Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.aufmerksamer und artiger Behandlung nöthigen, obgleich sie niemals einen Ist aber das Personal der Gesandtschaften, vom Wirbel bis zur Zehe, aufmerksamer und artiger Behandlung nöthigen, obgleich sie niemals einen Ist aber das Personal der Gesandtschaften, vom Wirbel bis zur Zehe, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0260" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/110608"/> <p xml:id="ID_732" prev="#ID_731"> aufmerksamer und artiger Behandlung nöthigen, obgleich sie niemals einen<lb/> Gegendienst leisten werden, kurz . . man wird überlaufen. Sonst zeigte<lb/> die Liste der höheren Geschäfte fast ein fürstliches und hochadliges<lb/> Seitenstück zu den bürgerlichen Standesbüchern; es waren meist No-<lb/> tisicationen von Geburten, Hochzeiten und Sterbefällen, die man empfing<lb/> und weither beförderte. Jetzt gibt es fast keinen Zweig des Staatslebens,<lb/> worüber nicht berichtet und verhandelt werden soll: Schulwesen, Besteuerung,<lb/> Post, Gewerbcgeselze, über Alles soll die unglückliche Gesandtschaft berichten;<lb/> wegen Telegraphenlinien und der Richtung von Eisenbahnen soll sie unter¬<lb/> handeln. Sind größere Dinge im Werke, so eilt den Depeschen eine Unzahl<lb/> von chiffnrten Telegrammen voraus, welche nicht fehlerfrei und deshalb un¬<lb/> endlich schwer zu entziffern sind, dessen ungeachtet aber noch am nämlichen<lb/> Tage beantwortet werden sollen. Ohne weitere Ausführung wird Jedermann<lb/> zugeben, daß unter die Menschenklassen, welche gegenwärtig, um vorwärts zu<lb/> kommen und nützliche Mitglieder der Gesellschaft zu sein, mehr lernen und<lb/> arbeiten müssen, als früher, auch das Personal der Gesandtschaften gehört.<lb/> Daraus folgt, daß man bei der Auswahl desselben mehr als früher auf Geist,<lb/> Fähigkeit und Kenntnisse sehn, und weniger als früher in Bezug auf Geburt<lb/> und Familicnverbindungen exclusiv sein sollte. Die Zeitungsleser werden ge¬<lb/> genwärtig fast täglich mit Depeschen und Noten aus allen europäischen Cabi-<lb/> netcn gespeist; daneben lesen sie Leitartikel über die nämlichen Gegenstände.<lb/> Ist dabei nicht schon Manche»! der Gedanke gekommen, wie der Minister wohl<lb/> daran thun würde, den Verfasser seiner Noten — vorausgesetzt, daß er selbst<lb/> nicht der Verfasser ist — gegen den Verfasser der Leitartikel auszutauschen?</p><lb/> <p xml:id="ID_733" next="#ID_734"> Ist aber das Personal der Gesandtschaften, vom Wirbel bis zur Zehe,<lb/> noch so gut bestellt, so kann es dem entsprechend, doch nur unter der Voraus¬<lb/> setzung functioniren, wenn der Chef weiß, was er thun soll. Die Instruc-<lb/> tion der Agenten ist Sache des Ministers, und es ist wesentlich, ja es ist eine<lb/> Lebensfrage für den ganzen Werth der Vertretung des Regenten bei den aus¬<lb/> wärtigen Höfen und Cabincten, daß ihre Mitglieder stets genau von Hen Ab¬<lb/> sichten des eignen Cabinets unterrichtet, und mit bestimmten Weisungen über<lb/> ihr Verhalten bei den grade vorliegenden Fragen versehen sind. Um ihren<lb/> Agenten sagen zu können, wie sie sprechen und handeln sollen, muß eine Re¬<lb/> gierung allerdings erst selbst wissen, was sie will, sie muß eine feste, er¬<lb/> kennbare und verständliche Politik haben. Fehlt es hier, dann wäre<lb/> selbst für einen großen Staat die kleinstaatliche Praxis zu empfehlen, so we¬<lb/> nig als möglich auf seine Vertretung nach außen zu verwenden, und zwar<lb/> nicht allein aus finanziellen, sondern auch aus Gründen des Anstandes. Man<lb/> darf seine Repräsentanten im Auslande nicht in die Lage setzen, durch unbe¬<lb/> greifliche Antworten auf höchst einfache Fragen sich — und nicht sich allein</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0260]
aufmerksamer und artiger Behandlung nöthigen, obgleich sie niemals einen
Gegendienst leisten werden, kurz . . man wird überlaufen. Sonst zeigte
die Liste der höheren Geschäfte fast ein fürstliches und hochadliges
Seitenstück zu den bürgerlichen Standesbüchern; es waren meist No-
tisicationen von Geburten, Hochzeiten und Sterbefällen, die man empfing
und weither beförderte. Jetzt gibt es fast keinen Zweig des Staatslebens,
worüber nicht berichtet und verhandelt werden soll: Schulwesen, Besteuerung,
Post, Gewerbcgeselze, über Alles soll die unglückliche Gesandtschaft berichten;
wegen Telegraphenlinien und der Richtung von Eisenbahnen soll sie unter¬
handeln. Sind größere Dinge im Werke, so eilt den Depeschen eine Unzahl
von chiffnrten Telegrammen voraus, welche nicht fehlerfrei und deshalb un¬
endlich schwer zu entziffern sind, dessen ungeachtet aber noch am nämlichen
Tage beantwortet werden sollen. Ohne weitere Ausführung wird Jedermann
zugeben, daß unter die Menschenklassen, welche gegenwärtig, um vorwärts zu
kommen und nützliche Mitglieder der Gesellschaft zu sein, mehr lernen und
arbeiten müssen, als früher, auch das Personal der Gesandtschaften gehört.
Daraus folgt, daß man bei der Auswahl desselben mehr als früher auf Geist,
Fähigkeit und Kenntnisse sehn, und weniger als früher in Bezug auf Geburt
und Familicnverbindungen exclusiv sein sollte. Die Zeitungsleser werden ge¬
genwärtig fast täglich mit Depeschen und Noten aus allen europäischen Cabi-
netcn gespeist; daneben lesen sie Leitartikel über die nämlichen Gegenstände.
Ist dabei nicht schon Manche»! der Gedanke gekommen, wie der Minister wohl
daran thun würde, den Verfasser seiner Noten — vorausgesetzt, daß er selbst
nicht der Verfasser ist — gegen den Verfasser der Leitartikel auszutauschen?
Ist aber das Personal der Gesandtschaften, vom Wirbel bis zur Zehe,
noch so gut bestellt, so kann es dem entsprechend, doch nur unter der Voraus¬
setzung functioniren, wenn der Chef weiß, was er thun soll. Die Instruc-
tion der Agenten ist Sache des Ministers, und es ist wesentlich, ja es ist eine
Lebensfrage für den ganzen Werth der Vertretung des Regenten bei den aus¬
wärtigen Höfen und Cabincten, daß ihre Mitglieder stets genau von Hen Ab¬
sichten des eignen Cabinets unterrichtet, und mit bestimmten Weisungen über
ihr Verhalten bei den grade vorliegenden Fragen versehen sind. Um ihren
Agenten sagen zu können, wie sie sprechen und handeln sollen, muß eine Re¬
gierung allerdings erst selbst wissen, was sie will, sie muß eine feste, er¬
kennbare und verständliche Politik haben. Fehlt es hier, dann wäre
selbst für einen großen Staat die kleinstaatliche Praxis zu empfehlen, so we¬
nig als möglich auf seine Vertretung nach außen zu verwenden, und zwar
nicht allein aus finanziellen, sondern auch aus Gründen des Anstandes. Man
darf seine Repräsentanten im Auslande nicht in die Lage setzen, durch unbe¬
greifliche Antworten auf höchst einfache Fragen sich — und nicht sich allein
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