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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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Kirchweih, Fastnacht und Kathrey oft alle Buben nur 3 bis 4 Tänzerinnen
haben, da die meisten Mädchen gar nicht tanzen können. Man
tanzt gewöhnlich nach Schaaren, d. h. je vier Paare, die für eine Schanze,
d. h. drei Touren 1 Gulden 12 Kreuzer bezahlen. Einzeltänzer werden ungern
gesehn. Der prahlerische Bursche, der den Spielleuten das Tanzgeld zu¬
werfend und den Andern die Zeit wegnehmend mit seinem Schatz allein oder
höchstens mit einigen Freunden, denen er die Theilnahme gestattet, den
Andern vor der Nase herumtanzen will, wird gar bald mit Trutzliedern ge¬
straft, deren unausbleibliche Folge zuletzt eine erfreuliche Rauferei ist, welche
in vielen Gegenden so nothwendig an den Schluß einer rechten Kirchweih
gehört wie Messe und Vesper an den Anfang."

Der 28. October, der Tag Simonis und Judä, ist der Tag einer großen
Gilde: der "Sicmannlbruderschaft", d. h. der Ehemänner, die unter dem Pan¬
toffel ihrer Weiber stehn.

Am Allerseelentag werden die Gräber vom Unkraut gesäubert und mit
der rothen Vogelbeere, die einst dem Donar heilig war, allerlei Figuren da¬
rauf ausgelegt, das Grabkreuz mit einem Kranz geschmückt und der Weih-
brunn frisch gefüllt. Festgebäcke des Tages sind der Seelenzopf und der Seelen¬
wecken, letzterer für Kinder und Arme bestimmt, die darum bettelnd von Haus
zu Haus gehn. Uebrigens gibt die Nacht von Allerheiligen auf Allerseelen
den Geistern Erlaubniß zu erscheinen und zu walten bis zum Dreikönigstag. Das
wilde Gejaid, die Holzweiblein, Kobolde und Zwerge, verwünschte Seelen und
allerhand andrer Gespenstertroß haben dann gute Zeit.

Der 6. November, der Tag des heiligen Leonhard wird in vielen Gegen¬
den durch große berittne Wallfahrten, "Leonhardsritte," gefeiert. Sanct Leon¬
hard ist der Hanptpatron der Pferdezucht, man opfert ihn, die Eisen von den
Hufen der kranken Rosse, die er heilen soll in Natura oder in Wachs, und
seine Kapellen hängen voll von,derartigen Spenden. Durch ganz Oberbayern findet
man solche Kapellen, oft mitten im Walde und stundenweit von den Menschen¬
wohnungen. Häusig sind diese Waldkirchlein von eisernen Ketten umspannt,
die aus den Stnllkettcn der kranken, dem Heiligen verlobten Thiere zusammen¬
geschmiedet sind. Die berühmtesten Wallsahrtskapelien dieser Art sind im Jsar-
land die zu Rhöneck, zu Harmating und Strauchhartiug, dann die in Kreuch,
in Fischhauscn am Schliersee, in Höpping zwischen Giou und In", zu Flints¬
bach. Waging. Neukirchen und Jnchenhofcn.

Die Leonhardsritte, werden oft durch die Menge der Theilnehmer zu großen
Volksfesten. Dann kommen die Bauern schon am Vorabend zur Vesper, jeder
mit zwei Pferden, reiten drei Mal um die Kapelle, binden die Rosse im Walde
um. beten einen Rosenkranz und ziehn nach einem nochmaligen Umritt wieder
heim. "Am Festtag selbst kommen die Leute schon in aller Frühe viele Meilen


Kirchweih, Fastnacht und Kathrey oft alle Buben nur 3 bis 4 Tänzerinnen
haben, da die meisten Mädchen gar nicht tanzen können. Man
tanzt gewöhnlich nach Schaaren, d. h. je vier Paare, die für eine Schanze,
d. h. drei Touren 1 Gulden 12 Kreuzer bezahlen. Einzeltänzer werden ungern
gesehn. Der prahlerische Bursche, der den Spielleuten das Tanzgeld zu¬
werfend und den Andern die Zeit wegnehmend mit seinem Schatz allein oder
höchstens mit einigen Freunden, denen er die Theilnahme gestattet, den
Andern vor der Nase herumtanzen will, wird gar bald mit Trutzliedern ge¬
straft, deren unausbleibliche Folge zuletzt eine erfreuliche Rauferei ist, welche
in vielen Gegenden so nothwendig an den Schluß einer rechten Kirchweih
gehört wie Messe und Vesper an den Anfang."

Der 28. October, der Tag Simonis und Judä, ist der Tag einer großen
Gilde: der „Sicmannlbruderschaft", d. h. der Ehemänner, die unter dem Pan¬
toffel ihrer Weiber stehn.

Am Allerseelentag werden die Gräber vom Unkraut gesäubert und mit
der rothen Vogelbeere, die einst dem Donar heilig war, allerlei Figuren da¬
rauf ausgelegt, das Grabkreuz mit einem Kranz geschmückt und der Weih-
brunn frisch gefüllt. Festgebäcke des Tages sind der Seelenzopf und der Seelen¬
wecken, letzterer für Kinder und Arme bestimmt, die darum bettelnd von Haus
zu Haus gehn. Uebrigens gibt die Nacht von Allerheiligen auf Allerseelen
den Geistern Erlaubniß zu erscheinen und zu walten bis zum Dreikönigstag. Das
wilde Gejaid, die Holzweiblein, Kobolde und Zwerge, verwünschte Seelen und
allerhand andrer Gespenstertroß haben dann gute Zeit.

Der 6. November, der Tag des heiligen Leonhard wird in vielen Gegen¬
den durch große berittne Wallfahrten, „Leonhardsritte," gefeiert. Sanct Leon¬
hard ist der Hanptpatron der Pferdezucht, man opfert ihn, die Eisen von den
Hufen der kranken Rosse, die er heilen soll in Natura oder in Wachs, und
seine Kapellen hängen voll von,derartigen Spenden. Durch ganz Oberbayern findet
man solche Kapellen, oft mitten im Walde und stundenweit von den Menschen¬
wohnungen. Häusig sind diese Waldkirchlein von eisernen Ketten umspannt,
die aus den Stnllkettcn der kranken, dem Heiligen verlobten Thiere zusammen¬
geschmiedet sind. Die berühmtesten Wallsahrtskapelien dieser Art sind im Jsar-
land die zu Rhöneck, zu Harmating und Strauchhartiug, dann die in Kreuch,
in Fischhauscn am Schliersee, in Höpping zwischen Giou und In», zu Flints¬
bach. Waging. Neukirchen und Jnchenhofcn.

Die Leonhardsritte, werden oft durch die Menge der Theilnehmer zu großen
Volksfesten. Dann kommen die Bauern schon am Vorabend zur Vesper, jeder
mit zwei Pferden, reiten drei Mal um die Kapelle, binden die Rosse im Walde
um. beten einen Rosenkranz und ziehn nach einem nochmaligen Umritt wieder
heim. „Am Festtag selbst kommen die Leute schon in aller Frühe viele Meilen


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[0242] Kirchweih, Fastnacht und Kathrey oft alle Buben nur 3 bis 4 Tänzerinnen haben, da die meisten Mädchen gar nicht tanzen können. Man tanzt gewöhnlich nach Schaaren, d. h. je vier Paare, die für eine Schanze, d. h. drei Touren 1 Gulden 12 Kreuzer bezahlen. Einzeltänzer werden ungern gesehn. Der prahlerische Bursche, der den Spielleuten das Tanzgeld zu¬ werfend und den Andern die Zeit wegnehmend mit seinem Schatz allein oder höchstens mit einigen Freunden, denen er die Theilnahme gestattet, den Andern vor der Nase herumtanzen will, wird gar bald mit Trutzliedern ge¬ straft, deren unausbleibliche Folge zuletzt eine erfreuliche Rauferei ist, welche in vielen Gegenden so nothwendig an den Schluß einer rechten Kirchweih gehört wie Messe und Vesper an den Anfang." Der 28. October, der Tag Simonis und Judä, ist der Tag einer großen Gilde: der „Sicmannlbruderschaft", d. h. der Ehemänner, die unter dem Pan¬ toffel ihrer Weiber stehn. Am Allerseelentag werden die Gräber vom Unkraut gesäubert und mit der rothen Vogelbeere, die einst dem Donar heilig war, allerlei Figuren da¬ rauf ausgelegt, das Grabkreuz mit einem Kranz geschmückt und der Weih- brunn frisch gefüllt. Festgebäcke des Tages sind der Seelenzopf und der Seelen¬ wecken, letzterer für Kinder und Arme bestimmt, die darum bettelnd von Haus zu Haus gehn. Uebrigens gibt die Nacht von Allerheiligen auf Allerseelen den Geistern Erlaubniß zu erscheinen und zu walten bis zum Dreikönigstag. Das wilde Gejaid, die Holzweiblein, Kobolde und Zwerge, verwünschte Seelen und allerhand andrer Gespenstertroß haben dann gute Zeit. Der 6. November, der Tag des heiligen Leonhard wird in vielen Gegen¬ den durch große berittne Wallfahrten, „Leonhardsritte," gefeiert. Sanct Leon¬ hard ist der Hanptpatron der Pferdezucht, man opfert ihn, die Eisen von den Hufen der kranken Rosse, die er heilen soll in Natura oder in Wachs, und seine Kapellen hängen voll von,derartigen Spenden. Durch ganz Oberbayern findet man solche Kapellen, oft mitten im Walde und stundenweit von den Menschen¬ wohnungen. Häusig sind diese Waldkirchlein von eisernen Ketten umspannt, die aus den Stnllkettcn der kranken, dem Heiligen verlobten Thiere zusammen¬ geschmiedet sind. Die berühmtesten Wallsahrtskapelien dieser Art sind im Jsar- land die zu Rhöneck, zu Harmating und Strauchhartiug, dann die in Kreuch, in Fischhauscn am Schliersee, in Höpping zwischen Giou und In», zu Flints¬ bach. Waging. Neukirchen und Jnchenhofcn. Die Leonhardsritte, werden oft durch die Menge der Theilnehmer zu großen Volksfesten. Dann kommen die Bauern schon am Vorabend zur Vesper, jeder mit zwei Pferden, reiten drei Mal um die Kapelle, binden die Rosse im Walde um. beten einen Rosenkranz und ziehn nach einem nochmaligen Umritt wieder heim. „Am Festtag selbst kommen die Leute schon in aller Frühe viele Meilen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/242>, abgerufen am 15.01.2025.