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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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In eine Ansangsstelle bei dein Ministerium oder bei einer Gesandtschaft
eingetreten, lernt der junge Diplomat bald die beiden Hauptrichtungen kennen,
nach denen sich seine Thätigkeit zu manifestiren hat, die persönliche und die
geschäftliche, den Salon und das Cabinet. Jeder von den Alten ist ein¬
mal jung gewesen und erinnert sich, nach welcher Seite es ihn und die meisten
seiner Gefährten am mächtigsten hinzog, nachdem sie das Examen hinter sich
und die Welt vor sich hatten. Man ist gezwungen, und wie gern läßt man
sich zwingen, alle Sorgfalt auf ein möglichst vorteilhaftes äußeres Erscheinen
zu verwenden, der Aufwand für die Toilette darf von dem Vater oder dem
Vormund nicht angezweifelt werden, denn er ist av ig. xlus stricte neeessitö.
Man kömmt nach Hose, man dinirt, soupirt, tanzt, spielt, besucht den Club,
der allerdings mit dem Jakobinerclub nicht zu verwechseln ist, man thut dies
nicht etwa aus Vergnügen, es ist reines Pflichtgebot. Vor allem muß man
sich orientiren und bekannt machen; man muß die Personen und die Verhält¬
nisse des Hofes, der Ministerien, des diplomatischen Corps genau kennen lernen,
und sorgen, daß man selbst bekannt, geschätzt und ausgezeichnet wird. Wie
und wo ließe sich diese erste Aufgabe lösen, wenn nicht durch fleißige Benutzung
der eigens hierzu bestimmten Einrichtungen und Gelegenheiten? Dagegen ist
nichts einzuwenden, allein es erklärt, daß die Mehrzahl der in die praktische
Laufbahn eintretenden jungen Herren der anziehender" Seite ihrer Berufsthätig¬
keit ihre Aufmerksamkeit und Neigung vorzugsweise zuwenden. Dieser Umstand
aber wirkt bestimmend auf die Behandlung und Auffassung ein, welche sie sich
sür die eigentlichen Geschäfte aneignen. Sie lernen im Umgang, nament¬
lich mit ihren Kollegen vom diplomatischen Corps, an pikanten Anekdoten,
gewürzt mit Dichtung und mehr oder weniger seiner M6disancc, Wohlgefallen
finden, jede Artigkeit den anwesenden Gegnern, die spitzen Pfeile der mocMei'le
den abwesenden Freunden zutheilen, als Waffe, mit der allein der Sieg zu
erringen, die Intrigue handhaben. Kurz sie werden gar bald moralische, nicht
selten auch physische Non6s und als solche behandeln sie denn auch die Geschäfte.
Gilt es z. B., die Negierung zu veranlassen, ihre Stimme mit jener der eig¬
nen Regierung in einer gewissen Angelegenheit bei einer dritten Macht -- wir
meinen nicht den Bundestag -- zu vereinigen, und ist die Unterhandlung
mittelst einer Depesche oder Verbalnote, in einer Conferenz zwischen dem Chef
der'Legation und des Ministeriums eingeleitet, dann beginnt erst die Thätig¬
keit, welche für die allein wirksame angesehn wird, bei welcher Talent und
Geschick sich zeigen können. Ein unlängst verstorbener unter Cvngreßverhand-
lungcn ergrauter Diplomat pflegte zu sagen, daß er manche und nicht die un-
bedeutendem Erfolge seinem trefflichen Koche zu verdanken habe. Dies,will
sagen, daß die persönliche Einwirkung, welche die Menschen bei ihren schwachen
Seiten zu fassen versteht, in der Regel mehr ausrichtet als die besten Gründe


In eine Ansangsstelle bei dein Ministerium oder bei einer Gesandtschaft
eingetreten, lernt der junge Diplomat bald die beiden Hauptrichtungen kennen,
nach denen sich seine Thätigkeit zu manifestiren hat, die persönliche und die
geschäftliche, den Salon und das Cabinet. Jeder von den Alten ist ein¬
mal jung gewesen und erinnert sich, nach welcher Seite es ihn und die meisten
seiner Gefährten am mächtigsten hinzog, nachdem sie das Examen hinter sich
und die Welt vor sich hatten. Man ist gezwungen, und wie gern läßt man
sich zwingen, alle Sorgfalt auf ein möglichst vorteilhaftes äußeres Erscheinen
zu verwenden, der Aufwand für die Toilette darf von dem Vater oder dem
Vormund nicht angezweifelt werden, denn er ist av ig. xlus stricte neeessitö.
Man kömmt nach Hose, man dinirt, soupirt, tanzt, spielt, besucht den Club,
der allerdings mit dem Jakobinerclub nicht zu verwechseln ist, man thut dies
nicht etwa aus Vergnügen, es ist reines Pflichtgebot. Vor allem muß man
sich orientiren und bekannt machen; man muß die Personen und die Verhält¬
nisse des Hofes, der Ministerien, des diplomatischen Corps genau kennen lernen,
und sorgen, daß man selbst bekannt, geschätzt und ausgezeichnet wird. Wie
und wo ließe sich diese erste Aufgabe lösen, wenn nicht durch fleißige Benutzung
der eigens hierzu bestimmten Einrichtungen und Gelegenheiten? Dagegen ist
nichts einzuwenden, allein es erklärt, daß die Mehrzahl der in die praktische
Laufbahn eintretenden jungen Herren der anziehender» Seite ihrer Berufsthätig¬
keit ihre Aufmerksamkeit und Neigung vorzugsweise zuwenden. Dieser Umstand
aber wirkt bestimmend auf die Behandlung und Auffassung ein, welche sie sich
sür die eigentlichen Geschäfte aneignen. Sie lernen im Umgang, nament¬
lich mit ihren Kollegen vom diplomatischen Corps, an pikanten Anekdoten,
gewürzt mit Dichtung und mehr oder weniger seiner M6disancc, Wohlgefallen
finden, jede Artigkeit den anwesenden Gegnern, die spitzen Pfeile der mocMei'le
den abwesenden Freunden zutheilen, als Waffe, mit der allein der Sieg zu
erringen, die Intrigue handhaben. Kurz sie werden gar bald moralische, nicht
selten auch physische Non6s und als solche behandeln sie denn auch die Geschäfte.
Gilt es z. B., die Negierung zu veranlassen, ihre Stimme mit jener der eig¬
nen Regierung in einer gewissen Angelegenheit bei einer dritten Macht — wir
meinen nicht den Bundestag — zu vereinigen, und ist die Unterhandlung
mittelst einer Depesche oder Verbalnote, in einer Conferenz zwischen dem Chef
der'Legation und des Ministeriums eingeleitet, dann beginnt erst die Thätig¬
keit, welche für die allein wirksame angesehn wird, bei welcher Talent und
Geschick sich zeigen können. Ein unlängst verstorbener unter Cvngreßverhand-
lungcn ergrauter Diplomat pflegte zu sagen, daß er manche und nicht die un-
bedeutendem Erfolge seinem trefflichen Koche zu verdanken habe. Dies,will
sagen, daß die persönliche Einwirkung, welche die Menschen bei ihren schwachen
Seiten zu fassen versteht, in der Regel mehr ausrichtet als die besten Gründe


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[0256] In eine Ansangsstelle bei dein Ministerium oder bei einer Gesandtschaft eingetreten, lernt der junge Diplomat bald die beiden Hauptrichtungen kennen, nach denen sich seine Thätigkeit zu manifestiren hat, die persönliche und die geschäftliche, den Salon und das Cabinet. Jeder von den Alten ist ein¬ mal jung gewesen und erinnert sich, nach welcher Seite es ihn und die meisten seiner Gefährten am mächtigsten hinzog, nachdem sie das Examen hinter sich und die Welt vor sich hatten. Man ist gezwungen, und wie gern läßt man sich zwingen, alle Sorgfalt auf ein möglichst vorteilhaftes äußeres Erscheinen zu verwenden, der Aufwand für die Toilette darf von dem Vater oder dem Vormund nicht angezweifelt werden, denn er ist av ig. xlus stricte neeessitö. Man kömmt nach Hose, man dinirt, soupirt, tanzt, spielt, besucht den Club, der allerdings mit dem Jakobinerclub nicht zu verwechseln ist, man thut dies nicht etwa aus Vergnügen, es ist reines Pflichtgebot. Vor allem muß man sich orientiren und bekannt machen; man muß die Personen und die Verhält¬ nisse des Hofes, der Ministerien, des diplomatischen Corps genau kennen lernen, und sorgen, daß man selbst bekannt, geschätzt und ausgezeichnet wird. Wie und wo ließe sich diese erste Aufgabe lösen, wenn nicht durch fleißige Benutzung der eigens hierzu bestimmten Einrichtungen und Gelegenheiten? Dagegen ist nichts einzuwenden, allein es erklärt, daß die Mehrzahl der in die praktische Laufbahn eintretenden jungen Herren der anziehender» Seite ihrer Berufsthätig¬ keit ihre Aufmerksamkeit und Neigung vorzugsweise zuwenden. Dieser Umstand aber wirkt bestimmend auf die Behandlung und Auffassung ein, welche sie sich sür die eigentlichen Geschäfte aneignen. Sie lernen im Umgang, nament¬ lich mit ihren Kollegen vom diplomatischen Corps, an pikanten Anekdoten, gewürzt mit Dichtung und mehr oder weniger seiner M6disancc, Wohlgefallen finden, jede Artigkeit den anwesenden Gegnern, die spitzen Pfeile der mocMei'le den abwesenden Freunden zutheilen, als Waffe, mit der allein der Sieg zu erringen, die Intrigue handhaben. Kurz sie werden gar bald moralische, nicht selten auch physische Non6s und als solche behandeln sie denn auch die Geschäfte. Gilt es z. B., die Negierung zu veranlassen, ihre Stimme mit jener der eig¬ nen Regierung in einer gewissen Angelegenheit bei einer dritten Macht — wir meinen nicht den Bundestag — zu vereinigen, und ist die Unterhandlung mittelst einer Depesche oder Verbalnote, in einer Conferenz zwischen dem Chef der'Legation und des Ministeriums eingeleitet, dann beginnt erst die Thätig¬ keit, welche für die allein wirksame angesehn wird, bei welcher Talent und Geschick sich zeigen können. Ein unlängst verstorbener unter Cvngreßverhand- lungcn ergrauter Diplomat pflegte zu sagen, daß er manche und nicht die un- bedeutendem Erfolge seinem trefflichen Koche zu verdanken habe. Dies,will sagen, daß die persönliche Einwirkung, welche die Menschen bei ihren schwachen Seiten zu fassen versteht, in der Regel mehr ausrichtet als die besten Gründe

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/256>, abgerufen am 15.01.2025.