Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.Adel, nicht allein Offiziere, sondern auch Hofleute und Diplomaten zu liefern, Unter den jungen Herren, welche von der Universität unmittelbar zu einer 31" ,
Adel, nicht allein Offiziere, sondern auch Hofleute und Diplomaten zu liefern, Unter den jungen Herren, welche von der Universität unmittelbar zu einer 31" ,
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0255" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/110603"/> <p xml:id="ID_723" prev="#ID_722"> Adel, nicht allein Offiziere, sondern auch Hofleute und Diplomaten zu liefern,<lb/> — beide Klassen werben ja so ziemlich aus dem nämlichen Holze geschnitzt,<lb/> — stärker sind als in andern Ländern; das Contingent ist so zahlreich, daß<lb/> man nicht zu wählerisch sein darf. Dennoch sind die angesehenen Familien,<lb/> welche diese Posten für ihre jeweiligen Söhne brauchen, entschieden gegen jede<lb/> Verminderung derselben, und aus dem nämlichen Grunde sind die gleichartigen<lb/> Familien in den europäischen Großstaaten die entschiedensten Gegner der Ein¬<lb/> heit Deutschlands. Wie mancher angenehme Ruheposten würde ihnen entge¬<lb/> hen, wo sollten sie ihre jungen Leute hinschicken, um ihnen die ersten Hand¬<lb/> griffe beizubringen, bevor sie an die eigentlichen Geschäfte gehn, wenn die<lb/> Stelle» an den kleinen, liebenswürdigen deutschen Höfen hinwegsielcn? Ja,<lb/> es spricht gar manches gegen den deutsche» Bundesstaat mit seiner einheit¬<lb/> lichen Vertretung nach außen, was wenig beachtet wird und doch schwer ins<lb/> Gewicht sällt! Ist es doch schon schlimm genng, daß es jetzt überall Consti-<lb/> tutionen gibt und Kammer», welche nichts von den auswärtigen Angelegen¬<lb/> heiten verstehn und daher die Ausgabe» für dieselben bis zur Unerträglichkeit<lb/> beschneiden. Jede Regung, ja eine bloße Meinungsäußerung zu Gunsten einer<lb/> Bundesreform odcr einer constitutionellen Verfassung heftet deshalb einem<lb/> Diplomaten eine schwarze Note an in den Kreisen, in welchen er leben muß;<lb/> hatte er dagegen Gelegenheit, ein dem Umsturze oder an der Unschädlichma¬<lb/> chung einer Konstitution mitzuarbeiten, dann ist sein Glück gemacht, er ist<lb/> der Held der Salons.</p><lb/> <p xml:id="ID_724"> Unter den jungen Herren, welche von der Universität unmittelbar zu einer<lb/> Gesandtschaft oder in die Bureaus der auswärtigen Angelegenheiten übergehn,<lb/> sind diejenigen in der günstigsten Lage, denen die französische Sprache von<lb/> Kindheit auf angelernt und in unausgesetztem Gebrauche erhalten worden ist.<lb/> Hat ein solcher gar das Glück in Paris geboren oder erzogen worden und<lb/> der deutschen Sprache nur. mangelhaft mächtig zu sein, dann müßten ihm alle<lb/> übrigen Eigenschaften vollständig fehlen, wenn es ihm nicht gelingen sollte,<lb/> Carnöre zu machen. Das Französische wird nicht allein im mündlichen und<lb/> schriftlichen Verkehr mit dem Auslande gebraucht, es ist auch das unentbehr¬<lb/> liche Vehikel 6e 1'g.re ac cirusvi-, der Kunst, angenehm zu sprechen, ohne etwas<lb/> zu sagen. Schon im Examen wird vorzugsweise auf den französischen Stil<lb/> gesehn, in welchem die Denkschrift des künftigen Metternich odcr Talleyrand<lb/> über irgend eine schwierige Frage geschrieben ist. Wird ihm z. B. ausgegeben,<lb/> sich über die wahren Gründe zu äußern, welche Preußen zu dem Abschlüsse<lb/> des baseler Friedens bestimmt haben, so darf er auf eine gute Note hoffen,<lb/> wenn es ihm gelingt, in zierlichem Französisch Momente hervorzuheben, an<lb/> welche noch kein Mensch gedacht hat. und kein Geschichtschreiber jemals denken<lb/> wird.</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 31" ,</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0255]
Adel, nicht allein Offiziere, sondern auch Hofleute und Diplomaten zu liefern,
— beide Klassen werben ja so ziemlich aus dem nämlichen Holze geschnitzt,
— stärker sind als in andern Ländern; das Contingent ist so zahlreich, daß
man nicht zu wählerisch sein darf. Dennoch sind die angesehenen Familien,
welche diese Posten für ihre jeweiligen Söhne brauchen, entschieden gegen jede
Verminderung derselben, und aus dem nämlichen Grunde sind die gleichartigen
Familien in den europäischen Großstaaten die entschiedensten Gegner der Ein¬
heit Deutschlands. Wie mancher angenehme Ruheposten würde ihnen entge¬
hen, wo sollten sie ihre jungen Leute hinschicken, um ihnen die ersten Hand¬
griffe beizubringen, bevor sie an die eigentlichen Geschäfte gehn, wenn die
Stelle» an den kleinen, liebenswürdigen deutschen Höfen hinwegsielcn? Ja,
es spricht gar manches gegen den deutsche» Bundesstaat mit seiner einheit¬
lichen Vertretung nach außen, was wenig beachtet wird und doch schwer ins
Gewicht sällt! Ist es doch schon schlimm genng, daß es jetzt überall Consti-
tutionen gibt und Kammer», welche nichts von den auswärtigen Angelegen¬
heiten verstehn und daher die Ausgabe» für dieselben bis zur Unerträglichkeit
beschneiden. Jede Regung, ja eine bloße Meinungsäußerung zu Gunsten einer
Bundesreform odcr einer constitutionellen Verfassung heftet deshalb einem
Diplomaten eine schwarze Note an in den Kreisen, in welchen er leben muß;
hatte er dagegen Gelegenheit, ein dem Umsturze oder an der Unschädlichma¬
chung einer Konstitution mitzuarbeiten, dann ist sein Glück gemacht, er ist
der Held der Salons.
Unter den jungen Herren, welche von der Universität unmittelbar zu einer
Gesandtschaft oder in die Bureaus der auswärtigen Angelegenheiten übergehn,
sind diejenigen in der günstigsten Lage, denen die französische Sprache von
Kindheit auf angelernt und in unausgesetztem Gebrauche erhalten worden ist.
Hat ein solcher gar das Glück in Paris geboren oder erzogen worden und
der deutschen Sprache nur. mangelhaft mächtig zu sein, dann müßten ihm alle
übrigen Eigenschaften vollständig fehlen, wenn es ihm nicht gelingen sollte,
Carnöre zu machen. Das Französische wird nicht allein im mündlichen und
schriftlichen Verkehr mit dem Auslande gebraucht, es ist auch das unentbehr¬
liche Vehikel 6e 1'g.re ac cirusvi-, der Kunst, angenehm zu sprechen, ohne etwas
zu sagen. Schon im Examen wird vorzugsweise auf den französischen Stil
gesehn, in welchem die Denkschrift des künftigen Metternich odcr Talleyrand
über irgend eine schwierige Frage geschrieben ist. Wird ihm z. B. ausgegeben,
sich über die wahren Gründe zu äußern, welche Preußen zu dem Abschlüsse
des baseler Friedens bestimmt haben, so darf er auf eine gute Note hoffen,
wenn es ihm gelingt, in zierlichem Französisch Momente hervorzuheben, an
welche noch kein Mensch gedacht hat. und kein Geschichtschreiber jemals denken
wird.
31" ,
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |