschrieben
steht: "dieses Buch ist geschrieben zum Andenken um N. N." Die Priester
halten nun zunächst die gewöhnliche Messe ab, alsdann treten sie zu den mit
Speise beladenen Tischen und singen dort unter beständigen Nüuchcrungen
Gebere für die Gestorbenen. Sie blättern dabei in jenen kleinen Büchern herum
und flechten die Namen, die sie darin finden, in ihre Gebete ein. Wenn dies
allgemeine Gebet für die Todten beendigt ist, zerstreuen sich die Leute auf dem
Kirchhofe und ein jeder sucht die Gräber der Seinigen auf, um dort seinen
Schmerz um die Hingeschiedenen auszuweinen. Inzwischen haben sich die
Priester mit brennenden Kerzen und Crucifixen auf dem Kirchhofe eingefunden
und halten nun bei jedem Grabe auf Verlangen noch einen besondern Gottes¬
dienst, wobei ihnen jene kleinen Gedächlnißbüchcr dargereicht werde". Den
Priestern folge" Schaaren von Bettlern und Krüppeln und bitten um eine e߬
bare Gabe. Viele willfahren ihre" Bitten, die "leisten aber holen ein Tuch,
eine Serviette hervor, bedecke" .damit den Grabhügel und setzen ihre mit¬
gebrachten Speisen und Flaschen darauf, lagern sich um den Grabhügel und
beginnen zu schmausen und zu trinken. Die Priester bekommen auch ihren An¬
theil und nehmen bei jedem Grabe einen Imbiß. Erst bei einbrechender Nacht
findet diese Schmauserei, von der man nicht selten angetrunken nach Hause geht.


W.


Russen der.zweite Montag nach Ostern, der „Erinnerungsmontag" genannt,
weil er dem Andenken an die Verstorbenen gewidmet ist. Nach einer uns vor¬
liegenden Beschreibung sieht man schon am frühen Morgen die Leute zu Fuß
und zu Wagen und mit Tüchern bepackt, in denen sie Speisen tragen, hinaus
aus die Friedhöfe ziehn, um dort in den Kapellen einem Gottesdienste beizu-
wohnen und zum Andenken an die Heimgcschieduen auf deren Gräbern eine
Mahlzeit zu halten. Die Speisen tragen sie zuerst in die Kirchen und setzen
sie dort auf eine große, in der Mitte der Kirche errichtete Tafel. Gewöhnlich
haben sie auf einen Teller el» großes, hohes, rundes Brod gelegt und herum
rothe Ostereier, Salz, Kringel, Apfelsinen, Citronen und Honigkuchen. In
dem runden Brode steckt ein brennendes Licht und auf jedem Brode liegt el»
kleines Büchelchen „des Andenkens", auf dessen erster Seite stets geschrieben
steht: „dieses Buch ist geschrieben zum Andenken um N. N." Die Priester
halten nun zunächst die gewöhnliche Messe ab, alsdann treten sie zu den mit
Speise beladenen Tischen und singen dort unter beständigen Nüuchcrungen
Gebere für die Gestorbenen. Sie blättern dabei in jenen kleinen Büchern herum
und flechten die Namen, die sie darin finden, in ihre Gebete ein. Wenn dies
allgemeine Gebet für die Todten beendigt ist, zerstreuen sich die Leute auf dem
Kirchhofe und ein jeder sucht die Gräber der Seinigen auf, um dort seinen
Schmerz um die Hingeschiedenen auszuweinen. Inzwischen haben sich die
Priester mit brennenden Kerzen und Crucifixen auf dem Kirchhofe eingefunden
und halten nun bei jedem Grabe auf Verlangen noch einen besondern Gottes¬
dienst, wobei ihnen jene kleinen Gedächlnißbüchcr dargereicht werde». Den
Priestern folge» Schaaren von Bettlern und Krüppeln und bitten um eine e߬
bare Gabe. Viele willfahren ihre» Bitten, die »leisten aber holen ein Tuch,
eine Serviette hervor, bedecke» .damit den Grabhügel und setzen ihre mit¬
gebrachten Speisen und Flaschen darauf, lagern sich um den Grabhügel und
beginnen zu schmausen und zu trinken. Die Priester bekommen auch ihren An¬
theil und nehmen bei jedem Grabe einen Imbiß. Erst bei einbrechender Nacht
findet diese Schmauserei, von der man nicht selten angetrunken nach Hause geht.


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[0268] Russen der.zweite Montag nach Ostern, der „Erinnerungsmontag" genannt, weil er dem Andenken an die Verstorbenen gewidmet ist. Nach einer uns vor¬ liegenden Beschreibung sieht man schon am frühen Morgen die Leute zu Fuß und zu Wagen und mit Tüchern bepackt, in denen sie Speisen tragen, hinaus aus die Friedhöfe ziehn, um dort in den Kapellen einem Gottesdienste beizu- wohnen und zum Andenken an die Heimgcschieduen auf deren Gräbern eine Mahlzeit zu halten. Die Speisen tragen sie zuerst in die Kirchen und setzen sie dort auf eine große, in der Mitte der Kirche errichtete Tafel. Gewöhnlich haben sie auf einen Teller el» großes, hohes, rundes Brod gelegt und herum rothe Ostereier, Salz, Kringel, Apfelsinen, Citronen und Honigkuchen. In dem runden Brode steckt ein brennendes Licht und auf jedem Brode liegt el» kleines Büchelchen „des Andenkens", auf dessen erster Seite stets geschrieben steht: „dieses Buch ist geschrieben zum Andenken um N. N." Die Priester halten nun zunächst die gewöhnliche Messe ab, alsdann treten sie zu den mit Speise beladenen Tischen und singen dort unter beständigen Nüuchcrungen Gebere für die Gestorbenen. Sie blättern dabei in jenen kleinen Büchern herum und flechten die Namen, die sie darin finden, in ihre Gebete ein. Wenn dies allgemeine Gebet für die Todten beendigt ist, zerstreuen sich die Leute auf dem Kirchhofe und ein jeder sucht die Gräber der Seinigen auf, um dort seinen Schmerz um die Hingeschiedenen auszuweinen. Inzwischen haben sich die Priester mit brennenden Kerzen und Crucifixen auf dem Kirchhofe eingefunden und halten nun bei jedem Grabe auf Verlangen noch einen besondern Gottes¬ dienst, wobei ihnen jene kleinen Gedächlnißbüchcr dargereicht werde». Den Priestern folge» Schaaren von Bettlern und Krüppeln und bitten um eine e߬ bare Gabe. Viele willfahren ihre» Bitten, die »leisten aber holen ein Tuch, eine Serviette hervor, bedecke» .damit den Grabhügel und setzen ihre mit¬ gebrachten Speisen und Flaschen darauf, lagern sich um den Grabhügel und beginnen zu schmausen und zu trinken. Die Priester bekommen auch ihren An¬ theil und nehmen bei jedem Grabe einen Imbiß. Erst bei einbrechender Nacht findet diese Schmauserei, von der man nicht selten angetrunken nach Hause geht. W.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/268>, abgerufen am 15.01.2025.