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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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Gewinner ist Festkönig, das Tuch bekommt sein Schatz, den Vogelkopf aber,
den Santrigel, nagelt er aus den First seiner Scheuer, die derselbe das Jahr
über vor Wetter- und Feuersgefahr schützt. In manchen Gegenden ist die
Begleitung des Wasservogels sehr bunt und wunderlich zusammengesetzt, ein
vollkommner Maskenzug. Man sieht darunter den alten Bachus auf seinem
Faß, den Doctor Luther mit seiner Käthe, mit den Bratwürsten, die er bei
seiner eiligen Flucht aus Augsburg (einer katholischen Sage nach) unbezahlt
gelassen, mit der Taube, die er aus der Bibel lesen läßt, den Wundcrdoctor
in der Tracht des welschen Cavaliers aus dem achtzehnten Jahrhundert, den
bayerischen Hiesel, Schäfer, Jäger, Scherenschleifer und Schornsteinfeger und
zum Schluß als Bedeckung den Nachtwächter mit Spieß und Laterne.

Die Lust an solchen Aufzügen ist überhaupt so lebendig im altbayerischen
Landvolk, daß die Pfarrer Mühe haben, sie von den reinkirchlichen Proces¬
sionen fern zu halten. sowol bei den Feldumgängen mit Kreuz und Fahne,
welche man in ganz Oberbayern während des Sommers mit der Bitte um
Gedeihen der Saat hält (sie finden gemeiniglich alle Sonnabende statt), als
bei den zahlreichen Processionen an den Tagen besonders gefeierter Heiligen
gibt sich die Neigung kund, allerlei unchristliche Dinge, freilich im besten
Glauben, einzumischen. Dies geschieht namentlich im Vorland, wo es die
jungen Leute lieben, bei jenen Feldumzügen und anderen Processionen hohe
Tannenstangen, oben mit einem Fähnchen geziert, umherzutragen und in der
Kunst des Fahnenschlängelns, d. h. geschickten Balancirens zu wetteifern. Diese
"Palmstangen" verscheuchen Hagel- und Wetterschlag von den Feldern, und
die Herren Pfarrer gerathen oft in schwere Bedrängnis, da man von ihnen
nicht blos Zulassung, sondern obendrein Einweihung der Stangen fordert
und es ihnen (wir meinen mit gutem Recht) schwer verdenke, daß sie sich hier
weigern, während sie doch in Betreff von Salz, Wasser und Wachs am
Dreikönigstage immer bereit sind, in den Schatz zu greifen, der die Segnun¬
gen der kirchlichen Weihe bewahrt.

Die glänzendsten Processionen sind die am Frohnleichnamsfest oder
Antlaß. Hier entfaltet jede Kirche ihren kleinen Reichthum, thut jede Ge¬
meinde an Schmuck und Pracht ihr Bestes. Aber auch hier mischte noch
vor nicht langer Zeit der Volksgeschmack manchen seltsamen Zusatz aus dem
Weltleben in die kirchliche Schaustellung. Ein Beispiel davon führt die
"Bavaria" aus dem Jsarwinkel an, wo in dem Orte Längries neben den
Bruderschaften mit ihren Tragbildern und Fahnen, neben den frommen Jung¬
frauen in ihrer weißen Tracht, neben dem Engel mit dem Helm und den
Flügeln von Gold ganz ungenirt eine Schaar von Jägern im Rocococostüme
mit Flinten und Hunden und ein Zug von zwanzig berittenen Burschen in
Husarentracht einhermarschirte.


Gewinner ist Festkönig, das Tuch bekommt sein Schatz, den Vogelkopf aber,
den Santrigel, nagelt er aus den First seiner Scheuer, die derselbe das Jahr
über vor Wetter- und Feuersgefahr schützt. In manchen Gegenden ist die
Begleitung des Wasservogels sehr bunt und wunderlich zusammengesetzt, ein
vollkommner Maskenzug. Man sieht darunter den alten Bachus auf seinem
Faß, den Doctor Luther mit seiner Käthe, mit den Bratwürsten, die er bei
seiner eiligen Flucht aus Augsburg (einer katholischen Sage nach) unbezahlt
gelassen, mit der Taube, die er aus der Bibel lesen läßt, den Wundcrdoctor
in der Tracht des welschen Cavaliers aus dem achtzehnten Jahrhundert, den
bayerischen Hiesel, Schäfer, Jäger, Scherenschleifer und Schornsteinfeger und
zum Schluß als Bedeckung den Nachtwächter mit Spieß und Laterne.

Die Lust an solchen Aufzügen ist überhaupt so lebendig im altbayerischen
Landvolk, daß die Pfarrer Mühe haben, sie von den reinkirchlichen Proces¬
sionen fern zu halten. sowol bei den Feldumgängen mit Kreuz und Fahne,
welche man in ganz Oberbayern während des Sommers mit der Bitte um
Gedeihen der Saat hält (sie finden gemeiniglich alle Sonnabende statt), als
bei den zahlreichen Processionen an den Tagen besonders gefeierter Heiligen
gibt sich die Neigung kund, allerlei unchristliche Dinge, freilich im besten
Glauben, einzumischen. Dies geschieht namentlich im Vorland, wo es die
jungen Leute lieben, bei jenen Feldumzügen und anderen Processionen hohe
Tannenstangen, oben mit einem Fähnchen geziert, umherzutragen und in der
Kunst des Fahnenschlängelns, d. h. geschickten Balancirens zu wetteifern. Diese
„Palmstangen" verscheuchen Hagel- und Wetterschlag von den Feldern, und
die Herren Pfarrer gerathen oft in schwere Bedrängnis, da man von ihnen
nicht blos Zulassung, sondern obendrein Einweihung der Stangen fordert
und es ihnen (wir meinen mit gutem Recht) schwer verdenke, daß sie sich hier
weigern, während sie doch in Betreff von Salz, Wasser und Wachs am
Dreikönigstage immer bereit sind, in den Schatz zu greifen, der die Segnun¬
gen der kirchlichen Weihe bewahrt.

Die glänzendsten Processionen sind die am Frohnleichnamsfest oder
Antlaß. Hier entfaltet jede Kirche ihren kleinen Reichthum, thut jede Ge¬
meinde an Schmuck und Pracht ihr Bestes. Aber auch hier mischte noch
vor nicht langer Zeit der Volksgeschmack manchen seltsamen Zusatz aus dem
Weltleben in die kirchliche Schaustellung. Ein Beispiel davon führt die
„Bavaria" aus dem Jsarwinkel an, wo in dem Orte Längries neben den
Bruderschaften mit ihren Tragbildern und Fahnen, neben den frommen Jung¬
frauen in ihrer weißen Tracht, neben dem Engel mit dem Helm und den
Flügeln von Gold ganz ungenirt eine Schaar von Jägern im Rocococostüme
mit Flinten und Hunden und ein Zug von zwanzig berittenen Burschen in
Husarentracht einhermarschirte.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/240>, abgerufen am 15.01.2025.