Mit den sorgfältig aufbewahrten Kränzen, mit denen man am Frohn leichnamsfeste und dem darauf folgenden Donnerstag und Sonntag alle Heiligenbilder und Kreuze, alle Leuchter und Kruge schmückt, wird vielfacher Aberglaube getrieben. Aber der echte Tag für die Sammlung heilbringen¬ der Kräuter ist der 15. August, Maria Himmelfahrt, "unserer lieben Frauen Tag der Ehren", mit dem der "Frauendreißigst" beginnt. Zu dieser Zeit ist die ganze Natur nach dem Volksglauben dem Menschen am meisten hold, die giftigen Thiere und Pflanzen verlieren während derselben ihre schädlichen Eigenschaften, die wohlthätigen Kräuter und Wurzeln haben ihre vollste Heil¬ kraft erlangt, und so werden an diesem Tage auch in der Kirche die "Sangen". Büschel solcher Kräuter geweiht, welche, auf dem Dachboden der Häuser bewahrt, den Blitzstrahl abhalten.
Zu Ende August fällt das Erntefest, hier zu Lande Schnitthahn oder Sichclhenk genannt. Es unterscheidet sich von den Mittel- und norddeutschen Ernteschmäusen in nichts Wesentlichen. Dasselbe gilt von der in den meisten altbayerischen Gegenden in den letzten Wochen des September gefeierten Kirchweihe. Wie bei uns ist sie der Glanzpunkt bäuerlichen Lebens, wie bei uns 'ladet der Bauer dazu die gesammte Verwandtschaft und Bekanntschaft ein, und wie bei uns bestehn die Hauptfreuden dieses Festes in Schmaus und Tanz. Während die Erlaubniß zum Tanz sonst eine sehr beschränkte ist, darf am "Kirta" das Volk nach Herzenslust vom Schluß der Vesper bis zum frühen Morgen sich drehen. , Dabei konimcn nur noch hin und wieder die alten volksthümlichen Tänze vor, und fast überall drängen sich die modernen Touren städtischer Bälle ein. Interessante alte Tänze sind der im Salz¬ burgischen noch übliche "Aufundab", wobei jedes tanzende Paar ein be¬ stimmtes Bret nicht verlassen darf, der im Land an der Sempt und Ihm noch gebräuchliche "Huttanz", bei welchem ein Hut als Gewinn ausgewürfelt wird, und der schwäbische "Langaus", ein Ländler für ein Paar, wobei das Mädchen sich mit sittig gesenkten Augen still fortdrcht, indeß ihr Bursch sie umkreisend auf alle Weise seine Freude und Liebe pantomimisch ausdrückt.
Am Häufigsten werden der sehr langsam getanzte Dreischrittwalzer und der bayerische Ländler executire) welcher letztere besonders von dem lebhaften Gebirgsvolk an der Mangfall und der Loisach mit einem Stampfen. Pfeifen. Jauchzen und Singen getanzt wird, das selbst 'das Gellen der Klarinetten und das Schmettern der Trompeten übertäubt. Auch auf dem linken Ufer des Innthals ist die Tanzlust sehr groß. Im Jahr 1846 mußte das Landgericht Rosenheim das sogenannte Austanzen der Mädchen aus Gesundheitsrücksichten verbitten, da gute Tänzerinnen selten ein paar Augenblicke Ruhe hatten, sondern unausgesetzt Nächte hindurch Extratonren tanzten. "Einen auffallen¬ den Gegensatz hierzu bildet die Ramsau, wo an den drei einzigen Tanztagen:
Mit den sorgfältig aufbewahrten Kränzen, mit denen man am Frohn leichnamsfeste und dem darauf folgenden Donnerstag und Sonntag alle Heiligenbilder und Kreuze, alle Leuchter und Kruge schmückt, wird vielfacher Aberglaube getrieben. Aber der echte Tag für die Sammlung heilbringen¬ der Kräuter ist der 15. August, Maria Himmelfahrt, „unserer lieben Frauen Tag der Ehren", mit dem der „Frauendreißigst" beginnt. Zu dieser Zeit ist die ganze Natur nach dem Volksglauben dem Menschen am meisten hold, die giftigen Thiere und Pflanzen verlieren während derselben ihre schädlichen Eigenschaften, die wohlthätigen Kräuter und Wurzeln haben ihre vollste Heil¬ kraft erlangt, und so werden an diesem Tage auch in der Kirche die „Sangen". Büschel solcher Kräuter geweiht, welche, auf dem Dachboden der Häuser bewahrt, den Blitzstrahl abhalten.
Zu Ende August fällt das Erntefest, hier zu Lande Schnitthahn oder Sichclhenk genannt. Es unterscheidet sich von den Mittel- und norddeutschen Ernteschmäusen in nichts Wesentlichen. Dasselbe gilt von der in den meisten altbayerischen Gegenden in den letzten Wochen des September gefeierten Kirchweihe. Wie bei uns ist sie der Glanzpunkt bäuerlichen Lebens, wie bei uns 'ladet der Bauer dazu die gesammte Verwandtschaft und Bekanntschaft ein, und wie bei uns bestehn die Hauptfreuden dieses Festes in Schmaus und Tanz. Während die Erlaubniß zum Tanz sonst eine sehr beschränkte ist, darf am „Kirta" das Volk nach Herzenslust vom Schluß der Vesper bis zum frühen Morgen sich drehen. , Dabei konimcn nur noch hin und wieder die alten volksthümlichen Tänze vor, und fast überall drängen sich die modernen Touren städtischer Bälle ein. Interessante alte Tänze sind der im Salz¬ burgischen noch übliche „Aufundab", wobei jedes tanzende Paar ein be¬ stimmtes Bret nicht verlassen darf, der im Land an der Sempt und Ihm noch gebräuchliche „Huttanz", bei welchem ein Hut als Gewinn ausgewürfelt wird, und der schwäbische „Langaus", ein Ländler für ein Paar, wobei das Mädchen sich mit sittig gesenkten Augen still fortdrcht, indeß ihr Bursch sie umkreisend auf alle Weise seine Freude und Liebe pantomimisch ausdrückt.
Am Häufigsten werden der sehr langsam getanzte Dreischrittwalzer und der bayerische Ländler executire) welcher letztere besonders von dem lebhaften Gebirgsvolk an der Mangfall und der Loisach mit einem Stampfen. Pfeifen. Jauchzen und Singen getanzt wird, das selbst 'das Gellen der Klarinetten und das Schmettern der Trompeten übertäubt. Auch auf dem linken Ufer des Innthals ist die Tanzlust sehr groß. Im Jahr 1846 mußte das Landgericht Rosenheim das sogenannte Austanzen der Mädchen aus Gesundheitsrücksichten verbitten, da gute Tänzerinnen selten ein paar Augenblicke Ruhe hatten, sondern unausgesetzt Nächte hindurch Extratonren tanzten. „Einen auffallen¬ den Gegensatz hierzu bildet die Ramsau, wo an den drei einzigen Tanztagen:
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Mit den sorgfältig aufbewahrten Kränzen, mit denen man am Frohn
leichnamsfeste und dem darauf folgenden Donnerstag und Sonntag alle
Heiligenbilder und Kreuze, alle Leuchter und Kruge schmückt, wird vielfacher
Aberglaube getrieben. Aber der echte Tag für die Sammlung heilbringen¬
der Kräuter ist der 15. August, Maria Himmelfahrt, „unserer lieben Frauen
Tag der Ehren", mit dem der „Frauendreißigst" beginnt. Zu dieser Zeit ist
die ganze Natur nach dem Volksglauben dem Menschen am meisten hold, die
giftigen Thiere und Pflanzen verlieren während derselben ihre schädlichen
Eigenschaften, die wohlthätigen Kräuter und Wurzeln haben ihre vollste Heil¬
kraft erlangt, und so werden an diesem Tage auch in der Kirche die
„Sangen". Büschel solcher Kräuter geweiht, welche, auf dem Dachboden der
Häuser bewahrt, den Blitzstrahl abhalten.
Zu Ende August fällt das Erntefest, hier zu Lande Schnitthahn oder
Sichclhenk genannt. Es unterscheidet sich von den Mittel- und norddeutschen
Ernteschmäusen in nichts Wesentlichen. Dasselbe gilt von der in den meisten
altbayerischen Gegenden in den letzten Wochen des September gefeierten
Kirchweihe. Wie bei uns ist sie der Glanzpunkt bäuerlichen Lebens, wie bei
uns 'ladet der Bauer dazu die gesammte Verwandtschaft und Bekanntschaft
ein, und wie bei uns bestehn die Hauptfreuden dieses Festes in Schmaus und
Tanz. Während die Erlaubniß zum Tanz sonst eine sehr beschränkte ist, darf
am „Kirta" das Volk nach Herzenslust vom Schluß der Vesper bis zum
frühen Morgen sich drehen. , Dabei konimcn nur noch hin und wieder die
alten volksthümlichen Tänze vor, und fast überall drängen sich die modernen
Touren städtischer Bälle ein. Interessante alte Tänze sind der im Salz¬
burgischen noch übliche „Aufundab", wobei jedes tanzende Paar ein be¬
stimmtes Bret nicht verlassen darf, der im Land an der Sempt und Ihm
noch gebräuchliche „Huttanz", bei welchem ein Hut als Gewinn ausgewürfelt
wird, und der schwäbische „Langaus", ein Ländler für ein Paar, wobei das
Mädchen sich mit sittig gesenkten Augen still fortdrcht, indeß ihr Bursch sie
umkreisend auf alle Weise seine Freude und Liebe pantomimisch ausdrückt.
Am Häufigsten werden der sehr langsam getanzte Dreischrittwalzer und
der bayerische Ländler executire) welcher letztere besonders von dem lebhaften
Gebirgsvolk an der Mangfall und der Loisach mit einem Stampfen. Pfeifen.
Jauchzen und Singen getanzt wird, das selbst 'das Gellen der Klarinetten und
das Schmettern der Trompeten übertäubt. Auch auf dem linken Ufer des
Innthals ist die Tanzlust sehr groß. Im Jahr 1846 mußte das Landgericht
Rosenheim das sogenannte Austanzen der Mädchen aus Gesundheitsrücksichten
verbitten, da gute Tänzerinnen selten ein paar Augenblicke Ruhe hatten,
sondern unausgesetzt Nächte hindurch Extratonren tanzten. „Einen auffallen¬
den Gegensatz hierzu bildet die Ramsau, wo an den drei einzigen Tanztagen:
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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/241>, abgerufen am 25.01.2025.
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