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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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kleidung meist sehr einfach: man kehrt die Kleider um und schwärzt sich die
Gesichter, In solchem Aufzug besuchen die jungen Leute die Nachbardörfer
und ziehe" deren Bewohner mit den allerwärts vorkommenden neckischen Be¬
schuldigungen auf, die eine Gemeinde gegen die andere nach dem Muster der
Erzählungen von den Lalenburgeru zu erfinden pflegt. Der Fastnachtsschim¬
mel, ein kleines Drama, bei welchem ein Bursch auf künstlichem Rößlein, be¬
gleitet von maskirten Genossen, von Haus zu Haus zog und die Bewohner
in schnurrigen Versen verspottete, ist nur selten noch zu sehn. Dagegen wird
hier und dn noch die Fastnacht in scherzhafter Procession durch das Dorf ge¬
führt und schließlich im größten Dunghaufen desselben begraben. Das Ende
dieser Scherze macht die Aschermittwoch, der "äscherige Mitla" wo sich Vor¬
mittags die ganze Gemeinde in der Kirche feierlich einäschert und des Abends
die geweihte Asche aus die Felder gestreut wird, "was der Saat ersprießlicher
ist als drei Tage Regen und drei Tage Sonnenschein".

Im Lauf des Februar wird das Ausdreschen des geernteten Getreides
vollendet. Wer dabei auf die letzte Garbe den letzten Schlag mit der Drischel
führt, wird mit allerhand Scherzen gefeiert. "Im Lechrain (vergl. unsre Mit¬
theilungen über deutsche Erutegcbräuche in Ur. 34 dieses Jahrganges) heißt
es von ihm "er hat die Los", d. h. die Sau; er muß den letzten Stroh¬
büschel heimlich in die Tenne des nächsten Bauern zu werfen suchen, der mit
dem Ausdreschen noch im Rückstände ist, und der nun, wenn es gelang, ihm
jenen greifbaren Beweis, daß man ihm zuvorgekommen, heimlich zuzustecken,
ob seiner Saumsal schwer verhöhnt wird. Deshalb stehn aber die Knechte
dessen, der ein solches Zustecken der Los zu fürchten hat, auf scharfer Lauer,
und wird der Loswerfer beim Anschleichen entdeckt, so geht es ihm schlecht:
er wird gebunden, im Gesicht mit Ruß beschmiert, in den Brunnen getaucht
und endlich in Stricken seinem Herrn zugeführt." Den Beschluß der "Drischl-
hent" macht eine fröhliche Mahlzeit, bei welcher der Ehrenknecht, der den
letzten Schlag gethan, das "Losküchel" bekommt, das oft 2 bis 3 Schuh breit,
mit Wachslichtern besteckt und mit kleinen dreschenden Bauern von Wachs
verziert ist.

Am Sonntag Lätare, dem "Rosensonntag" kommt hier und da noch der
Umzug von Sommer und Winter vor, wobei der erstere in alles Grün, das
die Jahreszeit gewährt, gekleidet, mit Bändern geschmückt, und ein Blütenreis
oder einen mit Aepfeln behangenen Baum in der Hand auftritt, während der
Winter in Pelzrock und Pelzmütze, mit der Schnecschaufel oder dem Dresch¬
flegel erscheint. Eine Gesellschaft in entsprechender Tracht durchzieht mit den
beiden Parteiführern das Dorf, man singt alte Lieder ab, sammelt Geschenke
an Brot, Eiern und Obst für den "luschtinge Sommer" und führt ein kleines
Gefecht auf, wobei der Winter vom Sommer besiegt und nun entweder in


kleidung meist sehr einfach: man kehrt die Kleider um und schwärzt sich die
Gesichter, In solchem Aufzug besuchen die jungen Leute die Nachbardörfer
und ziehe» deren Bewohner mit den allerwärts vorkommenden neckischen Be¬
schuldigungen auf, die eine Gemeinde gegen die andere nach dem Muster der
Erzählungen von den Lalenburgeru zu erfinden pflegt. Der Fastnachtsschim¬
mel, ein kleines Drama, bei welchem ein Bursch auf künstlichem Rößlein, be¬
gleitet von maskirten Genossen, von Haus zu Haus zog und die Bewohner
in schnurrigen Versen verspottete, ist nur selten noch zu sehn. Dagegen wird
hier und dn noch die Fastnacht in scherzhafter Procession durch das Dorf ge¬
führt und schließlich im größten Dunghaufen desselben begraben. Das Ende
dieser Scherze macht die Aschermittwoch, der „äscherige Mitla" wo sich Vor¬
mittags die ganze Gemeinde in der Kirche feierlich einäschert und des Abends
die geweihte Asche aus die Felder gestreut wird, „was der Saat ersprießlicher
ist als drei Tage Regen und drei Tage Sonnenschein".

Im Lauf des Februar wird das Ausdreschen des geernteten Getreides
vollendet. Wer dabei auf die letzte Garbe den letzten Schlag mit der Drischel
führt, wird mit allerhand Scherzen gefeiert. „Im Lechrain (vergl. unsre Mit¬
theilungen über deutsche Erutegcbräuche in Ur. 34 dieses Jahrganges) heißt
es von ihm „er hat die Los", d. h. die Sau; er muß den letzten Stroh¬
büschel heimlich in die Tenne des nächsten Bauern zu werfen suchen, der mit
dem Ausdreschen noch im Rückstände ist, und der nun, wenn es gelang, ihm
jenen greifbaren Beweis, daß man ihm zuvorgekommen, heimlich zuzustecken,
ob seiner Saumsal schwer verhöhnt wird. Deshalb stehn aber die Knechte
dessen, der ein solches Zustecken der Los zu fürchten hat, auf scharfer Lauer,
und wird der Loswerfer beim Anschleichen entdeckt, so geht es ihm schlecht:
er wird gebunden, im Gesicht mit Ruß beschmiert, in den Brunnen getaucht
und endlich in Stricken seinem Herrn zugeführt." Den Beschluß der „Drischl-
hent" macht eine fröhliche Mahlzeit, bei welcher der Ehrenknecht, der den
letzten Schlag gethan, das „Losküchel" bekommt, das oft 2 bis 3 Schuh breit,
mit Wachslichtern besteckt und mit kleinen dreschenden Bauern von Wachs
verziert ist.

Am Sonntag Lätare, dem „Rosensonntag" kommt hier und da noch der
Umzug von Sommer und Winter vor, wobei der erstere in alles Grün, das
die Jahreszeit gewährt, gekleidet, mit Bändern geschmückt, und ein Blütenreis
oder einen mit Aepfeln behangenen Baum in der Hand auftritt, während der
Winter in Pelzrock und Pelzmütze, mit der Schnecschaufel oder dem Dresch¬
flegel erscheint. Eine Gesellschaft in entsprechender Tracht durchzieht mit den
beiden Parteiführern das Dorf, man singt alte Lieder ab, sammelt Geschenke
an Brot, Eiern und Obst für den „luschtinge Sommer" und führt ein kleines
Gefecht auf, wobei der Winter vom Sommer besiegt und nun entweder in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/236>, abgerufen am 15.01.2025.