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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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im gewöhnlichen Handel vergleichen. Der Reisende macht nicht das Tuch,
er macht in Tuch. Seine Geschicklichkeit ist schätzbar und von nicht geringem
Einfluß auf den Absatz der Waare; sie bethätigt sich auch nicht allein da¬
durch, daß er die Waare an den Mann bringt, sondern ebensowohl darin,
daß er den Geschmack und die Wünsche der Abnehmer kennen lernt und nütz¬
liche Winke für die Fabrikation seinem Hause berichtet. Alle seine Geschick-
lichkeit aber wird wenig fruchten, wenn die Waare schlecht oder der Preis zu
hoch ist. Man kann übrigens leichter behaupten, daß die Diplomatie nicht
die, sondern in Politik mache, daß mithin die Vorwürfe, als verderbe sie,
was in ihre Hände kommt, besonders aber, was das Schwert gut gemacht
habe, gröstentheils unverdient sind, -- man kann diese Behauptung leichter
begründen, als nachweisen, wer denn eigentlich die Politik mache. Die In¬
teressen der Staaten, wie sie sich ausprägen in dem Willen ihrer Oberhäupter,
in den Räthen ihrer Kronen, beeinflußt durch eine bestimmt auftretende
öffentliche Meinung, durch die Ereignisse, das Alles sind Kräfte von ungleicher
Stärke und Richtung, die am Ende, den Naturgesetzen folgend, ihre Diago¬
nale finden müssen, aber nicht ohne geistige'und physische Erschütterung. Je
ausgedehnter, vielfältiger und häufiger die internationalen Beziehungen sich
gestalten, desto schwieriger wird der Ueber- und Vorauöblick, welcher ihre Be¬
handlung beherrschen und leiten soll. Haben es doch selbst die Häupter
"nichtiger Staaten, umgeben von ihren Ministern und herbeigerufenen Ge¬
sandten unlängst in Warschau aufgegeben, über ihr Verhalten bei Eventua-
litäten der nächsten Zukunft eine Abrede zu treffen. Vorbereitet sein und
abwarten, das war schließlich die Losung.

Die Umgestaltung einer jeden Art von Verkehr durch die Schiene und
den Draht, verbunden mit der Vermehrung der Angelegenheiten, welche über¬
haupt die Regierungen in den Kreis ihrer Geschäfte gezogen haben, sind für
das in ruhigen Zeiten angenehme und behagliche Leben der Diplomatie sehr
störend gewesen. Sonst saß der Attache oder Sekretair in den Stunden, die
er nicht umhin konnte, der angenehmem Seite seiner Obliegenheiten zu ent¬
ziehen, ruhig an seinem Kanzleitische, ein Nanuöl, einen Suiäs, ein Kseuml
und den unentbehrlichen ^1eng,ng.e as (Zottig, auf dem Pulte, in dem halb¬
geöffneten Schubfache einen wunderschönen Roman, bei dessen Lectüre er nur
selten durch das Erscheine" des Chefs oder durch das currente Geschäft gestört
wurde. Jetzt bleiben ihm nicht einmal mehr diese Mußestunden zur verbor¬
genen Bildung des Geistes und des Herzens. Die Eismbah" bringt so viele
Angehörigen des Staates, an dessen Vertretung er mitzuarbeiten hat, die
Leute stellen sich vor, die Gesandtschaft sei um ihretwillen da, Jeder hat
ein oder mehrere Anliegen, wobei er die Mithülfe "seines" Gesandten an¬
spricht. Manche haben einen Rang oder eine Stellung, welche zu besonders


im gewöhnlichen Handel vergleichen. Der Reisende macht nicht das Tuch,
er macht in Tuch. Seine Geschicklichkeit ist schätzbar und von nicht geringem
Einfluß auf den Absatz der Waare; sie bethätigt sich auch nicht allein da¬
durch, daß er die Waare an den Mann bringt, sondern ebensowohl darin,
daß er den Geschmack und die Wünsche der Abnehmer kennen lernt und nütz¬
liche Winke für die Fabrikation seinem Hause berichtet. Alle seine Geschick-
lichkeit aber wird wenig fruchten, wenn die Waare schlecht oder der Preis zu
hoch ist. Man kann übrigens leichter behaupten, daß die Diplomatie nicht
die, sondern in Politik mache, daß mithin die Vorwürfe, als verderbe sie,
was in ihre Hände kommt, besonders aber, was das Schwert gut gemacht
habe, gröstentheils unverdient sind, — man kann diese Behauptung leichter
begründen, als nachweisen, wer denn eigentlich die Politik mache. Die In¬
teressen der Staaten, wie sie sich ausprägen in dem Willen ihrer Oberhäupter,
in den Räthen ihrer Kronen, beeinflußt durch eine bestimmt auftretende
öffentliche Meinung, durch die Ereignisse, das Alles sind Kräfte von ungleicher
Stärke und Richtung, die am Ende, den Naturgesetzen folgend, ihre Diago¬
nale finden müssen, aber nicht ohne geistige'und physische Erschütterung. Je
ausgedehnter, vielfältiger und häufiger die internationalen Beziehungen sich
gestalten, desto schwieriger wird der Ueber- und Vorauöblick, welcher ihre Be¬
handlung beherrschen und leiten soll. Haben es doch selbst die Häupter
»nichtiger Staaten, umgeben von ihren Ministern und herbeigerufenen Ge¬
sandten unlängst in Warschau aufgegeben, über ihr Verhalten bei Eventua-
litäten der nächsten Zukunft eine Abrede zu treffen. Vorbereitet sein und
abwarten, das war schließlich die Losung.

Die Umgestaltung einer jeden Art von Verkehr durch die Schiene und
den Draht, verbunden mit der Vermehrung der Angelegenheiten, welche über¬
haupt die Regierungen in den Kreis ihrer Geschäfte gezogen haben, sind für
das in ruhigen Zeiten angenehme und behagliche Leben der Diplomatie sehr
störend gewesen. Sonst saß der Attache oder Sekretair in den Stunden, die
er nicht umhin konnte, der angenehmem Seite seiner Obliegenheiten zu ent¬
ziehen, ruhig an seinem Kanzleitische, ein Nanuöl, einen Suiäs, ein Kseuml
und den unentbehrlichen ^1eng,ng.e as (Zottig, auf dem Pulte, in dem halb¬
geöffneten Schubfache einen wunderschönen Roman, bei dessen Lectüre er nur
selten durch das Erscheine» des Chefs oder durch das currente Geschäft gestört
wurde. Jetzt bleiben ihm nicht einmal mehr diese Mußestunden zur verbor¬
genen Bildung des Geistes und des Herzens. Die Eismbah» bringt so viele
Angehörigen des Staates, an dessen Vertretung er mitzuarbeiten hat, die
Leute stellen sich vor, die Gesandtschaft sei um ihretwillen da, Jeder hat
ein oder mehrere Anliegen, wobei er die Mithülfe „seines" Gesandten an¬
spricht. Manche haben einen Rang oder eine Stellung, welche zu besonders


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[0259] im gewöhnlichen Handel vergleichen. Der Reisende macht nicht das Tuch, er macht in Tuch. Seine Geschicklichkeit ist schätzbar und von nicht geringem Einfluß auf den Absatz der Waare; sie bethätigt sich auch nicht allein da¬ durch, daß er die Waare an den Mann bringt, sondern ebensowohl darin, daß er den Geschmack und die Wünsche der Abnehmer kennen lernt und nütz¬ liche Winke für die Fabrikation seinem Hause berichtet. Alle seine Geschick- lichkeit aber wird wenig fruchten, wenn die Waare schlecht oder der Preis zu hoch ist. Man kann übrigens leichter behaupten, daß die Diplomatie nicht die, sondern in Politik mache, daß mithin die Vorwürfe, als verderbe sie, was in ihre Hände kommt, besonders aber, was das Schwert gut gemacht habe, gröstentheils unverdient sind, — man kann diese Behauptung leichter begründen, als nachweisen, wer denn eigentlich die Politik mache. Die In¬ teressen der Staaten, wie sie sich ausprägen in dem Willen ihrer Oberhäupter, in den Räthen ihrer Kronen, beeinflußt durch eine bestimmt auftretende öffentliche Meinung, durch die Ereignisse, das Alles sind Kräfte von ungleicher Stärke und Richtung, die am Ende, den Naturgesetzen folgend, ihre Diago¬ nale finden müssen, aber nicht ohne geistige'und physische Erschütterung. Je ausgedehnter, vielfältiger und häufiger die internationalen Beziehungen sich gestalten, desto schwieriger wird der Ueber- und Vorauöblick, welcher ihre Be¬ handlung beherrschen und leiten soll. Haben es doch selbst die Häupter »nichtiger Staaten, umgeben von ihren Ministern und herbeigerufenen Ge¬ sandten unlängst in Warschau aufgegeben, über ihr Verhalten bei Eventua- litäten der nächsten Zukunft eine Abrede zu treffen. Vorbereitet sein und abwarten, das war schließlich die Losung. Die Umgestaltung einer jeden Art von Verkehr durch die Schiene und den Draht, verbunden mit der Vermehrung der Angelegenheiten, welche über¬ haupt die Regierungen in den Kreis ihrer Geschäfte gezogen haben, sind für das in ruhigen Zeiten angenehme und behagliche Leben der Diplomatie sehr störend gewesen. Sonst saß der Attache oder Sekretair in den Stunden, die er nicht umhin konnte, der angenehmem Seite seiner Obliegenheiten zu ent¬ ziehen, ruhig an seinem Kanzleitische, ein Nanuöl, einen Suiäs, ein Kseuml und den unentbehrlichen ^1eng,ng.e as (Zottig, auf dem Pulte, in dem halb¬ geöffneten Schubfache einen wunderschönen Roman, bei dessen Lectüre er nur selten durch das Erscheine» des Chefs oder durch das currente Geschäft gestört wurde. Jetzt bleiben ihm nicht einmal mehr diese Mußestunden zur verbor¬ genen Bildung des Geistes und des Herzens. Die Eismbah» bringt so viele Angehörigen des Staates, an dessen Vertretung er mitzuarbeiten hat, die Leute stellen sich vor, die Gesandtschaft sei um ihretwillen da, Jeder hat ein oder mehrere Anliegen, wobei er die Mithülfe „seines" Gesandten an¬ spricht. Manche haben einen Rang oder eine Stellung, welche zu besonders

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/259>, abgerufen am 15.01.2025.