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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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dieses Uebel nicht ein Opfer hinraffte. Diese Krankheit "bringt dem Kreise
Oberbayern jährlich einen Verlust an Menschenleben bei wie eine verlorene
Schlacht, es unterliegen ihr drei bis vierhundert Menschen und zwar gewöhn¬
lich nicht kränkliche, sondern kerngesunde Naturen."

In Betreff der Gebräuche und Sitten des Volkes geben wir das Wich¬
tigste aus den Abhandlungen, die Dahn nach den Lcntncrschen Aufzeichnungen,
von Leoprechtings "Aus dem Lechrain", Panzers und Steubs Mittheilungen
und Schmellers Idiotikon für die "Bavaria" zusammengestellt hat.

Das altbayerische Landvolk hält noch fast allenthalben an den von Al¬
ters her überlieferten Sitten fest, die sich einestheils an bestimmte Tage des
Jahres, anderntheils an wichtige Vorkommnisse des Lebens, Taufen. Heirathen
und Todesfälle knüpfen.

Das Jahr beginnt für den Bauer erst mit dem Dreikönigstag; der erste
Januar ist ihm nur insofern bedeutsam, als die Kirche an ihm die Beschnei¬
dung Christi feiert und als die ihm vorhergehende Sylvesternacht eine der
vier ,,Rauchnächte" ist. (Tie andern drei sind die Thomasnacht, die auf den
21. December füllt, die Christnacht und die Dreikönigsnacht.) Der Drei¬
königstag heißt in Altbayern auch der "oberste Tag" oder das "große Neu¬
jahr" und wird an vielen Orten sehr hoch gehalten. Am Vorabend schon
wird in der Kirche Wasser, Salz und Kreide geweiht. Aus den beiden ersten
bildet man den zu allerhand Aberglauben dienenden Salzstein, der ^im vorigen
Abschnitt erwähnt wurde, und von dem man besonders beim Antritt einer
Wanderung zu genießen pflegt. Mit der Kreide bezeichnet der Bauer seine
Haus-, Stuben- und Stallthür mit den Anfangsbuchstaben der heiligen drei
Könige und der Jahreszahl, was den Eingang böser Geister verhütet. Der
Hausvater, häusig von zwei Personen begleitet, die ihm Licht und Schlüssel
nachtragen, schreitet dabei, nach dem Abendländer, mit Büscheln von heiligen
Kräutern und vorzüglich mit Kranewit-, d. h. Wachholderbeeren räuchernd
dnrch alle Räume seines Unwesens.

Diese Nacht bildet auch den Schluß der sogenannten Klöpfels- oder An¬
rollernächte, die mit dem ersten Donnerstag im Advent beginnen und in denen
Kinder und arme Leute in den Dörfern von Haus zu Haus ziehen, um mit
Sprüchen und Liedern Brot, Aepfel und Nüsse zu erbitten. Die alten ein¬
fältig schönen Lieder, die vor Weihnachten die freudige Erwartung, zur Christ¬
nacht die Geburt des göttlichen Kindes und später die Anbetung der drei
Weisen aus Morgenland und der Hirten von Bethlehem schilderten, sind jetzt
an den meisten Orten verklungen, und der Spruch der Anziehenden ist sehr
prosaisch geworden. Er lautet jetzt fast überall nur: heut ist Klöpfelsnacht
- i bitt um e Klopft."

Neben diesen Gestalten der christlichen Legende geht 'aber zugleich eine


dieses Uebel nicht ein Opfer hinraffte. Diese Krankheit „bringt dem Kreise
Oberbayern jährlich einen Verlust an Menschenleben bei wie eine verlorene
Schlacht, es unterliegen ihr drei bis vierhundert Menschen und zwar gewöhn¬
lich nicht kränkliche, sondern kerngesunde Naturen."

In Betreff der Gebräuche und Sitten des Volkes geben wir das Wich¬
tigste aus den Abhandlungen, die Dahn nach den Lcntncrschen Aufzeichnungen,
von Leoprechtings „Aus dem Lechrain", Panzers und Steubs Mittheilungen
und Schmellers Idiotikon für die „Bavaria" zusammengestellt hat.

Das altbayerische Landvolk hält noch fast allenthalben an den von Al¬
ters her überlieferten Sitten fest, die sich einestheils an bestimmte Tage des
Jahres, anderntheils an wichtige Vorkommnisse des Lebens, Taufen. Heirathen
und Todesfälle knüpfen.

Das Jahr beginnt für den Bauer erst mit dem Dreikönigstag; der erste
Januar ist ihm nur insofern bedeutsam, als die Kirche an ihm die Beschnei¬
dung Christi feiert und als die ihm vorhergehende Sylvesternacht eine der
vier ,,Rauchnächte" ist. (Tie andern drei sind die Thomasnacht, die auf den
21. December füllt, die Christnacht und die Dreikönigsnacht.) Der Drei¬
königstag heißt in Altbayern auch der „oberste Tag" oder das „große Neu¬
jahr" und wird an vielen Orten sehr hoch gehalten. Am Vorabend schon
wird in der Kirche Wasser, Salz und Kreide geweiht. Aus den beiden ersten
bildet man den zu allerhand Aberglauben dienenden Salzstein, der ^im vorigen
Abschnitt erwähnt wurde, und von dem man besonders beim Antritt einer
Wanderung zu genießen pflegt. Mit der Kreide bezeichnet der Bauer seine
Haus-, Stuben- und Stallthür mit den Anfangsbuchstaben der heiligen drei
Könige und der Jahreszahl, was den Eingang böser Geister verhütet. Der
Hausvater, häusig von zwei Personen begleitet, die ihm Licht und Schlüssel
nachtragen, schreitet dabei, nach dem Abendländer, mit Büscheln von heiligen
Kräutern und vorzüglich mit Kranewit-, d. h. Wachholderbeeren räuchernd
dnrch alle Räume seines Unwesens.

Diese Nacht bildet auch den Schluß der sogenannten Klöpfels- oder An¬
rollernächte, die mit dem ersten Donnerstag im Advent beginnen und in denen
Kinder und arme Leute in den Dörfern von Haus zu Haus ziehen, um mit
Sprüchen und Liedern Brot, Aepfel und Nüsse zu erbitten. Die alten ein¬
fältig schönen Lieder, die vor Weihnachten die freudige Erwartung, zur Christ¬
nacht die Geburt des göttlichen Kindes und später die Anbetung der drei
Weisen aus Morgenland und der Hirten von Bethlehem schilderten, sind jetzt
an den meisten Orten verklungen, und der Spruch der Anziehenden ist sehr
prosaisch geworden. Er lautet jetzt fast überall nur: heut ist Klöpfelsnacht
- i bitt um e Klopft."

Neben diesen Gestalten der christlichen Legende geht 'aber zugleich eine


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[0234] dieses Uebel nicht ein Opfer hinraffte. Diese Krankheit „bringt dem Kreise Oberbayern jährlich einen Verlust an Menschenleben bei wie eine verlorene Schlacht, es unterliegen ihr drei bis vierhundert Menschen und zwar gewöhn¬ lich nicht kränkliche, sondern kerngesunde Naturen." In Betreff der Gebräuche und Sitten des Volkes geben wir das Wich¬ tigste aus den Abhandlungen, die Dahn nach den Lcntncrschen Aufzeichnungen, von Leoprechtings „Aus dem Lechrain", Panzers und Steubs Mittheilungen und Schmellers Idiotikon für die „Bavaria" zusammengestellt hat. Das altbayerische Landvolk hält noch fast allenthalben an den von Al¬ ters her überlieferten Sitten fest, die sich einestheils an bestimmte Tage des Jahres, anderntheils an wichtige Vorkommnisse des Lebens, Taufen. Heirathen und Todesfälle knüpfen. Das Jahr beginnt für den Bauer erst mit dem Dreikönigstag; der erste Januar ist ihm nur insofern bedeutsam, als die Kirche an ihm die Beschnei¬ dung Christi feiert und als die ihm vorhergehende Sylvesternacht eine der vier ,,Rauchnächte" ist. (Tie andern drei sind die Thomasnacht, die auf den 21. December füllt, die Christnacht und die Dreikönigsnacht.) Der Drei¬ königstag heißt in Altbayern auch der „oberste Tag" oder das „große Neu¬ jahr" und wird an vielen Orten sehr hoch gehalten. Am Vorabend schon wird in der Kirche Wasser, Salz und Kreide geweiht. Aus den beiden ersten bildet man den zu allerhand Aberglauben dienenden Salzstein, der ^im vorigen Abschnitt erwähnt wurde, und von dem man besonders beim Antritt einer Wanderung zu genießen pflegt. Mit der Kreide bezeichnet der Bauer seine Haus-, Stuben- und Stallthür mit den Anfangsbuchstaben der heiligen drei Könige und der Jahreszahl, was den Eingang böser Geister verhütet. Der Hausvater, häusig von zwei Personen begleitet, die ihm Licht und Schlüssel nachtragen, schreitet dabei, nach dem Abendländer, mit Büscheln von heiligen Kräutern und vorzüglich mit Kranewit-, d. h. Wachholderbeeren räuchernd dnrch alle Räume seines Unwesens. Diese Nacht bildet auch den Schluß der sogenannten Klöpfels- oder An¬ rollernächte, die mit dem ersten Donnerstag im Advent beginnen und in denen Kinder und arme Leute in den Dörfern von Haus zu Haus ziehen, um mit Sprüchen und Liedern Brot, Aepfel und Nüsse zu erbitten. Die alten ein¬ fältig schönen Lieder, die vor Weihnachten die freudige Erwartung, zur Christ¬ nacht die Geburt des göttlichen Kindes und später die Anbetung der drei Weisen aus Morgenland und der Hirten von Bethlehem schilderten, sind jetzt an den meisten Orten verklungen, und der Spruch der Anziehenden ist sehr prosaisch geworden. Er lautet jetzt fast überall nur: heut ist Klöpfelsnacht - i bitt um e Klopft." Neben diesen Gestalten der christlichen Legende geht 'aber zugleich eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/234>, abgerufen am 15.01.2025.